# taz.de -- Debatte Merkel in Israel: Tiger ohne Zähne
       
       > Merkels Kritik an der Siedlungspolitik war harsch, bleibt aber folgenlos.
       > Echter Druck kommt, wenn überhaupt, nur aus der Privatwirtschaft.
       
 (IMG) Bild: Übt Kritik, aber keinen Druck aus: Angela Merkel in Israel.
       
       Fast das gesamte Kabinett nahm Angela Merkel zu den
       Regierungskonsultationen in Jerusalem mit. Und noch nie hat sie in dieser
       Klarheit Kritik an dem fortgesetzten Siedlungsbau geübt: Diese Politik sei
       das Haupthindernis für die Beendigung des Nahostkonflikts.
       
       Dessen ungeachtet werden Merkel und die Bundesregierung Israel weiter
       unterstützen und keinesfalls Druck ausüben, um einen Ausgleich mit den
       Palästinensern herbeizuführen. Man tut es den US-Amerikanern gleich und
       vertraut auf die Kraft mahnender Worte aus dem Munde eines guten,
       verlässlichen Freundes.
       
       In der Folge bedeutet dies, dass Palästinenser und Israelis bei ihrer Suche
       nach einer Lösung weiterhin auf sich selbst zurückgeworfen sind. Seit über
       zwei Jahrzehnten streiten die beiden Parteien, und nur das Ausland kann
       dafür sorgen, dass der ungleich schwächere Partner Palästina auf Augenhöhe
       verhandeln kann. Leider findet das nicht statt.
       
       Dabei sprechen die Realitäten vor Ort eine eindeutige Sprache: Noch jede
       israelische Regierung hat seit den Osloer Abkommen 1993 jüdische Siedlungen
       in den besetzten Gebieten gebaut. Die Zahl der israelischen Siedler im
       Westjordanland hat sich seitdem auf etwa 360.000 verdreifacht. Und im
       eigentlich palästinensischen Ostjerusalem liegen die Zahlen noch viel
       höher.
       
       ## Asymmetrisches Machtverhältnis
       
       Seit Beginn der erneuten Friedensverhandlungen im Sommer 2013 hat Israel 74
       Prozent mehr Palästinenser aus ihren Häusern im Wetjordanland vertrieben
       als in der vergleichbaren Periode ein Jahr zuvor. Das asymmetrischen
       Machtverhältnis zwischen Israel und den Palästinensern hat dazu geführt,
       dass Israels Polit-Elite der Verwirklichung ihrer Vision immer näher kommt:
       nämlich dicht gedrängte sowie voneinander getrennte palästinensische
       Enklaven zu schaffen, die von Israel permanent militärisch, aber auch
       wirtschaftlich kontrolliert und abhängig sein werden.
       
       Das hat fatale Auswirkungen auf die innere Verfasstheit beider
       Gesellschaften: Die Perspektivlosigkeit in den abgeriegelten
       palästinensischen Gebieten trägt dazu bei, dass die palästinensische
       Gesellschaft immer konservativer und reaktionärer wird. Aber auch Israels
       demokratische sowie rechtsstaatliche Strukturen sind betroffen. Mediale
       Kampagnen und Gesetzesvorhaben richten sich gegen alle, die den offiziellen
       Kurs ablehnen. Auch die Rechte der Minderheiten geraten immer mehr in
       Gefahr: Szenen der offenen Jagd auf afrikanische Flüchtlinge in Tel Aviv
       zeugen hiervon.
       
       Weil sie Einflussmöglichkeiten aus der Hand geben, akzeptieren Washington
       und Berlin immer mehr völkerrechtswidrige Tatsachen: die zum großen Teil
       auf besetztem Gebiet gebaute Sicherheitsbarriere; die Kollektivbestrafung
       der eineinhalb Millionen Bewohner Gazas, die seit bald sieben Jahren im
       wohl weltgrößten Freiluftgefängnis leben; Israels Vorhaben, die großen
       israelischen Siedlungsblöcke im Westjordanland zu annektieren.
       
