# taz.de -- Medien in Europa: Das Monster lernt sprechen
       
       > Europa braucht gemeinsame Erzählungen, um endlich zusammenzuwachsen. Und
       > dafür braucht Europa eine gemeinsame Medienanstalt.
       
 (IMG) Bild: Die europäischen Medien sind nicht mehr auf Stand.
       
       Ein Riesendefizit der Europäischen Union ist ihre massenmediale
       Unsichtbarkeit. Es ist erstaunlich, ja gar töricht, dass eine Institution,
       die 500 Millionen Bürger repräsentiert und über ein Jahresbudget von 135
       Milliarden Euro verfügt, keine gemeinsamen Kommunikationsnetzwerke hat.
       
       Ohne den Zufluss an Informationen, schrieb Jürgen Habermas, und ohne die
       Belebung durch Argumente, würde die öffentliche Kommunikation ihre
       diskursive Vitalität einbüßen. „Die Öffentlichkeit würde,“ so Habermas,
       „den populistischen Tendenzen keinen Widerstand mehr entgegensetzen und
       könnte die Funktion nicht mehr erfüllen, die sie im Rahmen eines
       demokratischen Rechtsstaats erfüllen müsste.“ Habermas schrieb dies bezogen
       auf die durch die Wirtschaftskrise und das Internet bedrohte freie
       „Qualitätspresse“. Er bezog sich dabei auf nationale Medien- und
       Presselandschaften. Dies gilt indes auch für Europa, allein, es gibt gar
       keine transnationale Medienlandschaft in der EU.
       
       Nationale Medien filtern – absichtlich oder unabsichtlich – ihre
       Informationen und Argumente im Rahmen von nationalen Interessen. In Athen,
       Madrid oder Lissabon bewertet man die Finanzkrise und die Sparpolitik
       anders als in Berlin oder in London. Bulgaren, Rumänen und Polen haben eine
       andere Sicht auf den europäischen Arbeitsmarkt als Briten oder
       Niederländer. Man könnte diese Liste endlos weiterführen und würde immer
       feststellen: Ein gemeinsamer Narrativ fehlt in Europa.
       
       Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Benedict Anderson hat in seinem
       Buch „Die Erfindung der Nation“ dargelegt, dass es erst durch die
       Ausdehnung des Buch- und Druckmarktes für Menschen möglich wurde, sich über
       größere Räume hinweg als vorgestellte Gemeinschaften zu definieren.
       Nationen sind mediengeborene Kollektive, zusammengewachsen durch das, was
       man in Zeitungen lesen, im Radio hören, im Fernsehen sehen kann, worüber
       man gemeinsam chattet und spricht. Die Medien sind die moderne Agora, sie
       sind der zentrale Veranstaltungsort, auf dem sprachlich kommunizierte Werte
       ausgehandelt werden. Dies muss auf Europa weitergedacht werden.
       
       Bisher jedoch wird die Bedeutung der Medien für die Erfindung und
       Legitimierung der transnationalen Gemeinschaft Europa maßlos unterschätzt.
       Um nicht weiterhin als „das sanfte Monster aus Brüssel“ wahrgenommen zu
       werden, braucht Europa ein gemeinsames Medium, eine öffentlich-rechtliche
       europäische Medienanstalt, die, angelehnt an die BBC, „European
       Broadcasting Corporation“ (EBC) heißen könnte. Die EBC wäre die Plattform
       für die Entstehung einer europäischen Identität und Öffentlichkeit.
       
       ## Gemeinsame Erzählung
       
       Ohne diese gemeinsame Plattform ist und bleibt die EU ein fragiles Gebilde.
       Der Erfolg der Anti-Zuwanderungs-Initiative in der Schweiz beflügelt
       momentan die europaskeptischen und national orientierten Rechtspopulisten
       in den europäischen Ländern. Marine Le Pen vom französischen Front National
       (FN) feiert das Schweizer Referendum als „Sieg des Volkes gegen die Eliten
       und die Technostruktur der EU“. Bernd Lucke von der euroskeptischen
       „Alternative für Deutschland“ (AfD) will Zuwanderer künftig auf
       „Qualifikation und Integrationsfähigkeit“ prüfen, um eine „Einwanderung in
       unsere Sozialsysteme“ (Copyright CSU) zu unterbinden. Und in den
       Niederlanden tönt der Rechtspopulist Geert Wilders: „Was die Schweizer
       können, das können wir auch: Zuwanderung beschränken und raus aus der EU!
       Eine Quote für Zuwanderer: Fantastisch.“ Anstatt über Grenzen hinweg zu
       denken, werden sie neu beschworen.
       
