# taz.de -- Neonazis in Hoyerswerda: Nachts schleichen sie um das Heim
       
       > Erstmals seit dem Pogrom von 1991 hat Hoyerswerda wieder ein
       > Asylbewerberheim. Doch nach dem jüngsten Angriff haben die Bewohner
       > Angst.
       
 (IMG) Bild: Auch an Ostern seien sie gekommen und hätten Flaschen und Böller geworfen, sagen die Bewohner.
       
       HOYERSWERDA taz | Zuerst sieht Maslum Baker den Schatten vor dem Fenster,
       dann die Sturmhaube. Sie ist rot. Der Mann, der um kurz nach 3 Uhr nachts
       in sein Zimmer blickt, hält einen Hammer in der Hand. Er schlägt damit
       gegen das Glas, zehn-, elfmal. Tellergroße Scherben fallen in das
       Sechsbettzimmer, auf Bakers Kopfkissen. Baker schreit, dann löst er die
       Feuersirene aus – damit das Asylbewerberheim in Hoyerswerda erwacht.
       
       Doch es kommen weder Feuerwehr noch Polizei. Obwohl die Bewohner und der
       Nachtwächter der neuen Flüchtlingsunterkunft in der sächsischen Stadt in
       den frühen Morgenstunden um Hilfe rufen, müssen sie warten. Zur gleichen
       Zeit sind die Streifenwagen von Hoyerswerda zu einer „Massenschlägerei“
       gerufen. Ein paar Straßen weiter kümmern sich die Polizisten um vier
       Personen und müssen erst um Verstärkung aus dem Nachbarort bitten.
       „Deswegen kam es zur zeitlichen Verzögerung“ von rund 20 Minuten, erklärt
       ein Sprecher der zuständigen Polizeidirektion Görlitz.
       
       Die Bewohner versammelten sich vor der Tür ihrer Unterkunft. „Kinder,
       Frauen, alle“, sagt Baker. Die dunklen Locken reichen ihm in den Nacken,
       das Kinn ist schmal, die Stimme leise. Als alle draußen standen, seien die
       Angreifer verschwunden, sagt er.
       
       Erstmals seit 1991 Anwohner beinahe alle Asylbewerber und Gastarbeiter aus
       Hoyerswerda vertrieben hatten, hat der Landkreis Bautzen in diesem Jahr
       hier wieder Flüchtlinge in einer ehemaligen Förderschule einquartiert.
       
       85 Erwachsene und 32 Kinder schlafen in den Klassenräumen – auf Matratzen
       in Metallgestellen. Die Stockbetten, die bei ihrem Einzug in den Räumen
       standen, haben sie auseinander genommen. Blaue Blumen sind auf die
       Bettbezüge gedruckt, und draußen wurde die Fassade mit Pastellfarben
       gestrichen.
       
       Auf dem Platz, der früher der Schulhof war, sitzen heute junge Männer auf
       den Bänken. Sie beobachten die kleinen Kinder, die auf Fahrrädern
       umherfahren. Hier, hinter dem schweren, grauen Zaun, der den Platz von der
       Straße trennt, stehen auch sie unter Beobachtung. Die Unterkunft steht
       mitten im Stadtzentrum. Drei Monate nach ihrer Eröffnung häufen sich die
       Drohungen und Angriffe auf die Asylbewerber, tagsüber und in der Nacht.
       
       ## Bespuckt und beschimpft
       
       Mit dem Anschlag am vergangenen Samstag sei eine „neue Dimension der
       Bedrohung“ erreicht worden, sagt Renate Walkenhorst von der
       Heim-Betreiberfirma European Homecare GmbH. Sie will jetzt abwarten, wie
       die Polizei reagiert.
       
       Am Dienstag gaben die Polizeidirektion Görlitz und das Operative
       Abwehrzentrum gegen Extremismus des Landes Sachsen bekannt, dass man gegen
       einen 25-jährigen Täter ermittle, wegen „Sachbeschädigung in Tateinheit mit
       versuchter gefährlicher Körperverletzung“. Dass der Mann aus dem
       rechtsextremen Spektrum stamme, wollte die Sprecherin des Abwehrzentrums
       nicht bestätigen. Es spricht jedoch einiges dafür.
       
       Die Betreiber der NPD-nahen Facebookseite „Nein zum Heim Hoyerswerda“
       kommentierten unmittelbar nach der Tat den Polizeibericht mit dem Satz:
       „Vielleicht war es ja auch bloß der Osterhase, der ein paar nette
       Überraschungen bringen wollte?“ 20 der 2.365 Fans gefällt das. „Nur nicht
       aufgeben!!!“, schreibt einer.
       
       In den vergangenen Wochen hatten zwei Frauen Anzeige erstattet, weil sie
       bedroht wurden. „Junge deutsche Männer“ hatten eine Libyerin mit dem Auto
       bedrängt und waren auf dem Bürgersteig auf sie zugefahren, als sie einen
       Kinderwagen zum Einkaufscenter schob. Sie trug ein Kopftuch. Vier Tage
       zuvor hatten Autofahrer eine Syrerin bespuckt und beschimpft.
       
