# taz.de -- Russische Journalisten in Deutschland: Putins Plaudertaschen
       
       > In deutschen Medien kommen seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise viele
       > russische Journalisten zu Wort. Sie wirken wie Regierungssprecher.
       
 (IMG) Bild: Durch die russische Brille betrachtet wirkt die Welt plötzlich ... irgendwie anders
       
       BERLIN taz | Nato-Satelliten haben gerade eine bedrohliche Konzentration
       russischer Truppen an der ukrainischen Grenze ausgemacht, da erscheint
       Dmitri Tultschinski, 62, als russischer Aufklärer an der deutschen
       Talkshow-Front – wie seit Beginn der Krim-Krise so manches Mal.
       
       Es ist der 3. April 2014, doch was der Gast von sich gibt, klingt eher nach
       dem 1. April: „Ja, da bin ich nicht so gut informiert, Frau Harms. Also
       wenn Sie schon darüber informiert sind, dass da Feldlazarette sind. Jaja,
       Russland sagt: Das sind Manöver, Manöver, die erklärt sind, so etwas kommt
       dabei vor. Das sind die Manöver, die schon angekündigt worden sind. Manche
       Manöver sind nicht angekündigt, aber werden auch transparent. Manche kommen
       aus dem Stegreif, also um die Bereitschaft der Soldaten zu prüfen.“
       
       Unklar, ob die grüne Europa-Abgeordnete Rebecca Harms mit diesem
       Geschwurbel in Michel Friedmans „Studio“ auf N24 irgendetwas anfangen
       konnte. Dass Tultschinski sich dumm stellt, könnte man angesichts des
       häufig brüllenden Moderators sogar verstehen. Doch verbietet sein Job solch
       profunde Unwissenheit. Er ist seit dem Jahr 2000 Leiter des
       Deutschlandbüros der staatlichen russischen Presseagentur Ria Novosti.
       
       Anfang Dezember hat Wladimir Putin die Ria Novosti einer
       Mega-Medienmaschine namens „Russland Heute“ einverleibt, einem Konglomerat
       aus Print- und Onlinemedien und dem ehemaligen Radio Moskau. Sie soll an
       einer positiveren Wahrnehmung Russlands arbeiten, unter anderem mit einer
       „zeitgerechten Sprache“. Unabhängig von ihr operiert in dieselbe Richtung
       der TV-Propagandasender Russia Today (RT) mit seiner deutschen Tochter
       Ruptly-TV.
       
       ## Propaganda für den Staat
       
       Ruptly-TV-Chef Ivan Rodionov, 49, gastierte seit der Krim-Invasion wie
       Tultschinski dauernd in deutschen Talkshows. Dort sollen die beiden
       offenbar das Reibungspotenzial erhöhen. Vorgestellt werden sie meist als
       „russische Journalisten“. Praktisch sind sie Regierungssprecher. Ebenso
       ausgebucht ist Anna Rose, Deutschlandkorrespondentin und Reporterin der
       Rossijskaja Gazeta, einer regierungsnahen Zeitung.
       
       Dmitri Tultschinski begleitete in der Gorbatschow-Ära
       AuslandskorrespondentInnen durch die Sowjetunion für die offizielle Agentur
       APN. Auch deren Aufgabe war es, die Errungenschaften des eigenen Staates in
       der Welt zu propagieren. Tultschinski spielte diese Rolle flexibel, machte
       die Gäste auch mal mit Schriftstellern und Vertretern ketzerischer
       Wirtschaftstheorien bekannt.
       
       Als Perestroika-Vermittler war er in seinem Element. Doch seine Mission in
       diesen Tagen absolviert der sonst umgängliche Mann mit Granitmiene – nicht
       nur bei Friedman. Dem haut Tultschinski die „zeitgerechte“ Sprache um die
       Ohren: „Krim ist jetzt Russland. Das ist ein Faktum. Und wenn Sie das immer
       noch 'interessant' finden, dann sind Sie ein bisschen zurückgeblieben.“
       
       Bei diesem Talkmaster tritt Ivan Rodionov im März noch einen Zacken härter
       auf. Den militärischen Charakter von Putins Invasion auf der Krim zu
       unterstreichen, erklärt er, sei genauso, als charakterisiere jemand als
       Ziel von Stalins Truppen im Zweiten Weltkrieg: „Sie nahmen Berlin ein und
       trieben den demokratisch gewählten Reichskanzler in den Selbstmord.“
       
       Rodionov hat an der Moskauer Fremdsprachenuniversität Germanistik studiert.
       Als Journalist arbeitete er auch für deutsche Medien. Er verteidigt den
       Kreml auf Biegen, Brechen und Sich-selbst-Widersprechen. Dass es sich bei
       den intervenierenden Kämpfern auf der Krim um Russen gehandelt habe,
       bestreitet er: „Woher haben Sie das?“ Ein anderes Mal deutet er an, eine
       russische Intervention sei notwendig gewesen, um Gräueltaten wie im Kosovo
       zu verhindern.
       
