# taz.de -- Trash-Papst John Waters: „Hacker haben nie Sex“
       
       > Der Kultregisseur kommt nach Deutschland. Die taz spricht mit John Waters
       > über ekligen Geschmack und den Orgasmus beim Kampf gegen die Mächtigen.
       
 (IMG) Bild: Markenzeichen: John Waters trägt seit den 70er-Jahren sein Menjou-Bärtchen.
       
       taz: Herr Waters, wenn Zeitungen und Fernsehsender über Sie berichten,
       bezeichnen die Sie als Papst des Trash. Nervt Sie das? 
       
       John Waters: Jeden Tag werfe ich mein lilafarbenes Cape um, justiere meine
       kaiserliche Krone, nehme mein Zepter und regiere die Welt.
       
       Sonderlich sympathisch scheint Ihnen Ihr Reich nicht zu sein. „Filthy
       World“ – „Dreckige Welt“ heißt Ihre Show, mit der Sie in Deutschland
       touren. 
       
       Das ist eine 70-minütige Spoken-Word-Show. Ich rede über alles: Filme,
       Kriminalität, über meine alternativen Karrieren, wie ich zum Beispiel eine
       dritte Klasse unterrichtet habe und mit ihnen einen Flugzeugabsturz
       improvisiert habe, während ihre Eltern zuschauten. Im Endeffekt gebe ich
       Ratschläge für verrückte Leute, die glücklich sind. Meine Fans und mein
       Publikum waren das immer. Menschen, die nirgendwo reinpassen, die
       eigentlich nicht mal in ihrer eigenen marginalisierten Gruppen zu Recht
       kommen.
       
       Was mögen die an Ihnen? 
       
       Ich habe immer daran geglaubt, das System zu sprengen, es zu ergreifen und
       für den eigenen Vorteil zu nutzen. Ich denke, ich habe das auf eine gute
       Art gemacht. Aber ich kann Ihnen auch viele Leute nennen, die meine Arbeit
       nicht mögen. Am Anfang hatte ich gar keine guten Rezensionen. Ich habe
       meine ganze Karriere auf negativen Rezensionen aufgebaut. Allerdings habe
       ich nie Filme gemacht, um die Kritiker zu verärgern. Ich wollte Menschen
       zum Lachen bringen und sie bewegen, Dinge anders zu sehen. Seit 2004 habe
       ich allerdings keinen Film mehr gemacht, und weiß auch nicht, ob ich je
       wieder einen drehen werde.
       
       Warum haben Sie so lange nicht mehr gedreht? 
       
       Weil mir keiner das Geld gegeben hat. Das Filmgeschäft hat sich sehr
       verändert. Ich habe keine Interesse an Eine-Million-Dollar-Filmen. Ich sehe
       diese Filme nicht. Wenn Sie sich die Liste meiner zehn besten Filme
       anschauen, sind das alles depressive, französische Filme. Mein Geschmack
       war nie so eklig, wie Leute das immer annahmen. Aber der Begriff „Bad
       Taste“ funktioniert heute auch nicht mehr, weil Hollywood ihn vereinnahmt
       hat. Am Anfang kann jedes Genre, das sich gegen Hollywood richtet, für sich
       überleben. Aber nach kurzer Zeit bespielt Hollywood diese Genres.
       
       Klingt hoffnungslos. 
       
       Nein, ich glaube an das Gute. Zum Glück habe ich verschiedene Karrieren.
       Ich habe keine Hobbies, aber ich habe viele Wege, um Geschichten zu
       erzählen. Ich lebe, um Geschichten zu erzählen.
       
       Es gibt also noch einen Platz für subversive Kunst? 
       
       Klar. Es gibt exzessive, ausgelassene, teilweise überdrehte Filme wie zum
       Beispiel „Spring Breakers“. Und genau solche Filme zu machen, ist die
       Pflicht junger Leute. Das erschreckende ist aber, dass viele junge Menschen
       diese Filme gar nicht mehr sehen wollen. Das hat sich verändert.
       
       War das früher wirklich anders? 
       
       Ja. Aber trotzdem haben junge Leute genau so viel Spaß wie wir früher. Der
       Unterscheid ist nur: Heute hacken sie sich von ihren Computer aus in Firmen
       ein – so ist man heutzutage ein jugendlicher Delinquent. Wäre ich ein
       Teenager, würde ich auch ein Hacker sein wollen. Aber Hacker haben nie Sex.
       Sie scheinen immer sexuelle Probleme zu haben. Man verlässt ja nie sein
       Schlafzimmer. Wahrscheinlich masturbieren sie viel. Vielleicht sind sie
       Wichs-Königinnen.
       
       Wenn also Hacker subversiv … … vielleicht crashen sie die Regierungsseiten
       während sie kommen. Ich kann das verstehen.
       
       Aber zugleich, so mein Eindruck, entdeckt zumindest die junge queere
       Generation die alten Zeiten wieder. Regisseure wie Pier Paolo Pasolini
       werden wieder wichtig, der französische Autor Jean Genet auch. 
       
       Ich bin nicht sicher, ob junge Menschen in Baltimore über Pasolini reden
       würden. Vielleicht ist das in Deutschland anders, aber die Europäer hatten
       schon immer mehr Respekt gegenüber intellektuellen Vorbildern. Ich habe
       Jean Genet und Pasolini als Jugendlicher gelesen – und sie haben mein Leben
       gerettet. Vorbilder sind immer Menschen, die man in seiner Jugend entdeckt
       hat, weil sie eben das eigene Leben verändern und dir Beispiele geben,
       warum es wichtig ist, etwas zu riskieren.
       
