# taz.de -- Wahlkampf in Nordindien: Einfache Frau und feiner Mann
       
       > Die Bauernaktivistin Balwinder Kaur fordert den mächtigen Kohlemillionär
       > Naveen Jindal heraus. Die Geschichte eines ungleichen Wahlkampfes
       
 (IMG) Bild: AAP-Kandidatin Balwinder Kaur hat weiße Bauernkappen bei ihrem Wahlkampf-Auftritt verteilt
       
       KURUKSHETRA taz | Am ersten Haus von Tyodi steigt Balwinder Kaur aus. Ihr
       weißer Geländewagen fährt weiter, während sie auf eine ältere Frau
       zusteuert. „Guten Morgen, Tante“, sagt sie. Aus den Lautsprechern, die auf
       dem Dach des Autos angebracht sind, schallt es: „Bewohner von Tyodi, die
       Kandidatin der Aam-Aadmi-Partei ist in Ihrem Dorf eingetroffen. Kommen Sie
       und treffen Sie sich mit ihr.“
       
       Die alte Frau verspricht Kaur ihre Stimme. Dann läuft die Kandidatin weiter
       zum nächsten Haus, eine kleine Frau mit rundem Gesicht, das in der Sonne
       rot anläuft. Balwinder Kaur ist um die 50 Jahre und stammt selbst aus der
       Landbevölkerung, wenngleich aus gehobenen Verhältnissen.
       
       Sie ist bis zur zehnten Klasse zur Schule gegangen, was für ein Mädchen in
       den 70er Jahren ungewöhnlich war. Jetzt kandidiert sie für die
       Aam-Adami-Partei (AAP), auf Deutsch: „Partei des einfachen Mannes“, die
       sich dem Kampf gegen die Korruption verschrieben hat.
       
       Wenn die Menschen in Kurukshetra, einem Wahlkreis etwa 200 Kilometer
       nördlich von Delhi im Bundesstaat Haryana, am heutigen Donnerstag wählen
       gehen, hofft sie, den Kongresspolitiker und Millionär Naveen Jindal zu
       besiegen. Aber damit ist sie in einen fast aussichtslosen Kampf gezogen:
       Anders als Jindal, der jedes Jahr sehr viel Geld in dem Wahlkreis ausgibt,
       hat Kaur nur das Versprechen zu bieten, sich für mehr Rechte für Bauern
       einzusetzen. Statt sicherer Gaben müssten die Wähler sich auf ein langes,
       unsicheres Ringen um Selbstbestimmung einlassen.
       
       ## "Stimmt für den Besen"
       
       Dabei geht es den Menschen in Haryana vergleichsweise gut. Der Anbau von
       ertragreichen Hybridpflanzen, der hier in den 60er Jahren begann, hat viele
       Bauern reich gemacht. Statt Schotterpisten führen gepflasterte Straßen
       zwischen Weizen- und Reisfeldern in die Siedlungen. In Tyodi sind die
       kleinen weißen Häuser umgeben von Mauern.
       
       Balwinder Kaur geht in langsamen Schritten von Tor zu Tor. Meist sind es
       Frauen, die ihr aufmachen. Sie verteilt aus ihrem braunen Achseltäschchen
       schmale weiße Kappen, wie sie an den Bauern im Westen Indiens oft zu sehen
       sind. Die Frauen lachen etwas verlegen, als sie sie aufsetzen, denn
       eigentlich werden die Hauben nur von Männern getragen. Kaur streicht ihnen
       über die Arme und sagt: „Stimmt für den Besen.“
       
       Der Besen ist das Wahlsymbol der AAP, so wie die Bauernkappen. Mit beidem
       wendet sich die AAP gezielt an die Unterschicht Indiens. Bisher wird die
       „Partei des einfachen Mannes“ vor allem von Akademikern und Aktivisten
       getragen. Ende 2012 wurde sie gegründet und sorgte für Aufsehen, als sie
       nur ein Jahr später fast die Hälfte der Sitze im Stadtparlament von Delhi
       gewann und zeitweise sogar die Regierung stellte.
       
       Aber wie sie bei der landesweiten Parlamentswahl abschneiden wird, ist
       völlig offen. Viele Menschen sind mit der regierenden Kongresspartei
       unzufrieden, wollen aber auch nicht die hindunationalistische BJP wählen.
       Ihnen bietet sich die AAP als Alternative an.
       
