# taz.de -- Kriminologin über den „Islam-Rabatt“: „Ehrenmorde werden härter bestraft“
       
       > Mit dem Bremer Bunkermord kam der Umschwung: Julia Kasselt hat
       > untersucht, ob muslimische Täter vor deutschen Gerichten mit Nachsicht
       > rechnen können.
       
 (IMG) Bild: Gedenkfeier für Hatun Sürücü, die im Februar 2005 von ihrem Bruder in Berlin ermordet wurde.
       
       taz: Frau Kasselt, bekommen manche Straftäter in Deutschland einen
       „Islam-Rabatt“, wie die Bild-Zeitung schrieb? 
       
       Julia Kasselt: Nein, diese Behauptung ist doppelt absurd. Zum einen haben
       solche Tötungsdelikte, um die es dabei geht, nichts mit Religion zu tun,
       sondern mit Kultur. In manchen Einwandererfamilien gibt es überholte
       Ehrvorstellungen. Aber in dem Wiesbadener Fall gab es auch keinen
       Kultur-Rabatt. Der junge Mann, der seine Freundin erstochen hat, wurde
       wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er muss also mindestens 15
       Jahre im Gefängnis bleiben. Wer hier von „milden Strafen“ spricht, ist
       polemisch.
       
       Das Wiesbadener Strafgericht hat aber keine „besondere Schwere der Schuld“
       gesehen – und auf den kulturellen Hintergrund der Tat verwiesen. 
       
       Das ist kein Strafrabatt. Eine „besondere Schwere der Schuld“ ist auch bei
       Mord die seltene Ausnahme und nicht die Regel. Das Gericht hat nur darauf
       verzichtet, die Strafe zusätzlich zu verschärfen. Dabei hat es neben dem
       kulturellen Hintergrund auch das Alter des Täters erwähnt, der noch nicht
       gefestigt sei. Wahrscheinlich spielten noch viel mehr Überlegungen eine
       Rolle, über die die Medien nicht berichtet haben.
       
       Wodurch unterscheidet sich eigentlich ein „Ehrenmord“ unter Einwanderern
       von einem deutschen „Familiendrama“, bei dem der Mann seine Ex-Frau tötet? 
       
       Beim Ehrenmord wird die Tat von der Familie beschlossen oder zumindest gut
       geheißen, um so die Familienehre wiederherzustellen. Oft stehen der Täter
       oder die Familie dabei unter starkem Druck ihres Umfeldes. Derartiges ist
       aus deutschen Familien nicht bekannt. Wer tötet, um Konflikte zu lösen,
       kann hier nicht mit Verständnis rechnen.
       
       Werden Ehrenmorde milder bestraft als andere Familiendramen? 
       
       Sie werden härter bestraft. In meiner Dissertation habe ich die Urteile bei
       Ehrenmorden verglichen mit den Urteilen bei sonstigen Tötungen von
       (Ex-)Partnerinnen. Ehrenmorde wurden zwischen 1996 und 2005 in 38 Prozent
       der Fälle mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet. Bei den
       Partnertötungen gab es nur in 23 Prozent der Fälle „lebenslang“. Ab 2002
       ist die strenge Haltung der Gerichte zu Ehrenmorden besonders deutlich.
       Beim klassischen Ehrenmord, bei dem eine Tochter oder Schwester aus Gründen
       der Familienehre getötet wird, verhängten die Gerichte ab 2002 in fast
       jedem Fall lebenslang wegen Mordes.
       
       Warum hat sich die Rechtsprechung ab 2002 verschärft? 
       
       2002 hat der Bundesgerichtshof einen spektakulären Fall entschieden. Es
       ging um den Bremer Bunkermord, bei dem ein kurdisches Liebespaar, das sich
       nicht trennen wollte, brutal getötet wurde. Der BGH stellte fest: wer die
       eigene oder Familienehre über das Leben eines anderen stellt, handelt in
       der Regel aus „niedrigen Beweggründen“ und erfüllt damit ein Mordmerkmal.
       Dieser Linie sind dann auch die Landgerichte gefolgt. Bis 2002 war die
       Rechtsprechung noch wechselhaft und widersprüchlich.
       
       Und diese strenge Linie bei Ehrenmorden gilt bis heute? 
       
       Soweit ich sehe, ist die Rechtsprechung nach 2005 nicht milder geworden,
       sondern hat sich eher verschärft. Schließlich führt jeder Ehrenmord bei uns
       zu einem öffentlichen Aufschrei. Und auch Richter bleiben von der
       gesellschaftlichen Atmosphäre nicht unbeeindruckt.
       
       Wieviele Ehrenmorde gibt es jährlich in Deutschland? 
       
       Es sind nur rund zehn pro Jahr, aber sie sind geeignet, viele Frauen und
       Mädchen in solchen Milieus einzuschüchtern. Deshalb begrüße ich auch die
       deutliche Reaktion der deutschen Gerichte.
       
       5 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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