# taz.de -- Filmproduzent über syrische Gefängnisse: „Es ist ein großes, grausames Spiel“
       
       > Der syrische Produzent und Filmemacher Orwa Nyrabia wurde verhaftet und
       > 14 Tage lang verhört. Der Protest aus Hollywood hat ihn gerettet.
       
 (IMG) Bild: Orwa Nyrabia ist eine zentrale Figur im syrischen Widerstand. Hier beim Sundance Film Festival im Januar 2014
       
       taz: Herr Nyrabia, wann begann für Sie persönlich die syrische Revolution? 
       
       Orwa Nyrabia: Zu Anfang habe ich die klassische Rolle von Filmleuten
       eingenommen und die Ereignisse vor allem beobachtet. Ab Juli 2011 wurde die
       Situation meiner Heimatstadt Homs so schlecht, dass Tausende nach Damaskus
       flohen. Immer mehr Schulfreunde oder entfernte Verwandte riefen bei uns an
       und sagten: Übrigens, wir schlafen heute auf der Straße ganz in deiner
       Nähe, kannst du uns helfen?
       
       Wie haben Sie darauf reagiert? 
       
       Das war der Zeitpunkt, an dem ich Mitglied der Local Coordination
       Committees, also der lokalen Revolutionsräte wurde. Wir bildeten Teams, die
       die Leute in Damaskus empfingen und Schlafplätze für sie organisierten. Wir
       brauchten Köche für die Suppenküchen. Und mussten das Geld für alles
       besorgen.
       
       2011 lief das alles noch klandestin, oder? 
       
       Natürlich. Bis ich Syrien im Oktober 2013 verließ, wusste keines der
       LCC-Mitglieder meinen richtigen Namen. Doch am Ende hat mich gar nicht
       meine Arbeit als Aktivist, sondern der Film ins Gefängnis gebracht.
       
       Sie meinen den Dokumentarfilm „Homs – ein zerstörter Traum“, den Sie
       produziert und bei dem Sie zeitweise auch die Kamera geführt haben? 
       
       Genau. Der Geheimdienst hatte von unserem Projekt etwas mitbekommen. Ein
       Freund hat dann unter Folter meinen Namen genannt. Und er hatte recht
       damit. Ich kann mich besser schützen als andere, denn ich arbeite in der
       Filmindustrie.
       
       Hollywoodgrößen wie Robert De Niro, Martin Scorsese und auch Juliette
       Binoche haben Ihre Freilassung gefordert. 
       
       Das hat mich gerettet. Es ist verrückt, aber wenn Politiker aus dem Westen
       das Regime kritisieren, ist ihm das völlig egal. Aber denkt Hollywood
       schlecht von diesen Leuten, schämen sie sich ein bisschen. Und mich zu
       unterstützen war für Hollywood einfach: Ich bin säkular, wir arbeiten in
       der gleichen Branche und haben gemeinsame Freunde. Es ist schade, dass die
       Filmbranche sich nicht mehr gegen Assad und für die Hilfe für Syrer
       engagiert.
       
       Sie waren für drei Wochen in einem der berüchtigten „Kellergefängnisse“
       inhaftiert – wie sieht es dort aus? 
       
       Unsere Zelle war drei Meter breit und sieben Meter lang – und wir waren 84
       Männer dort. Weil es im Keller ist, gibt es keine Lüftung, stattdessen
       brennt das Neonlicht 24 Stunden. Das Essen ist ekelhaft und sehr wenig, die
       Toilette ist inmitten der Zelle. Wir durften jeden dritten oder vierten Tag
       duschen – aber unter solchen Bedingungen müsste man alle Viertelstunde
       duschen. Jeden Tag kommen die Wärter mit einer Liste und verlesen die Namen
       der Leute, die zum Verhör müssen. Sie nehmen sie mit, foltern sie und
       bringen sie am gleichen Abend oder auch erst nach drei oder vier Tagen
       meist schwer verletzt zurück. Wir sahen also, was mit uns passieren soll
       und wird. Außerdem hörten wir die ganze Zeit die Schreie.
       
       Wurden auch Sie gefoltert? 
       
       Im Vergleich zu den anderen nur sehr wenig. Ich wurde vor allem geschlagen.
       Dank der internationalen Kampagne für meine Freilassung waren sie mit mir
       etwas vorsichtiger.
       
       Wie muss man sich so ein Verhör vorstellen? 
       
       Es ist ein großes, grausames Spiel. 14 Tage lang wurde ich verhört, sechs
       oder sieben Stunden pro Tag. Die ganze Zeit über musste ich Geschichten
       über Geschichten erfinden und natürlich auch immer schauspielern. Es wurde
       die längste Fiktion meines Lebens. Und ich bin Dokumentarfilmer!
       
       Wie ging Ihre Geschichte? 
       
       Es fing damit an, dass sie bei mir eine Liste mit Medikamenten gefunden
       haben, die ich für eines der „Feldkrankenhäuser“ besorgen sollte. Also
       wollten sie wissen, wer mich darum gebeten hatte. Natürlich erinnerte ich
       mich an die Aktivistin aus Homs, die ich drei Tage zuvor im Café in
       Damaskus getroffen und die mir die Liste in mein Notizbuch geschrieben
       hatte. Natürlich hatten wir die Medikamente auch sofort gekauft. Aber beim
       Verhör nannte ich den Namen eines Freundes.
       
       Was war mit ihm? 
       
       Er war zwei Wochen zuvor vom Regime getötet worden. Dann behauptete ich,
       dass ich den Zettel vergessen hätte, weil ich nie vorgehabt hätte, für die
       Rebellen zu arbeiten. Und so weiter. Jeden Abend, wenn ich wieder in der
       Zelle war, ging ich all meine Lügen durch, all die falschen Namen,
       Geschichten und Daten, damit ich mich am nächsten Tag nicht verheddere. Das
       war das Schwerste. Ich hatte solche Angst, dass ich mich falsch erinnere.
       
