# taz.de -- Marcel Wanders aufgespießt und seziert: Raffinierter Kitsch
       
       > Ein extravaganter Produktdesigner: Das Stedelijk Museum Amsterdam widmet
       > Marcel Wanders eine große Einzelausstellung.
       
 (IMG) Bild: Marcel Wanders Werke im Amsterdamer Stadelijk Museum.
       
       Aufgespießt hängt der Mann an der Wand, rechts am Eingang der Ausstellung.
       Das Bild fasst das Kommende treffend zusammen. Der Mann und sein Werk
       werden im Rundgang der Ausstellung wahrlich aufgespießt und seziert. Er
       wird natürlich auch gefeiert und sein Werk durchaus glanzvoll inszeniert.
       Aber es ist die Kuratorin, die mit diesem Instrumentarium sorgfältiger
       Museumsarbeit sagt, wo’s und wie es langgeht.
       
       Das ist nicht unbedingt zu erwarten, denn der Mann ist ein Star auf dem
       ungemein populären Feld des Produktdesigns. Er könnte versucht haben, dem
       Stedelijk Museum, das ihm jetzt eine große Einzelausstellung ausrichtet,
       seine eigenen Vorstellungen aufzuoktroyieren.
       
       In „Marcel Wanders. Pinned Up – 25 Years of Design“ beherrschen Leuchten
       und Lampen, Tapeten, Porzellan, Besteck, atmende Schaufensterpuppen, Stühle
       und Sofas die Szenerie, also all die Alltagsgegenstände, deren besondere
       Gestaltung ein Herzensanliegen der fortgeschrittenen Industriegesellschaft
       ist.
       
       Aber wie das oft so ist mit den Herzensanliegen, es sind nicht unbedingt
       die, die uns glücklich machen. Ich wusste etwa nicht, dass ich Marcel
       Wanders’ Arbeiten schon im Hotel On Rivington begegnet bin.
       
       Und um ehrlich zu sein, ich fand die New Antiques Möbel und die üppigen
       Tapetendrucke des Design Hotels in der Lower East Side von Manhattan eher
       grauslich. Mit ihrer Ausstellung hat mir die Kuratorin Ingeborg de Roode
       diese Arbeiten nicht wirklich nähergebracht – dafür aber um einiges
       verständlicher gemacht.
       
       ## Kristalllüster mit Goldglocke
       
       Das Überschwängliche und Überbordende von Wanders’ Designs, die
       gedrechselten Stuhlbeine, die floralen Tapetenmuster oder die
       Kristallschnüre der Lampen – all das, was mir nur kitschig erscheint, ist
       bei genauerer Betrachtung um einiges raffinierter als gedacht. Bei den
       Lampen und Leuchten etwa ist eine Entwicklung zu beobachten, vom
       großartigen Einfall am Anfang seiner Karriere, als er einen einfachen
       Lampenschirm zur minimalistischen Stehlampe übereinanderstapelt, bis hin
       zur fragwürdigen Pracht des riesigen Kristalllüsters, den er mit einer
       Goldglocke überwölbt.
       
       Doch die Anordnung der Exponate macht mir dann ebenfalls deutlich, dass
       diese Entwicklung nicht nur einen vermeintlichen Verlust an Form markiert,
       sondern ebenso einen Gewinn aufseiten des Materials und seiner
       anspruchsvollen Verarbeitung.
       
       Noch nicht einmal hübsch, trotz ihrer organisch-barocken Form, ist eine
       merkwürdig ausgebeulte weiße Porzellanvase. Wie, denkt man spontan, kommt
       man nur auf so eine idiotische Form? Man spielt, experimentiert und packt
       ein halbes Dutzend Eier in ein Kondom. So hat es Marcels Wanders getan und
       den Abguss des ausgebeulten kleinen Gummischlauchs dann als Vase
       (re)produziert.
       
       ## Material und Verarbeitung
       
       Die Beulen fassen sich ausgesprochen angenehm an, stellt man fest, als man
       die Vase später in die Hand genommen und sie gerne hin und her gedreht und
       gewendet hat. Das Design von Marcel Wanders lotet dezidiert den Reiz des
       Taktilen aus. Deshalb kommen dem Material und seiner besonderen
       Verarbeitung eine ganz wesentliche Rolle in seinen Entwürfen zu, wobei er
       genauso mit neuesten technischen Entwicklungen arbeitet wie mit alten
       handwerklichen Verfahren.
       
       Wie sehr letztlich auch der Stil dem Material gehorcht, zeigt der „Carbon
       Balloon Chair“ (2013), der scheußlich ausschaut, aber ein faszinierendes
       Design-Experiment ist. Wanders setzt Schläuche aus gewebtem Karbon, die
       erst aufgeblasen und anschließend gehärtet werden, zu einer tiefschwarzen
       Abstraktion des klassischen Thonet-Stuhls zusammen, die nur noch 800 Gramm
       wiegt und damit einer der leichtesten Stühle ist, die je entworfen wurden.
       
       Der Stuhl ist eher eine intellektuelle als eine ästhetische Erfahrung. Man
       muss schon Vergnügen an seiner experimentellen Technik haben, um diesen
       Stuhl, der in Handarbeit gebaut werden muss, teuer zu erwerben – oder man
       ist, koste es, was es wolle, um Extravaganz bemüht.
       
       ## Ein Tick zu viel
       
       Extravaganz benennt einen wichtigen Aspekt in Marcel Wanders’ Design. Sie
       hängt mit seinem hemmungslosen, von großer erzählerischer Lust befeuerten
       Einfallsreichtum zusammen, der den Tick zu viel bei seinen Arbeiten
       verschuldet. Obwohl alle ästhetischen Zutaten gut begründet sind und
       niemals nur bloßen Launen zu entspringen scheinen, lassen sie sie
       extravagant erscheinen.
       
       Diesem Zug wird in dem ganz in Schwarz gebetteten Teil des
       Ausstellungsparcours nachgegeben, der den Designer feiert, während der
       strahlend weiß ausgeleuchtete Teil die rationale Auseinandersetzung mit ihm
       sucht. Wie sehr er mit seinem Hang zur Extravaganz der ideale Designer der
       Globalisierung ist, macht eine monumentale Marmorskulptur im Zentrum der
       kleinen schwarzen Messe deutlich.
       
       Ihre zwei riesigen Puppengesichter, ein asiatisches und ein europäisches,
       werden im nächsten Jahr die Lobby eines Luxusapartmenthauses in Istanbul
       schmücken. Vielleicht, ging es mir am Ende der Schau durch den Kopf, ist es
       Zeit, sich mit einer gewissen Exaltiertheit im Design anzufreunden.
       
       21 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
       ## TAGS
       
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 (DIR) Kopftuch
       
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