# taz.de -- Drei Jahre Aufstand in Syrien: „Mein Ort ist hier“
       
       > Bomben, Dschihadisten und Hunger – drei Jahre nach dem Beginn des
       > syrischen Krieges sind die Aktivisten vielen Bedrohungen ausgesetzt.
       
 (IMG) Bild: Sonnenbad zwischen Trümmern – Damaskus im März 2014
       
       ## Rotzfreche Parolen ausdenken
       
       Er wird zurückkehren in seine Heimat, da gibt es für ihn keinen Zweifel,
       auch wenn er nur knapp mit dem Leben davongekommen ist. „Ich hoffe, dass
       meine Wunden schnell heilen“, sagt Raed Fares*, Aktivist aus der
       nordsyrischen Kleinstadt Kafranbel, „es gibt zu Hause so viel zu tun.“
       
       Raed Fares, dessen schwere Verletzungen derzeit in der Südtürkei ärztlich
       versorgt werden, hatte sich mit seiner offenen Kritik an den Zuständen in
       Syrien gefährliche Feinde gemacht. Als er am 29. Januar nach Hause kam,
       warteten zwei maskierte Männer mit Gewehren auf ihn. Zwei Schüsse trafen
       ihn in die Brust.
       
       Seine Heimat Kafranbel zählt zu jenen Orten in Syrien, an denen die
       Menschen nach wie vor jeden Freitag friedlich gegen Gewalt und Willkür
       demonstrieren. Mit ihren witzigen, kreativen, oft rotzfrechen Transparenten
       haben sich die Bewohner des Provinzörtchens weit über die Grenzen des
       Landes hinaus einen Namen gemacht – und Raed Fares, 42 Jahre als, ist
       derjenige, der sich die Sprüche für die Plakate ausdenkt.
       
       Raed Fares’ Feinde haben es nicht geschafft, ihn zum Schweigen zu bringen.
       „Ich habe meinen Optimismus nicht verloren“, sagt er, „den kann mir niemand
       nehmen.“ Inzwischen richtet er seinen Spott nicht mehr nur gegen das
       Assad-Regime, sondern auch gegen extremistische Gruppen wie den Islamischen
       Staat im Irak und in Syrien (Isis), die ihren Einfluss immer stärker
       ausbauen.
       
       „Beides ist das Gleiche“, sagt er. „Unser Feind ist nicht Assad, sondern
       der Geist der Diktatur. Das Regime benutzt die Geheimdienste, um uns zu
       kontrollieren, Isis benutzt den Islam.“ Zwei Tage nach dem Mordversuch
       waren seine Freunde zu ihm ins örtliche Krankenhaus gekommen; sie brauchten
       neue Slogans. Jetzt schickt Raed Fares seine Sprüche aus der Türkei per
       Internet nach Kafranbel. In ein paar Wochen, meint er, wird er heimreisen.
       
       Er hat noch einiges vor, geplant sind Demokratiekurse für Kinder,
       Kulturprojekte und ein Magazin. „Wir haben 40, 50 Jahre mit der
       Unterdrückung gelebt. Nun brauchen wir Zeit, um unsere Gesellschaft neu
       aufzubauen.“ GABRIELA M. KELLER 
       
       * Alle Namen geändert 
       
       ## Essenspakete an die Armen verteilen
       
       Manhal Awad weiß nicht mehr, wer sein schlimmster Gegner ist: Da ist zum
       einen das Regime. Da sind aber auch die al-Qaida-nahen Extremisten der
       Gruppe Isis (Islamischer Staat im Irak und in Syrien). Und da ist das tiefe
       Elend, das selbst diejenigen gegen ihn aufbringt, denen er helfen will. „Es
       gibt so viele Probleme“, sagt er, „und keinerlei Unterstützung für uns.“
       
       Awad, 25 Jahre alt, war bei den Protesten gegen das Regime in seiner Heimat
       Hama von Anfang an mit dabei. Im Umland der Stadt hat er sich dann einer
       örtlichen Hilfsorganisation angeschlossen und verteilt Essenspakete.
       