       Wer könnte heute so ein Vorbild sein? 
       
       Ich bin sicher, dass Julian Assange für einige ein Vorbild ist. Aber auch
       jemand wie der Schriftsteller Jonathan Franzen, der „Die Korrekturen“
       geschrieben hat. Dennis Cooper ist seit Ewigkeiten schon eins, weil er
       Menschen als Autor und Performancekünstler überrascht und auf eine
       intellektuelle Art und Weise erschreckt. Jemand ganz Neues? Komme ich
       gerade nicht drauf. Vielleicht denken die Jungen aber auch: Alte Hühner
       machen eine gute Suppe.
       
       Wären die Regisseure der neuen Welle des queeren Kinos gute Vorbilder, wie
       Andrew Haigh oder Travis Mathews? Zum Beispiel, weil beide die sexuelle
       Identität nicht zum zentralen Thema machen. Die Figuren sind einfach
       homosexuell, das wird nicht problematisiert. 
       
       Verändern diese Filme tatsächlich das Leben junger homosexueller Menschen?
       Ich bezweifle das. Außerdem wollen junge Menschen nicht nur als
       homosexuelle Regisseure bekannt sein. Das wollte ich auch nicht. Man
       gettofiziert sich selbst. Ich will meine Bücher zum Beispiel nicht in der
       Gay-Abteilung haben. Ich will zu den Bestsellern. Ich bin gegen
       Separatismus.
       
       Sie sind gegen Separatismus? Dabei sind Sie doch derjenige, der gesagt hat,
       es sei problematisch, wenn die queere Kultur Mainstream wird. 
       
       Es ist nicht problematisch. Es ist gesund. Ich habe mich mit dem
       Bürgermeister in Maryland engagiert, die Öffnung der Ehe voranzutreiben.
       Was Sie meinen ist, dass ich beispielsweise nicht heiraten möchte. Ich
       hasse Hochzeiten. Ich hatte noch nie Spaß auf einer.
       
       Was viele junge schwule Männer auch an der Vergangenheit fasziniert, sind
       die Pornostars und deren Filme aus den 70ern und 80ern. Waren die Pornos
       damals besser? 
       
       Ich schaue sehr gerne die alten Filme. Aber ich hatte letztens Besuch und
       der sagte: Ich hasse deine Pornos, dort sind alle behaart. Also ist es
       nicht immer wahr, dass die Jungen die alten Stars mögen. Aber es stimmt
       schon, insgesamt sind Haare wieder zurück. Ich rede auch in meiner Show
       viel über den Schamhaar-Generations-Gap in dem wir gerade in Amerika leben.
       
       Sie haben einmal eine feministische Kritikerin zitiert, für die
       Hetero-Pornos etwas mit Hass zu tun haben. Was unterscheidet homosexuelle
       und heterosexuelle Pornografie? 
       
       Bei Schwulen-Pornos fühlt sich das so an, als ob beide Parteien ganz dabei
       wären. In manchen Heteropornos sieht es aber so aus, als ob die Frau dabei
       wäre, man sich aber über ihre mentale Verfassung Sorgen machen müsste. Aber
       eigentlich teile ich nie die feministische Meinung bezüglich Pornografie.
       Ich bin ein Freund der Pornografie. Ich schaue sie ja auch. Überhaupt
       sollten alle Menschen in der Kunst Freunde der Pornografie sein. Denn
       gerade in der Pornobranche haben sie das Geld, um Anwälte zu bezahlen, die
       gegen Zensurgesetze kämpfen, die auch gegen andere Künstler gerichtet
       werden könnten.
       
       Homosexuelle Pornos sind also die besseren? 
       
       Nicht unbedingt. Ein Gangbang mit fünfzig Männern und einer Frau, das will
       ich nicht sehen. Aber ich muss gestehen, ich möchte auch nicht im
       Schwulen-Porno oder überhaupt in Pornos Bareback-Sexszenen sehen, also
       Analsex ohne Kondom. Das ist für mich ein Snuff-Film.
       
       Das ist harsch. 
       
       Mag sein, aber sich so etwas anzuschauen, heißt sich potenziellen Mord
       anzuschauen. Heute habe ich gelesen, dass sie nun die Kondome digital aus
       dem Pornos entfernen.
       
       Im Idealfall werden Bareback-Szenen von Erwachsenen dargestellt – mit der
       Zustimmung aller. Was ist daran schlimm? 
       
       Die haben das Recht das zu tun, aber für mich persönlich … Ich bin einfach
       gegen das Barebacking. Ich kenne 20-Jährige die HIV-positiv sind und sie
       sollten es besser wissen.
       
       Argumentieren Sie vielleicht so … 
       
       … weil die Hälfte meiner Freunde an AIDS starb. Ja, bestimmt.
       
       Heute ist das Thema HIV nicht mehr so omnipräsent wie früher. Stört Sie
       das? 
       
       Sie reden nicht mehr drüber, aber Leute bekommen es eben trotzdem. Und
       natürlich ist es heute besser, weil alle denken es gibt doch Pillen. Aber
       will man zwanzig Pillen oder halt auch nur eine jeden Tag nehmen müssen,
       die unglaubliche Nebenwirkungen haben? Man will das nicht, glauben Sie mir.
       Wenn man in einer Sexbar ist, Alkohol trinkt und Bareback-Pornos laufen,
       ermutigt das zum ungeschützten Sex.
       
       7 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Enrico Ippolito
       
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