       In einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) heißt es, dass die
       rechts- und nationalpopulistischen Parteien mit Europa, genauer der
       Europäischen Union und deren Institutionen, eine neue Mobilisierungsformel
       gefunden haben: „Zur Fremden- und Islamfeindlichkeit sowie der Elitenkritik
       ist als gleichberechtigtes Feindbild Europa hinzugekommen.“
       
       Experten befürchten, dass bei der Europawahl Ende Mai jeder vierte Sitz im
       EU-Parlament an Parteien mit anti-islamischem oder antieuropäischem
       Programm gehen könnte. Die Studie stellt fest, dass die virtuose Bedienung
       von Vorurteilen durch die nationalpopulistischen Parteien bei den Bürgern
       auf fruchtbaren Boden falle. Und so lange Brüssel als abgehobenes
       „Bürokratiemonster“ wahrgenommen werde und die Eurokrise weiter schwele,
       „werden die Rechtspopulisten noch genügend Munition für ihre euroskeptische
       und sogar europafeindliche Propaganda finden.“
       
       Zum Gegensteuern empfehlen die KAS-Forscher ein Bündel an Maßnahmen. Sie
       fordern, dass komplexe politische Zusammenhänge verständlich erklärt
       werden, dass die Vorteile der Europäischen Integration klar kommuniziert
       und die politischen Leerformeln der rechts- und nationalpopulistischen
       Parteien „entzaubert“ werden. Gewiss sind all diese Maßnahmen honorig,
       allein, es fehlt ihnen an Durchschlagskraft.
       
       Die geforderte Entzauberung der rechts- und nationalpopulistischen Parteien
       wird misslingen, so lange es in Europa keinen zentralen Veranstaltungsort
       gibt, auf dem sprachlich kommunizierte Werte und Normen ausgehandelt werden
       können. Das „abgehobene Raumschiff Europa“ muss durch eine gemeinsame
       Medienanstalt, durch europäische Reportagen, Internetforen, Spielfilme,
       Radioprogramme, Unterhaltungssendungen, Dokus, Parlamentsübertragungen und
       Politik-Talk-Shows, in eine europäische Öffentlichkeit verwandelt werden.
       Europa braucht gemeinsame Diskurse, Bilder, Identifikationsfiguren und
       Erzählungen, um sich als Gemeinschaft zu definieren.
       
       ## Zu teuer
       
       Bisher ist europäische Medienpolitik – mit einigen Ausnahmen – nach wie vor
       nationale Medienpolitik. Die Europäische Rundfunkanstalt EBU (European
       Broadcasting Union), ein Zusammenschluss von derzeit 74 Rundfunkanstalten
       in 56 Staaten Europas, Nordafrikas und Vorderasiens, tauscht ein paar
       Nachrichtenfilme aus und veranstaltet den Eurovision Song Contest. Aber
       einmal im Jahr ein paar Sänger auf die Bühne zu schicken, ist zu wenig.
       
       Auf die Frage, ob in Zukunft die Bildung einer transeuropäischen
       Medienanstalt möglich ist, antwortete die zuständige Abteilung der EU für
       europäische Medienpolitik, dass solch ein Projekt zu teuer sei, da man
       sämtliche Programme täglich in alle europäischen Sprachen übersetzen müsse.
       Natürlich wären die Personalkosten der „European Broadcasting Corporation“
       (EBC) hoch. Aber die Frage ist doch, ob man hier nicht am falschen Ende
       spart. Denn ohne europäische Öffentlichkeit ist und bleibt die EU eine
       blutleere Institution ohne Identität und gemeinsamen Diskurs.
       
       Nein, Europa braucht eine eigene öffentlich-rechtliche Medienanstalt. In
       den Redaktionsräumen der EBC würden europäische Nachrichten entstehen, die
       sich jenseits der nationalen Machtcontainer bewegen und dadurch einen
       europäischen Meinungsbildungsprozess in Gang setzen würden. In ihren
       Sendungen müssten die EU-Bürokraten ihre Entscheidungen öffentlich
       vertreten.
       
       Als vierte Gewalt würde die „European Broadcasting Corporation“ (EBC),
       ähnlich wie die nationalen Medienlandschaften, durch ihre Berichterstattung
       und Nachrichtenströme, das politische System in Brüssel zu mehr Transparenz
       und Veränderungen zwingen und erst dadurch, als ein gewichtiger Baustein
       unter vielen, die Mythen der Rechtspopulisten tatsächlich entzaubern.
       
       Darüber hinaus hätte die EBC eine identitätsstiftende Wirkung. Vorstellbar
       wäre, um nur einige Beispiele zu nennen: EBC Online als multimediale
       europäische Nachrichten-Webseite; EBC Radio mit europäischen Informations-
       und Kulturprogrammen; eine europäische Tagesschau, die simultan in alle
       Sprachen übersetzt wird; ein europäischer Günther Jauch, der mit
       europäischen Gästen tagesaktuelle Themen diskutiert; eine europäische
       Sportschau und vielleicht auch ein europäischer Tatort, dessen Kommissare
       in Bukarest, Rom, Wien oder Lissabon auf Verbrecherjagd gehen. All diese
       Programme würden zu mehr Empathie zwischen den Nationen führen und ein
       transeuropäisches Gemeinschaftsgefühl erzeugen.
       
       22 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alem Grabovac
       
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