       Damit aber geriet er ins Visier der Extremisten, die keine
       zivilgesellschaftlichen Initiativen zu dulden bereit sind. „Sie hassen
       jeden, der mit den Medien spricht oder Hilfen koordiniert“, sagt er. Viele
       säkulare Aktivisten wie er wurden bereits getötet oder entführt. Awad
       erhielt Todesdrohungen, er floh in die Türkei und kehrte erst kürzlich
       zurück, als die Freie Armee Syriens (FSA) die Extremisten aus der Region
       vertrieben hatte.
       
       Nun versucht er, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Aber es gibt nicht genug
       Hilfsgüter für alle.
       
       Es kommt vor, dass die Menschen sich in ihrer Verzweiflung gegen ihn
       wenden, sagt er: „Sie bedrohen und beschimpfen uns als Diebe, weil sie
       glauben, wir hätten von den Vorräten gestohlen.“ Dabei hat er selbst kaum
       genug zu essen.
       
       Awad hatte kurz vor dem Beginn des Aufstands seinen Abschluss in Englischer
       Literatur gemacht, aber die Bachelor-Urkunde liegt noch in der Universität.
       Er kann sich der Stadt Hama nicht nähern, weil die Sicherheitskräfte nach
       ihm fahnden, er ist untergetaucht, wechselt ständig von Versteck zu
       Versteck.
       
       Seine Hoffnung, sagt er, hat er schon lange verloren. Die demokratischen
       Opposition in Syrien sei aufgrund der Rivalitäten zwischen den militanten
       Gruppen zerrieben worden.
       
       Auch von außen ist kaum Hilfe zu erwarten: „Alle haben uns im Stich
       gelassen“, sagt er. „Syrien ist jetzt eine Arena für ausländische Mächte,
       die den bewaffneten Kämpfern Geld zahlen, damit sie ihre Schlachten
       austragen.“ GABRIELA M. KELLER 
       
       * * *
       
       ## Filmen, dokumentieren – und an die Liebe denken
       
       Von Anfang an war Samah Hamamm bei der Revolution dabei, er gründete eines
       der Basiskomitees in seinem Ort. Dass Syrer und Palästinenser gemeinsam für
       ein neues Syrien kämpfen, darum ging es ihm, der im inzwischen berüchtigten
       Damaszener Stadtteil Jarmuk geboren ist. Anfangs waren sie zu zehnt, vier
       sind inzwischen gestorben, drei ins Ausland gegangen, zwei befinden sich
       noch in der Nähe. Er ist als Einziger geblieben.
       
       Hamamm ist 24 Jahre alt. „Die totale Belagerung hat dazu geführt, dass sich
       unsere Gewohnheiten total verändert haben“, erzählt er. Jeden Morgen putzt
       er erst einmal seine Wohnung. Es geht darum, die Belagerung zu durchbrechen
       und sei es nur symbolisch. Später geht er raus, filmt, gemeinsam mit
       anderen organisiert er kleine Demonstrationen. Etwas für die Kinder zu
       machen, sei ganz wichtig, sagt er. „Dann denken wir darüber nach, was wir
       essen könnten.“
       
       Am Abend beginnt das Sichten des Filmmaterials und das Hochladen, sofern es
       Strom gibt, dann werden E-Mails beantwortet. Und es gibt auch noch die
       Liebe – sie kommunizieren via Skype: „Wir sprechen mit dem Mädchen und
       sagen ihr, wie sehr wie sie vermissen und hören ihre Stimme. Vielleicht
       nicht für alle, aber für mich ist das ein definitiver Höhepunkt meines
       Alltags und auch für meinen Freund, mit dem ich zusammenwohne.“ Vor der
       Revolution wohnten in Jarmuk rund 150.000 Leute, Syrer und Palästinenser
       zusammen, es war auch ein Viertel für Studierende. Dann kamen etwa 600.000
       Vertriebene, heute leben hier noch knapp 18.000 Menschen.
       