       Wer hat sie verhört? 
       
       Ein Colonel des Militärgeheimdienstes, ein total ekelhafter Typ. Wenn er
       mich verhörte, trug er meistens einen Schlafanzug. Außerdem lief die ganze
       Zeit der Fernseher, Staatsfernsehen natürlich, und er hatte sein Funkgerät
       immer auf Empfang geschaltet und war so mit verschiedenen Checkpoints
       verbunden: „Sir, wir haben hier XY, er kommt aus Hama. Was sollen wir mit
       ihm tun?“ – „Lasst ihn laufen.“ – „Sir, der Lastwagen hat nicht angehalten.
       Was sollen wir tun?“ – „Schießt!“ Dann hörte man die Schüsse. Es war eine
       gespenstische Geräuschkulisse.
       
       Wer saß noch mit Ihnen im Gefängnis? 
       
       Die Mehrheit waren junge Soldaten – 67, um genau zu sein. Sie alle waren
       zwischen siebzehn und neunzehn Jahren alt. Man warf ihnen vor, irgendwie
       vom „Desertieren“ gesprochen zu haben.
       
       Auch sie wurden gefoltert? 
       
       Ja, jeden Tag. Von ihnen wollte man nichts wissen, sie wollte man „nur“
       brechen.
       
       Gab es irgendeine Art medizinische Versorgung? 
       
       Jeden Mittag kam ein Arzt und fragte: „Wer ist krank?“ Er hatte vier Pillen
       dabei: ein Antibiotikum und drei Schmerztabletten, Ibuprophen. Wer etwas
       wollte, musste sich anstellen. Der Arzt entschied dann, ob er ihre
       Krankenstory gut fand oder nicht. Meistens war er unzufrieden, und schlug
       mit voller Wucht zu. Sich krankzumelden war also ein ziemliches Risiko.
       
       Wie viele Menschen sind zurzeit in solchen Gefängnissen? 
       
       Zwischen 200.000 und 250.000. Und die Verhältnisse haben sich massiv
       verschlechtert. Bei uns ist niemand in der Zelle gestorben, aber das
       passiert jetzt offenbar täglich.
       
       Inzwischen versuchen fast alle, die ein bisschen Geld haben, Syrien zu
       verlassen. Bedeutet das, dass vor allem die Armen noch gegen das
       Assad-Regime und gegen die Islamisten kämpfen? 
       
       Ja. Diese Entwicklung wurde besonders deutlich, als die Ärzte unter
       Beschuss genommen wurden und Syrien verließen. Heute sind fast keine mehr
       im Land. Inzwischen bestimmen die Kämpfer, die häufig aus ländlichen
       Gegenden kommen und eher konservativ sind, die öffentliche Meinung. Auch
       nach dem Sturz von Assad werden sie eine lautere Stimme haben als vor der
       Revolution. Aber wir sollten das nicht vorschnell verurteilen: Diese Leute
       lernen schnell.
       
       Inwiefern? 
       
       Am Anfang waren viele von ihnen begeistert von den radikalen Islamisten,
       von Isis. Heute sagen sie offen, dass das ein Fehler war. Sie lernen unter
       schwierigsten Bedingungen, denn niemand hilft ihnen dabei. Die Reichen und
       die Mittelschicht sind ja größtenteils weg. 
       
       Wird Syrien geteilt werden? 
       
       Lässt man die Dinge weiter so laufen wie bisher, dann kann das leicht
       passieren. Aber sollte sich die Welt doch noch dazu entschließen, etwas für
       Syrien zu tun, dann ist das Land noch zu retten.
       
       Aber wie? 
       
       Indem wir die Moderaten mit Nahrung und Waffen unterstützen und Druck auf
       die Regierungen ausüben, die die Radikalen finanzieren: Iran, Russland,
       Saudi-Arabien, auch die Türkei spielt keine rühmlich Rolle.
       
       Sollten wir Soldaten schicken? 
       
       Auf keinen Fall. 
       
       Sie greifen doch selbst die UN-Konvois mit Lebensmitteln an! 
       
       Ich rede nicht von kleinen Missionen. Die UN müsste Hilfe mit großen
       Konvois ins Land bringen, nicht mit drei oder vier Lastwagen. Darüber
       würden humanitäre Korridore geschaffen, die dann den Hilfsorganisation
       ermöglichten, ihre Arbeit zu machen. Womöglich geschützt von Blauhelmen.
       Auf keinen Fall sollte der Westen Kampftruppen schicken. 
       
       Und was passiert mit Assad? 
       
       Assad ist nur der Rammbock, das weiß jeder. Er kann nicht mehr viel selbst
       entscheiden, sondern ist einfach nur ein Trumpf in Putins großem
       Pokerspiel.
       
       Trotzdem wird er dieses Jahr Wahlen ausrichten? 
       
       Na klar. Er wird keine Sekunde zögern – außer Putin ruft ihn an und sagt
       ihm, dass er das bleiben lassen soll. 
       
       Sie sind kürzlich mit Ihrer Frau in Berlin angekommen. 
       
       Darüber sind wir sehr glücklich. Wir haben eine Aufenthaltsgenehmigung für
       zwei Jahre und auch eine Arbeitsgenehmigung. Die Behörden haben uns so
       freundlich empfangen, das war unglaublich! Bislang war es das Schwierigste,
       ein Bankkonto zu eröffnen. Aber auch das haben wir inzwischen geschafft.
       
       21 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
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