# taz.de -- Nach dem Fabrikeinsturz in Bangladesch: Die Bürokratie der Entschädigung
       
       > Die NäherInnen der eingestürzten Fabrik sollen entschädigt werden. Das
       > Verfahren ist einfach gedacht, aber kompliziert umzusetzen.
       
 (IMG) Bild: Mutter einer vermissten Arbeiterin der Textilfabrik
       
       SAVAR taz | Lipy hat nichts bekommen. Gar nichts, sagt sie. Nicht die 450
       Euro, die vergangenes Jahr als Lohnfortzahlung ausgezahlt wurden und auch
       nicht die 500 Euro, die nun als Anzahlung für die Entschädigung der
       ArbeiterInnen gezahlt werden. Etwas gekrümmt sitzt die 29-Jährige auf einem
       Stuhl in der Ecke der Ein-Zimmer-Wohnung ihrer Nachbarn. Was sie denn nun
       machen könne, fragt sie. Und an wen sie sich wenden könne.
       
       So wie Lipy geht es vielen ArbeiterInnen, die vergangenes Jahr Opfer des
       Fabrikeinsturzes in Bangladesch wurden. Am 24. April stürzte das
       neunstöckige Rana Plaza in der Kleinstadt Savar ein und begrub mehr als
       3.600 Menschen unter sich. Viele von ihnen arbeiteten in fünf
       Textilfabriken auf insgesamt sechs Stockwerken. Es war eines der
       schlimmsten Industrieunglücke der vergangenen Jahrzehnte in Bangladesch.
       1.138 Menschen starben, mehr als 100 werden noch heute vermisst. 2.300
       Männer und Frauen wurden in den Wochen nach dem Unglück lebend geborgen,
       viele schwer verletzt.
       
       Inzwischen ist fast ein Jahr vergangen und es scheint nun, als würde es für
       die Familien der Toten und für die Überlebenden doch noch eine
       Entschädigung geben. Schon im Herbst 2013 einigten sich Gewerkschaften,
       Modefirmen und NGOs auf ein Verfahren, das von vielen der Beteiligten als
       „bahnbrechend“ gefeiert wird. Während bei früheren Industrieunglücken in
       Bangladesch, die Opfer oft mit Pauschalzahlungen von 1.000 Euro abgespeist
       wurden oder jahrelang vor Gericht um Entschädigung kämpften, soll das „Rana
       Plaza Arrangement“ für zuverlässige Zahlungen sorgen.
       
       Das Modell ist einfach gedacht: Internationale Modefirmen zahlen in einen
       Fonds unter Schirmherrschaft der UN-Arbeitsorganisation ILO, und aus dem
       Fonds wird den ArbeiterInnen je nach Schaden eine Entschädigung gezahlt. So
       könnten die internationalen Marken das Geld zahlen, ohne Verantwortung am
       Unglück eingestehen zu müssen, und den Empfängern blieben lange
       Gerichtsprozesse erspart.
       
       Doch das Verfahren ist kompliziert geworden. Sowohl die Sprecher des
       Entschädigungsfonds als auch Gewerkschafter, die beteiligt sind, räumen
       ein, dass sie es nicht mehr ganz überblicken. Das liegt teilweise an den
       internationalen Firmen selbst. Der Entschädigungsfonds braucht nach
       Schätzung der ILO etwa 29 Millionen Euro, bisher haben 16 Firmen – darunter
       Milliardenkonzerne wie Kik, C&A und Walmart – aber gerade einmal 6
       Millionen eingezahlt.
       
       Zudem gab es einen Alleingang der Billigmarke Primark, die Ende März den
       ArbeiterInnen von einer der fünf Fabriken je 500 Euro auszahlte. Damit alle
       gleich behandelt werden, sollen die restlichen ArbeiterInnen nun auch
       pauschal 500 Euro erhalten, aber vom Entschädigungsfonds. Außerdem werden
       täglich etwa vierzig Opfer, bzw. Angehörige von Toten, in ein Büro geladen
       um ihre Schäden aufzunehmen und die weitere Entschädigung zu berechnen.
       