       Das Assad-Regime belagert und bombardiert Jarmuk seit Monaten und
       versuchte, es auszuhungern. Die Freie Syrische Armee musste sich
       zurückziehen, damit zumindest ein paar Lebensmittel durchgelassen werden.
       Trotzdem ist die Versorgungslage katastrophal. Humanitäre Arbeit ist für
       die Aktivisten von der politischen nicht mehr zu trennen, insgesamt wird
       alles immer verwirrender. Auch für Hamamm. „Ich will nur noch an einem Ort
       sein, der stabil ist. Hier ist die Chance gering, dass ich noch lange lebe.
       Keine Ahnung, was wird. Lassen wir die Frage offen, bis ich an einen Ort
       komme, an dem ich Brot essen und Tee trinken kann.“
       
       Der frühere Soziologiestudent ist ernüchtert. Doch noch ist die Revolution
       nicht gescheitert, sie dauert an, sagt er. Als Erstes muss Assad gestürzt
       werden, dann gilt es, die ausländischen Kräfte und all die konfessionell
       gebundenen Milizen hinauszuschmeißen. Im Moment ist das Schwierigste nicht
       nur der Hunger, sondern mehr noch die Abwesenheit und der Tod von allen,
       mit denen er früher zusammen war. Heute Morgen erst haben sie eine Aktion
       gemacht mit Kindern zum Gedenken an die Märtyrer. „Irgendwie hilft es, die
       Situation zu ertragen.“
       
       Hamamm wird Jarmuk bald verlassen. Das Regime wird wohl demnächst in die
       „südlichen Gebiete“ von Damaskus zurückkehren, und er steht auf der
       Fahndungsliste der Sicherheitsbehörden. „Lebend kann ich mehr zur
       Revolution beitragen. Ich habe noch so viele Projekte im Kopf. Und wir
       müssen auch unsere Fehler analysieren. Aber wenn ich sterbe, habe ich damit
       auch kein Problem. Es darf nur nicht umsonst gewesen sein.“ INES KAPPERT,
       ANSAR JASIM 
       
       * * * 
       
       ## Die Kindern etwas bieten – außern hungern
       
       Samara* ist 21 Jahre alt und arbeitet in Daara in einer der so genannten
       „Untergrundschulen“. Die 200.000 EinwohnerInnen_Stadt liegt im Süden
       Syriens, an der Grenze zu Jordanien. Eine Gruppe von AktivistInnen versucht
       hier, verwaiste Schulen wieder in Betrieb zu nehmen, damit die Kinder nicht
       den ganzen Tag sich selbst überlassen bleiben. Doch wegen der ständigen
       Bombardierung müssen die Klassen ständig umziehen.
       
       „Es ist Horror“, sagt Samara, „und wahnsinnig anstrengend.“ Insgesamt gilt
       es in der Region um die 1.000 Mädchen und Jungen zu betreuen. „Aber es ist
       schwierig, denn „die Kinder werden immer schwächer. Und wir müssen den
       Unterricht ständig unterbrechen.“ Probleme mit Islamisten gibt es nicht.
       Immerhin.
       
       Samara war schon vor der Revolution im Erziehungsbereich tätig, erzählt
       sie, und dann von der ersten Stunde der Revolution dabei. Immer ging es um
       Freiheit, aber nicht um jeden Preis. Sie will nicht gegen die Gesellschaft
       vorgehen, die Revolution soll den normalen Leuten dienen und sie nicht
       verschrecken. So katastrophal die Situation ist, für viele Frauen gibt es
       schon jetzt mehr Freiheiten als vorher. „Wir arbeiten und wir reden mit wem
       wir wollen.“ Als sie das sagt, wirkt Samara fast heiter.
       
       Natürlich hat sie darüber nachgedacht, Daara zu verlassen. Für ein paar
       Wochen hat sie das auch gemacht. Dann kam sie zurück. „Ich werde nirgends
       mehr hingehen“, sagt sie. Mein Ort ist hier.“ INES KAPPERT 
       
       * Name geändert
       
       15 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela Keller
 (DIR) Ines Kappert
       
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