       ## Nur ein Dutzend Zuhörer
       
       Balwinder Kaurs Auto ist in eine Seitenstraße eingebogen. An einer Kreuzung
       soll sie eine Kundgebung abhalten. Gekommen sind gerade ein Dutzend Männer.
       Für Kaur und ihre Helfer stehen Stühle am Straßenrand. Ihre Zuhörer lehnen
       an den Mauern. Auf der leeren Dorfstraße sehen sie verloren aus, wie eine
       Bauerngruppe, die sich zufällig auf dem Weg zur Arbeit getroffen hat. Aus
       einer Thermoskanne wird Tee verteilt.
       
       „Korruption und Arbeitslosigkeit sind weit verbreitet und die Bauern und
       Arbeiter leiden“, ruft Kaur ins Mikrofon. „Die Bauern schuften für ihre
       Ernten, aber das Geld verdienen die Mittelsmänner.“ Ihre Zuhörer klatschen,
       als ein paar Männer mitten durch die kleine Menge laufen. Sie schauen
       belustigt herüber auf die lärmige Szene. Keiner von ihnen bleibt stehen.
       
       Dann kommt Kaur auf Naveen Jindal zu sprechen, ihren einflussreichen
       Rivalen, der sich nun schon zum zweiten Mal zur Wiederwahl stellt. „Das ist
       ein Millionär, was weiß der schon über unsere Sorgen? Diese Wahl ist ein
       Kampf zwischen dem einfachen und den feinen Mann.“
       
       ## Ein Loblied für den Wohltäter
       
       Der feine Mann Naveen Jindal ist rund 50 Kilometer entfernt zu Besuch auf
       einer Versammlung reicher Bauern. Er rutscht auf der Bühne ungeduldig zum
       Rand und lässt die Beine baumeln. Vor ihm, auf einem grünen Teppich, sitzen
       Hunderte Männer, alle in weißen Hemden. An den Rändern drängeln sich
       jüngere Männer in Jeans und T-Shirts.
       
       Schon seit einer halben Stunde wird Jindal hier im Dorf Pundri begrüßt. Die
       örtlichen Anführer der Kongresspartei loben seine Verdienste. Einer von
       ihnen singt sogar ein Lied. Als Jindal endlich zu Wort kommt, sind viele
       seiner Zuhörer bereits zum Buffet von frittierten Gemüsescheiben und süßem
       Halwa verschwunden.
       
       Naveen Jindal hat das Geld und die Macht von seinem verstorbenen Vater, dem
       Stahlunternehmer und Energieminister Om Prakash Jindal, geerbt und
       vermehrt. Er ist ein talentierter Polospieler und hat in den 90er Jahren
       dafür gekämpft, dass Inder nicht nur an nationalen Feiertagen die Flagge
       hissen dürfen. Seitdem lässt er landesweit riesige Maste mit der indischen
       Trikolore aufstellen. Am Knopfloch trägt er stets einen Flaggenanstecker,
       so auch heute an seiner schneeweißen Kurta, einem Gewand, das ihm bis an
       die Knie reicht.
       
       ## 66.000 Toiletten für den Wahlkreis
       
       Als Abgeordneter agiert er in Kurukshetra wie eine
       Ein-Mann-Hilfsorganisation. Vor den Bauern in Pundri zählt er auf, was er
       alles getan hat: 1.500 Straßenbauprojekte hat er angeschoben, 11.000
       Stipendien für arme Schüler finanziert, 200.000 Brillen für Senioren
       gespendet und 66.000 Toiletten bauen lassen. „Glaubt ihr, dass ich ein
       schlechter Mensch bin?“, fragt er die Männer. Ein Raunen geht durch die
       Menge. Natürlich nicht.
       
       Doch es gibt einen gravierenden Grund für diese Frage: Seit 2012 ist Jindal
       seine Doppelrolle als Unternehmer und Politiker zum Verhängnis geworden.
       Der indische Rechnungshof warf der Kongressregierung vor, Kohleabbaurechte
       nicht ordnungsgemäß vergeben zu haben. Der Schaden: bis zu 22 Milliarden
       Euro. Die Medien nannten die Affäre „Coalgate“ und machten Jindal, der
       einen Staatsminister bestochen haben soll, zu einem der Gesichter des
       Skandals. Jindal selbst bestreitet den Vorwurf.
       