       ## Die ArbeiterInnen sind verwirrt
       
       Doch so viel Information ist in Savar nicht angekommen. Im Gegenteil, das
       Verfahren wirft für viele der ArbeiterInnen neue Fragen auf: Wer bekommt
       eigentlich Geld? Nur die ArbeiterInnen von Primark-Fabriken oder alle?
       Bekommen alle ArbeiterInnen Pauschalzahlungen oder wird nach Schaden
       gerechnet? Bleibt es bei den 500 Euro oder kommt noch mehr? Und von wem
       kommt das Geld eigentlich? Was tut man, wenn man eigentlich Anspruch habe,
       aber kein Geld bekommen habe?
       
       Der Entschädigungsfonds selbst hat keine Informationsstelle und auch die
       beteiligten Gewerkschaften wollen die Aufgabe nicht übernehmen. „Wie können
       wir den Arbeitern sagen, es kommt Geld, wenn der Fonds noch nicht
       ausreichend gefüllt ist?“, sagt etwa Roy Ramesh Chandra, der
       Generalsekretär des globalen Verbundes IndustriALL in Bangladesch.
       
       Etwa drei Kilometer südlich von der Einsturzstelle hat die Regierung ein
       kleines Informationsbüro eingerichtet, in einem Baugebiet am Ende einer
       Staubpiste. Es ist gerade einmal acht Quadratmeter groß und besteht aus
       zwei Tischen mit Computern. Insgesamt arbeiten hier vier Männer, viel zu
       wenige, um alle 3.600 ArbeiterInnen und Angehörige zu informieren. „Wir
       beantworten von früh bis nachts Hunderte Anrufe“, sagt Büroleiter Masum
       Khan. Er und seine Kollegen schafften es lediglich 200 ArbeiterInnen pro
       Monat anzurufen. Bei dem Tempo würde es knapp zwei Jahre dauern, bis alle
       erreicht sind.
       
       Viele der Fragenden, die hier ankommen, werden von Khan nach Savar
       zurückgeschickt. In einer Nebenstraße gegenüber dem ehemaligen Rana Plaza
       betreiben die parteinahen Gewerkschaften in Bangladesch eine Klinik.
       ArbeiterInnen, die zum Zeitpunkt des Einsturzes im Rana Plaza gearbeitet
       haben, bekommen hier kostenlos Diagnosen, Medikamente und Physiotherapie.
       Und Bürochef Choudhury Borhanuddin pflegt eine Liste derjenigen, die bei
       den Zahlungen von Primark leer ausgingen, obwohl ihnen Geld zustehen würde.
       
       Die Gewerkschaften, die die Klinik tragen, seien auch Teil von IndustriALL,
       und die wiederum in Verbindung mit Primark, erzählt Borhanuddin. So gebe es
       einen kurzen Dienstweg: er nehme die Namen derjenigen auf, die einen
       Anspruch geltend machen und schicke sie an seine Chefs. Die würden die
       Liste dann an Primark weiterleiten. „Wir haben hier mit der medizinischen
       Betreuung genug zu tun“, sagt Borhanuddin. „Dass hier mache ich nebenher,
       weil ich täglich mit den Leuten zu tun habe.“
       
       Und damit scheint er das Vertrauen der ArbeiterInnen zu haben. Schon
       Stunden bevor er im Büro eintrifft, warten ein gutes Dutzend Männer und
       Frauen auf ihn. Nur wenige wollen eine Behandlung. Die meisten bitten und
       betteln darum, dass ihre Namen auf der Liste eingetragen werden. Auch Lipy
       hat ihre Daten hier angegeben, aber Fragen hat sie immer noch.
       
       18 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lalon Sander
       
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