# taz.de -- Kolumne Konservativ: Nationalismus, Sozialismus, Karaoke
       
       > In Vietnam muss lebendiger Konservatismus zu Hause sein. Denn was ist
       > konservativer als das Befolgen einer einer Jahrhunderte alten Ideologie?
       
 (IMG) Bild: Bewährtes bewahren: Über den Generalsekretär von Vietnams regierender KP (rechts) wacht bis heute Ho Chi Minh (oben).
       
       Hier irgendwo muss er sein. In Vietnam leisten sich die Menschen
       schließlich aus der Zeit gefallene Leidenschaften, zu denen sich Deutsche
       höchstens betrunken bekennen: Nationalismus, Sozialismus und Karaoke. Und
       deshalb werde ich ihn hier garantiert finden: lebendigen Konservatismus.
       
       Von Hanoi im Norden bis Ho-Chi-Minh-Stadt im Süden will ich das Land der
       Länge erkunden. Wie es sich gehört, lese ich mir kurz vor der Landung die
       wichtigsten Fakten an: Vietnam ist geprägt vom Konfuzianismus, der Gehorsam
       lehrt gegenüber Staat und Familie. Die Kommunistische Partei herrscht mit
       einer Mischung aus Dogmatismus und Pragmatismus. Vietnam ist eine Art
       katholischer Kirche mit Sandstrand.
       
       Deshalb muss vitaler Konservatismus hier zu finden sein. Denn was ist heute
       konservativer als das Befolgen einer eineinhalb Jahrhunderte alten
       Ideologie? Noch dazu in einem Land, dessen Bewohner als die Deutschen
       Südostasiens gelten: fleißig, folgsam und humorlos.
       
       Ich lande in Hanoi. Einst Hauptstadt des kommunistischen Nordvietnams,
       heute des ganzen Landes. Im Lonely Planet lese ich: „Der bezaubernde
       Hoan-Kiem-See ist das Herzstück des alten Hanoi.“ Der Reiseführer behält
       recht. Sofern man „bezaubernde“ durch „Smog verhangene“ ersetzt, „das
       Herzstück“ durch „die Shopping-Meile“ und „alten“ durch „neuen“.
       
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       Ich suche Zuflucht in einem Restaurant. In einer Ecke steht ein hölzerner
       Buddha. Sein Kopf lehnt gelassen auf dem aufgestellten Knie, die Augen sind
       geschlossen. Ein Bild inneren Friedens. Als ich aufbreche, sage ich dem
       Betreiber: „Ihre Buddhafigur ist sehr schön.“ Der Mann lächelt und sagt:
       „Danke. Ich mache Ihnen einen guten Preis.“
       
       Von meiner Suche nach lasse ich mich nicht abbringen. Ich fliege nach Hoi
       An: Hort einer einzigartigen Altstadt aus dem 15./16. Jahrhundert,
       Unesco-Weltkulturerbe-Stätte. Konservativer geht’s nicht. Ich gehe durch
       die Gassen. Sie sind voller Menschen. Manche sind vielleicht sogar
       Vietnamesen. Hoi An erweist sich als Touristenort.
       
       Vor einer Galerie hängt ein kleines Gemälde, das mir sehr gut gefällt. Die
       Betreiberin versichert mir, sie verkaufe ausschließlich Werke hiesiger
       Künstler. Ich kaufe das Bild. Am nächsten Tag schlendere ich wieder an der
       Galerie vorbei. An der Stelle, an der mein Gemälde hing, hängt eine exakte
       Kopie.
       
       Letzter Versuch. Ich fliege nach Ho-Chi-Minh-Stadt. Mein Sitznachbar sagt:
       „Wir Vietnamesen haben Jahrhunderte der Kolonialherrschaft und Kriege
       erlebt. Chinesen, Franzosen, Japaner und Amerikaner, dann der Kommunismus.
       Jetzt blicken wir in die Zukunft!“ Ich setze mir Kopfhörer auf.
       
       In Ho-Chi-Minh-Stadt husche ich über überfüllte Straßen, auf denen
       Jugendliche mit „Hello Kitty“-Helmen auf Mopeds fahrend in ihr iPhone
       sprechen. Dann erreiche ich endlich mein Ziel: ein Geschäft für alte
       KP-Propagandaposter. Wehmütige Erinnerungen an eine Zeit, die es so nie
       gegeben hat. Ein Paradies für Konservative. Um mich herum ausschließlich
       Westler. Vietnamesen haben von authentischer vietnamesischer Kultur nun mal
       keine Ahnung.
       
       28 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Lohre
       
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