       Jindals Tag ist präzise choreografiert. Er beginnt früh und endet spät mit
       einem Termin bei seinem spanischen Personal Trainer. Dazwischen wird er
       fünfzehn Siedlungen und Dörfer besuchen. Überall gibt es eine kurze Rede,
       Händeschütteln, Fotos. Dann geht es weiter. Währenddessen organisiert sein
       Pressesekretär die Interviews und dirigiert Journalisten in den
       Geländewagen des Chefs.
       
       ## Der Wahlkampf kreist um die Familie
       
       Wenn die Welt der Gratulanten und Bittsteller hinter dem Fenster des Wagens
       zurückbleiben, entspannt sich Jindal deutlich. Es sind wenige Minuten, die
       bleiben, um mit Assistenten eine Gedenkanzeige für seinen Vater zu
       besprechen, dessen Todestag sich Anfang April jährt, und seinem 18-jährigen
       Sohn seine Arbeit zu erklären. „Das Leben hat unserer Familie so viel
       gegeben, wir müssen etwas zurückgeben“, sagt er.
       
       Sein Wahlkampf ist auf ihn selbst und seine Familie ausgerichtet. Plakate
       zeigen seinen Vater, auf seinem Auto klebt der Spruch „Hattrick für
       Jindal“. Seine Gegner erwähnt er nicht.
       
       Kurz vor dem Mittagessen fährt Jindals Auto auf ein leeres Grundstück, das
       von unverputzten Mauern umgeben ist. Hier haben sich die örtlichen
       Kongressmitarbeiter versammelt. Fast 500 Männer warten auf ihn. Jindal
       greift zum Mikro und lobt den Einsatz der Parteimitglieder. „Das hier war
       Teamarbeit“, ruft er.
       
       Doch seine Zuhörer sind sich der Macht und des Reichtums von Jindal
       bewusst. Sie jubeln ihm zu wie Untertanen ihrem König. „Diese Familie hat
       uns so viel gegeben, wir sollten für sie sterben können“, ruft ein Mann.
       „Wer würde für die Jindals sein Leben geben? Hebt eure Hände.“ Keine Hand
       bleibt unten.
       
       Das Büro der AAP in Kurukshetra, der Kleinstadt, nach der der Wahlkreis
       benannt ist, ist ein großer Raum direkt am Markt. Er ist fast leer, bis auf
       einen Tisch, einem Stapel Flyer und drei Bettenlager hinten. Nachts
       schlafen Unterstützter hier, denn die Tür lässt sich nicht abschließen.
       
       ## Süßer Milchtee in der Sonne
       
       Im Sonnenlicht an der Tür sitzen Balwinder Kaur und ihr Mann Gurnam Singh
       und schlürfen süßen Milchtee. „Ich bin in einer Bauernfamilie geboren“,
       setzt Kaur an und wird sofort von ihrem Mann unterbrochen. „Sie leitet eine
       Lerngruppe für Frauen“, sagt er. „Wegen ihres Kampfes für die Bauern ist
       sie acht Tage im Gefängnis gewesen.“ Vor zwölf Jahren war das.
       
       Singh, Chef der Bauernunion BKU in Haryana, war der ursprüngliche Favorit
       für die Kandidatur. Aber er musste wegen mehrerer rechtlicher Verfahren
       gegen sich zurückstecken. Die AAP stellt das so dar: Er habe seine
       Nominierung zurückgezogen, weil er sich auf die direkte Arbeit mit den
       Bauern konzentrieren wolle.
       
       Jetzt vertritt ihn seine Frau als Kandidatin. Doch die Interviews gibt er.
       Dann ergreift Kaur doch noch mal das Wort: „Das Volk kann Könige absetzen,
       wenn es will.“ Aber die Bauernaktivistin weiß, dass sie gegen Jindal kaum
       eine Chance hat.
       
       Am Abend, es wird schon dunkel, wird Jindals Choreografie durchbrochen. Auf
       dem zentralen Dorfplatz soll er eine Rede halten. Er setzt gerade an,
       wieder einmal seine Wohltaten aufzulisten, als es am Rand der Versammlung
       laut wird: Zwei Männer mit weißen AAP-Kappen rufen: „Nieder mit Jindal“.
       Und plötzlich fällt der Millionär aus der Rolle des selbstsicheren Gönners.
       „Was ist das für eine Frechheit“, herrscht er sie an. „Empfängt man so bei
       euch Gäste?“
       
       10 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lalon Sander
       
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