# taz.de -- Steuerpolitik der Großen Koalition: Täglich grüßt die Progression
       
       > Union und SPD wollen beide verdeckte Steuererhöhungen abschaffen. Um die
       > nötigen Milliarden dafür aufzubringen, suchen sie einen Kompromiss.
       
 (IMG) Bild: Finanzminister Schäuble meditiert über die kalte Progression.
       
       BERLIN taz | Das bürokratische Wortpaar „kalte Progression“ mutiert zum
       Dauerbrenner in der Koalition. Im Grunde sind sich Union und SPD ja einig,
       dass sie den Mechanismus versteckter Steuererhöhungen abschaffen wollen.
       Heiß umkämpft ist aber, woher die dafür nötigen Milliarden kommen sollen.
       Während die SPD die Korrektur gerne über eine Erhöhung des
       Spitzensteuersatzes finanziert hätte, sind für CDU und CSU Steuererhöhungen
       tabu. Wie aber könnte ein Kompromiss aussehen?
       
       SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte am Montag einen Satz, der die alte Debatte
       neu belebt: „Das muss aufgrund der hohen Steuereinnahmen in dieser
       Legislaturperiode auch ohne Steuererhöhungen und auch ohne soziale
       Kürzungen möglich sein.“ Ohne Steuererhöhungen: So klar hat Gabriel das
       noch nie gesagt, auch wenn er zuvor immer wieder Kompromissbereitschaft
       signalisierte, zuletzt Mitte April im Bundestag.
       
       Die kalte Progression ist ein absurder Effekt des deutschen Steuersystems.
       Dessen Steuertarife werden nicht an die Inflation angepasst. Arbeitnehmer,
       die eine Gehaltserhöhung bekommen, können deshalb in einen höheren
       Steuertarif rutschen, ohne real mehr zu verdienen. Nach Schätzungen von
       Ökonomen würde es den Staat 4 Milliarden Euro jährlich kosten, diesen
       Effekt abzuschaffen. Die Steuerersparnis wäre für die meisten Arbeitnehmer
       gering, zumal die Preissteigerungsraten im Moment sehr niedrig liegen.
       
       Dennoch versprechen sich beide Koalitionspartner politische Rendite. Die
       Union profiliert sich mit ihrem Nein zu Steuererhöhungen als Schutzmacht
       der Gutverdiener, sie würde gerne eine kleine Steuersenkung verkaufen. Die
       SPD hat ihre ebenfalls gut verdienende Facharbeiter-Klientel im Auge. Und
       weiß, dass sich die Gewerkschaften die Abschaffung wünschen.
       
       ## Ein typischer Schäuble
       
       Gabriel macht nun einen kleinen Schritt auf die Union zu. Keine
       Steuererhöhungen – aber was dann? Die SPD schlägt alternativ den Abbau von
       Steuervergünstigungen vor, um die Reform zu finanzieren. Die
       Sozialdemokraten präsentierten in den Koalitionsverhandlungen eine Liste
       von Vorschlägen, etwa den, die von Schwarz-Gelb beschlossenen Nachlässe für
       Hoteliers wieder zurückzunehmen.
       
       Dagegen verwahrte sich die Union, die Liste wurde beerdigt. Gabriel dürfte
       sie im Sinn haben, wenn es um die Kompromisssuche geht. In der Union ist
       die Lage unübersichtlicher. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte
       dem aktuellen Spiegel: „Sobald im Haushalt Spielräume entstehen und es
       einen gemeinsamen Willen der Koalitionspartner gibt, das Thema kalte
       Progression anzugehen, bin ich der Letzte, der sich dem Vorhaben
       verschließt.“ Der Satz ist ein typischer Schäuble. Er zeigt sich seit
       Monaten offen für eine Änderung, hält sich aber mit
       Finanzierungsvorschlägen zurück.
       
       Ähnlich sieht es in der Union aus. Zwar kursieren mehrere Modelle für die
       Abschaffung der kalten Progression, bei der Gegenfinanzierung werden die
       Ideen jedoch übersichtlich. Die einen, etwa CDU-Haushälter Norbert Barthle,
       betonen nur den Verzicht auf Steuererhöhungen. Die anderen, etwa
       Unionsfraktionsvize Michael Fuchs, können sich Einsparungen bei
       Subventionen vorstellen. Ähnlich wie SPD-Chef Gabriel also, aber doch ganz
       anders. Denn der Bund gießt sein Füllhorn über ungezählte Projekte aus.
       Manche Subventionen sind der Union wichtig, andere der SPD, wieder andere
       beiden wenig. Dieses Geflecht ermöglicht deshalb einen Kompromiss, bei dem
       beide Seiten ihr Gesicht wahren können.
       
       Bis dahin wird es aber noch dauern. Der Regierungssprecher sagte am
       Mittwoch, in den Jahren 2014 und 2015 seien „keine Spielräume“ in Sicht,
       sich der kalten Progression anzunehmen. Womit es auf das Jahr 2016
       hinauslaufen dürfte, bevor dann 2017 ein neuer Wahlkampf beginnt.
       
       28 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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