       Dass die PLO Israel längst anerkannt hat, ist Netanjahu nicht genug, und er
       stellt eine nächste schwerwiegende Forderung: Die Palästinenser sollen
       Israel als jüdischen Staat anerkennen.
       
       Die Wortwahl ist hier entscheidend: Netanjahu geht es nicht um das
       emanzipatorische Recht der jüdischen Israelis auf Selbstbestimmung, sondern
       darum, dass die Palästinenser selbst anerkennen, dass die
       arabisch-palästinensische Minderheit in Israel, immerhin ein Fünftel aller
       israelischen Staatsbürger, endgültig auf ihre Forderung nach einem Staat
       für alle Israelis und nach Gleichstellung verzichtet. Sie würden in dem
       Falle ihre Geschichte von Vertreibung und Benachteiligung verleugnen
       müssen. Während theoretisch jeder Mensch Deutsche(r) werden kann, könnten
       in einem jüdischen Staat Israel dann nur Juden originäre Staatsbürger sein.
       
       ## Skandalöser Vorschlag aus Israel
       
       Da sich Israels Verbündete, allen voran Angela Merkel, beeilten, sich diese
       reaktionäre Forderung zu eigen zu machen und das auch in den
       Koalitionsvertrag zu schreiben, legen jetzt israelische Regierungskreise
       mit einem skandalösen Vorschlag nach: Wenn Israels
       arabisch-palästinensische Minderheit schon keine originären israelischen
       Staatsbürger sind, könnte Israel dann ganze Gemeinden samt Hunderttausenden
       eigenen Staatsbürgern, allesamt natürlich Mitglieder der
       arabisch-palästinensischen Minderheit, gegen ihren Willen gegen jüdische
       Siedlungen im Westjordanland austauschen.
       
       Angesichts dieser Abwärtsspirale setzen sich immer mehr europäische Akteure
       auf verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen Ebenen dafür ein,
       jenseits der laufenden Friedensverhandlungen den Konfliktparteien klare
       völkerrechtskonforme Vorgaben zu machen. Sie drängen darauf, dass diese
       jetzt umgesetzt werden und nicht erst nach dem Abschluss etwaiger
       Friedensverhandlungen.
       
       Dazu gehört das öffentliche Einstehen der EU-Kommission dafür, bilaterale
       Abkommen mit Israel nicht auf die Siedlungen auszudehnen, ebenso wie die
       zunehmende Neigung privater Unternehmen, nicht in Unternehmen zu
       investieren, die in völkerrechtswidrige Handlungen verwickelt sind. Als
       eine große niederländische Pensionskasse sich kürzlich zu solch einem
       Schritt entschloss, betraf es alle israelischen Großbanken; so eng sind die
       Siedlungen mittlerweile mit Israel verflochten. Jenseits der deutschen
       Grenzen formiert sich eine breite Koalition, die sich hierfür einsetzt.
       
       Und der Druck scheint zu wirken: Zum ersten Mal seit Jahren wird in Israels
       besetzungsvergessenen Massenmedien über die Besetzung diskutiert, während
       die Wirtschaftseliten Alarm schlagen: Die Besetzung könnte die eigenen
       materiellen Zugewinne der letzten Jahrzehnte gefährden. Wirksamer wäre
       diese Politik, wenn sie Teil einer einheitlichen europäischen Politik wäre.
       Ohne Deutschland ist diese kaum möglich.
       
       Die Bundesregierung verweist aber immer wieder auf die historische
       Verantwortung Deutschlands für Israel und tut ihr bestes, solchen Tendenzen
       entgegenzuarbeiten. Schade. Denn dies wäre ein richtiger Beitrag zum
       Schutze Israels und zur Förderung des internationalen Rechts – ebenjenen
       zwei Hauptlehren, die die Bundesrepublik aus ihren eigenen historischen
       Verquickungen zu ziehen vorgibt.
       
       27 Feb 2014
       
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