# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Der Drill der frühen Siedler
       
       > Die vom Historiker Julius Schoeps publizierte Studie „Der König von
       > Madian“ zeigt, dass alles Erhabene und Tragische im Lächerlichen wurzelt.
       
 (IMG) Bild: Heute exerzieren hier nur Schiffe: Suez-Kanal.
       
       „Hegel bemerkte“ – so Karl Marx in einer berühmten Formulierung –, „dass
       alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen
       zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als
       Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Marx meinte wohl – so liest sich diese
       Passage heute –, dass die Tragödie stets der Farce vorausgehen muss.
       
       Dass auch die umgekehrte Reihenfolge möglich ist, zeigt eine bisher
       unbekannte Episode aus der Geschichte des Zionismus. In diesen Tagen, zum
       66. Jubiläum der Gründung des Staates Israel, nach dem Scheitern des
       US-amerikanischen Plans zur Fortsetzung des sogenannten Friedensprozesses
       im Nahen Osten, scheint das mehr zuzutreffen denn je: Die Farce ging
       allemal der jetzigen Tragödie voraus. Das zeigt die soeben vom Historiker
       Julius Schoeps publizierte Studie: „Der König von Madian“.
       
       Im Sommer 1891 reiste ein damals durchaus nicht unbekannter Erforscher der
       englischen Renaissance, ein von Hause aus wohlhabender Privatgelehrter,
       nach Krakau, um dort mittellose russische Juden dafür zu gewinnen, auf
       Basis einer vertraglichen Abmachung auf der Arabischen Halbinsel, die
       damals noch zum Osmanischen Reich gehörte, eine jüdische Kolonie zu
       errichten.
       
       Der mit etwa vierzig Männern geschlossene Vertrag enthielt eine Klausel,
       nach der sich die Männer verpflichteten, „im Falle eines räuberischen
       Angriffs auch Waffendienst zur Abwehr desselben zu verrichten“.
       
       ## „23.000 Köpfe“ auf 23.000 Quadratkilometern
       
       Paul Friedmann, der Betreiber des Projekts, 1840 in Berlin geboren, lebte
       in London. Er ließ sich von der Not der unter Pogromen leidenden russischen
       Juden rühren. Damit stand er keineswegs allein: von Mäzenen geförderte
       Siedlungsprojekte sowie Pläne zur Errichtung eines jüdischen Staats
       geisterten spätestens seit der Französischen Revolution durch die jüdische,
       die imperiale und die philanthropische Welt, lange vor Theodor Herzl.
       Friedmann war vom Gedanken an eine Wiederbesiedlung biblischen Landes
       besessen: Daher gab er dem ins Auge gefassten arabischen Landstrich in
       Anlehnung ans biblische „Midian“ den Namen „Madian“.
       
       Zur Besiedlung schien dieses Land am Roten Meer schon deswegen besonders
       geeignet, weil dort nach Friedmanns Recherchen auf 23.000 Quadratkilometern
       lediglich „23.000 Köpfe“ lebten. Spätere Palästina ins Auge fassende
       Zionisten sprachen gern vom „Land ohne Volk“ für das „Volk ohne Land.“
       
       Die internationale Politik – das zeigen diplomatische Quellen aus dem
       Osmanischen und Deutschen Reich, aus Großbritannien, Ägypten und
       Österreich-Ungarn – war ob Friedmanns Vorhaben alles andere als amüsiert,
       denn: Um eventuellen beduinischen Angriffen standhalten zu können, mussten
       die künftigen Siedler mit Gewehren ausgerüstet und härtestem militärischem
       Drill unterworfen werden. Anfang Dezember erreichte die von Friedmann
       gecharterte Dampfjacht „Israel“ Suez, wo die künftigen Siedler exerzieren
       mussten. Der Drill endete katastrophal.
       
       ## Vom „Erhabenen“ zum „Lächerlichen“
       
       Im Januar 1892 berichtete eine jüdische Zeitung aus Mainz: „Ein
       zwanzigjähriger Jüngling namens Rosnovsky aus Odessa … brach aus Mattigkeit
       beim Exerciren zusammen. Barsch von Lieutenant a. D. Thiele zum Fortsetzen
       des Exercirens aufgefordert, erwiderte Rosnovsky, dass es ihm unmöglich
       ist, und schon im nächsten Augenblick wurde er auf Befehl des Vorgesetzten,
       Baron von Seebach, arg mit Nilpeitschen mißhandelt, unter Schimpfen und
       Fluchen seiner Uniform entblößt und fortgejagt.“
       
       Dieser Vorgang, der zum Streik der anderen Siedler führte, war der Anfang
       vom Ende von Friedmanns Unternehmen. Resigniert schrieb der Philanthrop
       nach Wien: „… unsere Juden sind meiner Meinung nach durchaus nicht das
       geeignete Material für unser Unternehmen …“
       
       Die klassische Dramentheorie wusste, dass es vom „Erhabenen“ zum
       „Lächerlichen“ nur ein Schritt ist; wie aber könnte eine
       Geschichtsphilosophie aussehen, die sich des Umstands bewusst wäre, dass
       alles Erhabene und Tragische im Lächerlichen wurzelt?
       
       12 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Micha Brumlik
       
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