# taz.de -- Die Wahrheit: Die obszöne Laura
       
       > Nach 90 Jahren will die irische Regierung endlich die immer noch
       > existierende Zensurbehörde abschaffen. Das allerdings ist gar nicht so
       > einfach.
       
 (IMG) Bild: Der Autor Máirtín Ó Cadhain hat dem unterirdischen Geschwätz auf dem Friedhof zugehört
       
       Eine irische Tradition geht zu Ende. Die irische Regierung hat überrascht
       festgestellt, dass man sich im 21. Jahrhundert befindet und will nun die
       Zensurbehörde abschaffen. Dabei hat sie in den 90 Jahren ihrer Existenz
       ganze Arbeit geleistet. Noch 1993 wurde Madonnas eher harmloses Sexbuch mit
       einem Importverbot belegt. Damit stand die Rocksängerin in einer Reihe mit
       Joyce, Zola, Thomas Mann, O‘Casey, Gide, Dos Passos, Hemingway, Kant,
       Balzac, O‘Flaherty, Sartre, Voltaire, Hugo, Orwell, Remarque, Proust,
       Steinbeck, Huxley, O‘Faolain, de Beauvoir und vielen anderen, die einmal
       Opfer der staatlichen Zensur Irlands wurden.
       
       In den siebziger und achtziger Jahren durfte Gerry Adams, Präsident von
       Sinn Féin, dem politischen Flügel der damals noch existierenden
       Irisch-Republikanischen Armee (IRA), zwar im Fernsehen interviewt, aber
       nicht gehört werden. Was er sagte, wurde von einem Reporter nachgesprochen
       – lippensynchron und mit Belfaster Akzent. Befürchtete man, dass die
       Zuschauer flugs zu den Waffen greifen würden, sobald sie Adams‘
       Originalstimme hörten? Der Mann hat zwar Charisma, aber keine hypnotischen
       Fähigkeiten, so weit man weiß.
       
       274 Bücher und Zeitschriften stehen in Irland immer noch auf dem Index,
       darunter „Verblüffende Detektivgeschichten“ und „Gewagte Romanzen“, die in
       den fünfziger Jahren als obszön eingestuft wurden. Seit 2003 ist kein Buch
       mehr verboten worden, und seit fünf Jahren ist bis auf eine Ausnahme keine
       Publikation mehr an die Zensurbehörde verwiesen worden. Deshalb wurden 2011
       keine neuen Zensoren ernannt, als die Amtszeit der damaligen Mitglieder zu
       Ende ging. Nun will die Regierung die Sache zu Ende bringen und das
       Zensurgesetz aufheben. Das geht aber nicht so einfach.
       
       Zuvor muss die Geisterbehörde vorübergehend zu neuem Leben erweckt werden,
       denn sie muss sich mit dem einzigen Buch beschäftigen, gegen das eine
       Beschwerde vorliegt. Der Roman „Laura“ soll obszön sein und Abtreibung
       befürworten. Es geht darin um einen irischen Abgeordneten, der eine Affäre
       mit seiner Sekretärin beginnt. „Ihre unerfahrenen Hände berührten ihn so
       zögernd, dass jeder Muskel in seinem Körper sich nach Erfüllung sehnte“,
       beginnt die eher peinliche als obszöne Sexszene. „Als er in sie eindrang,
       wusste er, dass es ihr erstes Mal war. Sie grub ihre Finger stöhnend und
       nach Luft schnappend in seinen Rücken.“
       
       Die Leser schnappen vermutlich vor Langeweile nach Luft und graben ihre
       Finger stöhnend ins Kissen. Natürlich wird die Sekretärin schwanger, und
       der Abgeordnete, ein Abtreibungsgegner, rät ihr zu einem
       Schwangerschaftsabbruch. Die Sache ist so spannend, wie Farbe beim Trocknen
       zu beobachten.
       
       Wenn es wenigstens obszön wäre! Justizminister Alan Shatter muss jedenfalls
       vorübergehend neue Zensoren ernennen, die über „Laura“ befinden sollen. Der
       Autor des grauenhaften Gestammels ist übrigens Justizminister Alan Shatter.
       Wenn die Kurzzeitzensoren ein Einsehen haben, verbieten sie das Buch aus
       Qualitätsgründen.
       
       9 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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