# taz.de -- Ausstellung im Cartoonmuseum Basel: Gesucht wird die perfekte Linie
       
       > Seit den Neunzigern ist im Comic ein Zeichenstil populär, der Jahrzehnte
       > zuvor geprägt wurde: die „Ligne claire“. In Basel folgt man ihrer
       > Geschichte.
       
 (IMG) Bild: Die Ausstellung „Die Abenteuer der Ligne claire. Der Fall Herr G. & Co.“ erklärt den Begriff und zeichnet die Entwicklungen des Stils nach.
       
       Das Plakat lädt ein zur Entdeckung: Zwei als Chinesen verkleidete Europäer
       werden in einer scheinbar chinesischen Straße von einer Vielzahl bekannter
       Comicfiguren verfolgt. Die Szene erinnert an ein Panel aus dem „Tim und
       Struppi“-Band „Der blaue Lotos“, auf dem belustigte Chinesen den
       trotteligen Detektiven Schulze und Schultze folgen. Der Schweizer Künstler
       Exem hat das Plakat im „Ligne claire“-Stil seines Vorbilds Hergé gezeichnet
       und die Detektive durch die Zeichner Hergé und Edgar Pierre Jacobs ersetzt.
       Auch die anderen Figuren sind wichtige Repräsentanten dieses Stils.
       
       Die Ausstellung [1][„Die Abenteuer der Ligne claire. Der Fall Herr G. &
       Co.“] im Cartoonmuseum Basel erklärt nicht nur den Begriff, sie beschäftigt
       sich auch mit den Wurzeln, Höhepunkten und Entwicklungen jenes Stils.
       
       Der Belgier Hergé (eigentlich Georges Remi, 1907–83) war beeinflusst von
       den künstlerischen Strömungen seiner Zeit: Comicvorbilder waren der
       US-Strip „Bringing Up Father“ von George McManus und die französische
       Abenteuerreihe „Zig et Puce“ von Alain Saint-Ogan, beide in den zwanziger
       Jahren populär; seine Auffassung von Klarheit und Vereinfachung der Formen
       lassen Elemente von Art déco und Bauhaus erkennen, auch vom japanischen
       Farbholzschnitt, der die Konturen betonte.
       
       Hergé erschuf „Tintin“ („Tim“ im französischen Original; flämisch „Kuifje“)
       1929 und perfektionierte seinen Stil in den kommenden Jahrzehnten.
       Unterstützt wurde er von einem Mitarbeiterstab des 1946 gegründeten
       Comicmagazin „Tintin“, neben E. P. Jacobs („Blake und Mortimer“), Zeichner
       wie Bob de Moor, Jacques Martin, Willy Vandersteen und Albert Weinberg, die
       viele klassische Serien erfanden. Von diesen Künstlern zeigt das Museum
       originale, getuschte Comicseiten, Skizzen, Titelbilder.
       
       ## Hergés Vision
       
       Sie alle folgten Hergés Vision: Jedes Bild sollte klar und gut lesbar sein,
       dafür musste die „perfekte Linie“ gesucht werden, die den gewünschten
       Ausdruck möglichst genau wiedergab. Für die Vorzeichnungen mussten alle
       Details dokumentarisch genau recherchiert werden, dann wurden sie
       stilisiert gezeichnet und klar konturiert, schwarz getuscht und flächig
       koloriert. Auf Schatten und Schraffuren wurde zugunsten der angestrebten
       Klarheit meist verzichtet.
       
       Auch die Handlungen der langen Abenteuer mussten stringent erzählt werden,
       ohne dass die Geschichte an Raffinesse verlor. Hergés Konzept machte Schule
       und wurde zu einem prägenden europäischen Comicstil. In den sechziger und
       siebziger Jahren verlor der Stil an Bedeutung, als in den USA
       Underground-Comics und in Europa künstlerische Comics aufkamen, die
       persönliche Handschriften betonten. Hergés Schule schien erstarrt zu sein.
       
       Erst nachdem der holländische Künstler Joost Swarte den Begriff „Ligne
       claire“ 1977 anlässlich einer Rotterdamer Hergé-Ausstellung kreiert hatte,
       gab es in den Achtzigern eine Renaissance in ganz Europa, die „Nouvelle
       ligne claire“. Die Künstler Yves Chaland, Ted Benoît oder Serge Clerc
       schufen zeitgemäße Comics für ein erwachsenes Publikum: Die Figuren konnten
       Antihelden sein, Sex haben, Gewalt oder den Tod erfahren. Seit den
       Neunzigern ist der Stil ein beliebtes Mittel, um historisch-literarische
       Stoffe aufzugreifen (Stéphane Heuets Marcel-Proust-Adaptionen), für
       Künstlerbiografien („Klee“ von Christophe Badoux) oder um persönliche
       Geschichten zu erzählen, wie der deutsche Comicpoet „Ulf K.“. Sein
       unaufgeregter Erzählrhythmus passt zu Comics für Kinder wie zu
       anspruchsvollen Graphic Novels.
       
       ## Das Weiterdenken der Bilder
       
       Während „Tim und Struppi“ sich als zeitloser Klassiker mit nostalgischem
       Charme erwies, benutzen heutige Künstler die Ligne claire als ein
       Ausdrucksmittel, das dem Leser der Zeichnungen einen Raum eröffnet, der zum
       Weiterdenken (oder Weiterträumen) der Bilder und Geschichten anregt. Ganz
       im Gegensatz zu manch effekthascherischem Mainstream-Comic.
       
       Der aktuelle Teil der Ausstellung belegt, dass auch in Arbeiten
       experimenteller Künstler wie Chris Ware (zu sehen ist eine überraschend
       übergroße Seite aus „Rusty Brown“) oder Rutu Modan („Das Erbe“)
       verschiedene Stilelemente der Ligne claire zu finden sind. Die gut
       strukturierte, mit zahlreichen Originalen und historischen Publikationen
       bestückte Ausstellung macht anschaulich, wie ein prägender, heute
       internationaler Kunststil entstehen konnte, der immer wieder neue
       Generationen inspiriert.
       
       16 Feb 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.cartoonmuseum.ch/index.cfm/3E52252D-1C23-4C99-AFF5A69D88F2BB8C/?id=305433B8-95E0-A8F2-7975B38DF4487494&method=objectdata.detail
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralph Trommer
       
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