       ## Jauch fragt gar nicht erst nach
       
       Mit schöner Regelmäßigkeit lassen sich deutsche Moderatoren von den
       Vertretern offiziöser russischer Medien Bären aufbinden. Friedman schweigt,
       als Tultschinski kühn behauptet, es gäbe in Russland keine bewaffneten
       Banden, und lenkt ein, als Rodionov die Existenz von Arbeitslagern in
       Russland leugnet.
       
       Günther Jauch fragt am 23. März im Ersten nicht einmal nach, was Dmitri
       Tultschinski eigentlich meint, wenn der die Annexion der Krim
       folgendermaßen als notwendig verteidigt: „Die Zukunft in Kiew verspricht ja
       nicht so rosa zu werden.“
       
       Da macht Anne Will ihre Hausaufgaben schon besser, blendet auch
       Dokumentartrailer oder Interviews aus Russland und der Ukraine ein, so zum
       Beispiel am 5. März. In der Sendung gibt sie Putins Worte wieder: „Wenn die
       ukrainische Armee auf Frauen und Kinder schießt, werden die russischen
       Soldaten sich vor sie stellen und sie beschützen.“
       
       Dann fragt sie Anna Rose von der Rossijskaja Gazeta: „Zeichnet Wladimir
       Putin ein extra düsteres Bild?“ Diese weicht aus: „Wie die deutschen
       Zeitungen berichten, gibt es da eine Intervention. Ich kann das weder
       bestätigen noch unterstützend bejahen noch negieren.“
       
       ## Gekränkte Großmacht
       
       Die betont grau in grau gekleidete Rose erwarb ein Journalistik-Diplom in
       Moskau und eines als Dolmetscherin an der Berliner Humboldt-Universität.
       Ihre Dissertation in klassischer Philologie schloss sie mit einem
       Stipendium der Thyssen-Stiftung ab.
       
       Heute betreibt sie ein Dolmetscherbüro in der deutschen Hauptstadt,
       benötigte aber offenbar trotzdem ein zweites Standbein. In einem Interview
       schilderte sie, dass sie mehrere Jahre freiberuflich für verschiedene
       russische Blätter schrieb, ehe sie eine feste Stelle fand.
       
       Bei den Studiogesprächen geht sie lebhaft mit. Oft spiegelt in ihrer Miene
       so etwas wie ein Lernprozess – bis zu einem gewissen Punkt. Wie die beiden
       anderen empfindet nämlich auch sie stellvertretend für die eigene Großmacht
       eine – in ihrem Fall besonders aufgeblähte – narzisstische Kränkung.
       
       So explodiert Anna Rose am 28. Februar in der Deutschlandradio-Sendung
       „Wortwechsel“, als von der Gleichschaltung der russischen Medien die Rede
       ist: „Zusammen mit Deutschland könnte Russland eigentlich die Ukraine auf
       den richtigen politischen und wirtschaftlichen Weg bringen. Nur die Belange
       Russlands werden hier nicht respektiert. Russland wird hier nicht als
       gleichberechtigter Partner wahrgenommen. Man sagt hier, dass Russland ein
       autoritärer Staat ist, und diesen Diktator muss man nicht beachten. Es ist
       die Meinung, die hier herrscht: Die Bevölkerung dort ist verblödet und
       durch Propaganda unfähig gemacht.“
       
       Damit unterbricht sie ausgerechnet Sabine Adler, erfahrene
       Ex-Russland-Korrespondentin des Deutschlandfunks mit vielen russischen
       FreundInnen und Autorin dreier einfühlsamer Bücher über russische Themen.
       
       Nach einigen Sendungen wird das Rezept deutlich, nach dem die Vertreter der
       russischen Regierung in Fernsehshows kochen: Man stelle sich unwissend
       bezüglich der jüngsten politischen Ereignisse um die Krim-Ukraine-Krise.
       Dann lenke man von jedem aufgezählten russischen Verstoß gegen das
       internationale Recht durch Hinzufügen eines westlichen Verstoßes in den
       vergangenen 20 Jahren ab, so dass die Summe der Zutaten null ergibt. Zum
       Schluss würze man mit ein paar kräftigen Lügen über die Verhältnisse im
       eigenen Land und übergieße das Ganze mit einer dicken Soße aus beleidigter
       Leberwurstfüllung.
       
       12 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Kerneck
       
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