       Bereits kurz nach dem Einzug der Asylbewerber Anfang Februar hatte ein
       Fahrradfahrer einen Marokkaner auf dem Marktplatz geschlagen. Seither
       umkreisen in den Nächten immer wieder junge Leute mit Autos die Unterkunft.
       Sie hupen, rufen, werfen Flaschen über den Zaun. Sie sind in Maslum Bakers
       Alter, um die 25 Jahre, oder jünger. Kinder.
       
       „Hoyerswerda hat eine aktive Naziszene“, sagt Andrea Hübler von der
       Opferberatung der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und
       Demokratie Sachsen. Rund 25 Neonazis gehörten zum Kern der Gruppe, die sich
       „Autonome Nationale Hoyerswerda“ nennt. Acht von ihnen hatten sich im
       Herbst vor Gericht verantworten müssen, weil sie ein antifaschistisches
       Paar bedroht hatten. Dieses hatte daraufhin die Stadt verlassen, weil die
       Polizei keinen Schutz mehr garantieren konnte.
       
       Auch wenn das Sicherheitsglas am Samstag dem Angriff standhielt und der
       Maskierte nicht in das Heim gelangte: Die Bewohner des Asylbewerberheims
       sind nervös. Sie berichten, dass auch in den Osternächten Menschen um das
       Gebäude geschlichen seien, um mit Flaschen und Feuerwerkskörpern auf die
       Unterkunft zu zielen. Die Polizei bestätigt diese Vorfälle nur zum Teil: Es
       sei „nicht abwegig“, dass Bewohner selbst die Böller gezündet hätten, sagt
       ein Polizeisprecher.
       
       Am Sonntagabend hatten Asylbewerber zweimal den Feueralarm ausgelöst. Einen
       Anlass dafür habe es nicht gegeben, sagten Polizisten vor Ort. Diesmal
       standen sie mit vier Einsatzwagen vor der alten Förderschule. Für knapp
       900.000 Euro hatte das Landratsamt Bautzen das Gebäude im vergangenen Jahr
       renoviert, vor allem um die Unterkunft mit Zäunen, Glas und Kameras zu
       sichern. Die Betreiberfirma rühmte sich bei der Eröffnung mit der Nähe zum
       örtlichen Polizeirevier. Dass in der Angriffsnacht Polizisten auf sich
       warten ließen, ist nicht nur deshalb bitter für Hoyerswerda.
       
       Schon bevor das erste Mal seit 23 Jahren wieder Asylbewerber in die Stadt
       kamen, hatten sich rund 120 Vertreter aus Kirche, Stadt und Nachbarschaft
       zum Bürgerbündnis „Hoyerswerda hilft mit Herz“ zusammengeschlossen, um die
       Flüchtlinge mit Solidaritätsaktionen und Freizeitangeboten zu unterstützen.
       Um eine neue Willkommenskultur zu prägen.
       
       ## Kein besonderer Polizeischutz
       
       Am Dienstag veröffentlichte das Bündnis die Polizeimeldung des Anschlags
       auf seiner Facebookseite – bloß mit der Bitte, alle weiteren Fragen „an die
       zuständige Polizeidirektion zu richten“.
       
       Die Polizei befindet: „Menschen mit Migrationshintergrund leben in
       Hoyersweda grundsätzlich nicht mehr oder weniger gefährlich als in anderen
       Städten Deutschlands. Dies vorangestellt, sieht die Polizeidirektion
       Görlitz keinen Anlass, Bewohnern des Asylbewerberheims in Hoyerswerda
       bestimmte Sicherheitsempfehlungen zu geben.“
       
       Weder nach der Vertreibung des Pärchens durch Neonazis noch seit der
       Eröffnung der Unterkunft habe man mehr Polizisten in der Stadt eingesetzt,
       sagt der Sprecher des sächsischen Innenministeriums, Martin Strunden.
       Polizeistärke sei aber auch vielmehr „eine Frage der Einsatzführung, nicht
       des Personals“.
       
       Auch das Landratsamt Bautzen, das für die Unterbringung der Asylbewerber
       verantwortlich ist, werde erst einmal nichts unternehmen, sagt dessen
       Sprecher, Gernot Schweitzer: „Ein Wachmann mehr wird an der Sache nichts
       ändern.“ Man werde die Vorfälle „registrieren“.
       
       Bereits Mitte letzter Woche hatten Asylbewerber einen offenen Brief an die
       Hoyerswerdaer Bevölkerung veröffentlicht: „Wir bitten um Ihre Hilfe, damit
       unsere Kinder keine Angst mehr auf dem Schulweg haben müssen und die Mütter
       sich nach den letzten Übergriffen wieder allein zum Einkaufen trauen“,
       schrieben drei von ihnen darin.
       
       Jetzt wollen die Familien ihre Kinder gar nicht mehr zur Schule schicken,
       sagt Maslum Baker. Er ist vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland
       geflüchtet. Auch in Hoyerswerda hat er sich nun vorerst in Sicherheit
       gebracht: Er ist umgezogen, in die zweite Etage.
       
       25 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristiana Ludwig
       
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