# taz.de -- Pro & Contra Erdogan-Auftritt: Von Soma bis Köln
       
       > Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan tritt am Samstag vor Tausenden
       > Anhängern in Köln auf. Darf der das? Ein Pro & Contra.
       
 (IMG) Bild: Wird sie Erdogan wiedersehen wollen? AKP-Anhängerin in der KölnArena beim Auftritt des Premiers im Februar 2008.
       
       ## Der Hau-den-Türken-Affekt
       
       Es gibt einiges, was man an Erdogan kritisieren kann – und fast täglich
       wird es mehr, denn der türkische Premier lässt seit geraumer Zeit kaum eine
       Gelegenheit aus, andere vor den Kopf zu stoßen.
       
       Dass er öfter mal zu Wahlkampfzwecken nach Deutschland kommt, das kann man
       ihm aber schwerlich vorwerfen, das ist sein gutes Recht. So, wie es das
       gute Recht seiner vielen Kritiker ist, hierzulande gegen seinen Auftritt zu
       demonstrieren. Beides gehört zur Demokratie.
       
       Rund drei Millionen Menschen leben in Deutschland, deren familiäre Wurzeln
       in der Türkei liegen. Mindestens die Hälfte von ihnen besitzt die türkische
       – und zwar nur die türkische! – Staatsbürgerschaft. Die Regierung Erdogan
       hat diesen Landsleuten nun erstmals die Möglichkeit eingeräumt, bei Wahlen
       in der Türkei auch hierzulande ihre Stimme abzugeben. Schon allein dafür
       sind ihm viele Wähler dankbar.
       
       Dass es hier überhaupt eine so große türkische Minderheit gibt, ist nicht
       zuletzt das Erbe einer deutschen Einwanderungspolitik, die es über
       Jahrzehnte hinweg verhindert hat, dass sich diese Menschen in Deutschland
       heimisch fühlen und als gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft
       empfinden. Der Zuspruch, den ein Populist wie Erdogan bei vielen von ihnen
       findet, zeigt auf schmerzhafte Weise auch die Versäumnisse der deutschen
       Politik auf.
       
       Weil sie davon ablenken wollen, heulen manche deutsche Politiker jedes Mal
       reflexhaft auf, wenn Erdogan mal wieder vor der Tür steht. Der
       Arbeitsminister von Nordrhein-Westfalen, Guntram Schneider (SPD),
       behauptete jetzt, der Ministerpräsident der Türken in seinem Land heiße
       nicht Erdogan, sondern Hannelore Kraft. Manche seiner Kollegen aus der
       Union empfahlen gar, Erdogan solle lieber zu Hause bleiben. Dieser
       Paternalismus ist anmaßend. Denn es ist Sache der türkischen Wähler, nicht
       deutscher Politiker und Journalisten, Erdogan in die Wüste zu schicken.
       Zumal bei deren populistischem Erdogan-Bashing immer auch ein
       problematischer Hau-den-Türken-Affekt mitschwingt.
       
       Denn es ist ja nicht einzusehen, warum Erdogan verweigert werden sollte,
       was einem Barack Obama, einem François Hollande oder einem Silvio
       Berlusconi ganz selbstverständlich zugestanden wird. Die wenden sich bei
       ihren Besuchen in Deutschland immer auch an ihre potenziellen Wähler, hier
       und zu Hause. Noch merkwürdiger ist es, Erdogan den Mund verbieten zu
       wollen, nachdem Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Staatsbesuch in
       der Türkei auch nicht gerade ein Blatt vor den Mund genommen hat. Das zeugt
       von einem merkwürdigen Demokratieverständnis und von Doppelmoral – und ist
       damit Wasser auf die Mühlen Erdogans. DANIEL BAX 
       
       ***
       
       ## Erdogan und seine Entourage gehören geächtet
       
       Sechs Jahre ist es her, da hielt Recep Tayyip Erdogan eine Rede in Köln. Es
       war weder seine erste Rede dort noch war es jene Rede, in der er
       Assimilation zum Menschheitsverbrechen erklärte (das kam zwei Jahre
       später). Die taz feierte ihn damals auf ihrer Titelseite als „Deutschlands
       neuen Integrationsminister“ – eine Kritik an der für mangelhaft befundenen
       deutschen Integrationspolitik, in der sich aber auch Bewunderung
       widerspiegelte.
       
       Denn so manche im linksalternativen Milieu waren ganz vernarrt in diesen
       Konservativen. Er würde den Einfluss der Militärs zurückdrängen und
       beweisen, dass Islam und Demokratie doch zusammenpassen. Und irgendwie
       würde er irgendwas für die „Integration“ der Deutschtürken tun.
       
       Nach zwölf Jahren Herrschaft der AKP muss man diese Hoffnungen an der
       Realität messen. Tatsächlich hat Erdogan die Generäle zu Staatsdienern
       degradiert. Aber je mehr er seine Gegner entmachtete, umso autoritärer
       wurde seine Herrschaft. Der AKP-Staat ist ein Polizeistaat, der das Erbe
       der alten Türkei nicht abgeschüttelt, sondern um den Faktor Islam ergänzt
       hat und auf Kritik nur eine Antwort kennt: Gummigeschosse und Tränengas.
       Erdogan selbst spielt inzwischen in jener Liga der Entrückten, in der
       Mielke und Gaddafi ihre letzten Tage verbrachten. Mit einem, der nicht
       zuhört, kann es keinen Dialog geben.
       
       Wenn es dafür eines letzten Beweises bedurfte, hat er diesen mit seinem
       Auftritt in der Unglücksstadt Soma geliefert: Erst sprach Erdogan in einer
       wirren Rede über Unglücke im England des 19. Jahrhunderts, dann prügelten
       sein Gefolge und offenbar auch er selber auf Demonstranten ein, einen
       beschimpfte er als "Samen Israels".
       
       Trotz allem hat er noch seine Fans in Deutschland. Einen Teil der
       Deutschtürken. Aber auch Ex-Politiker wie Rezzo Schlauch oder Ole von
       Beust, die als Lobbyisten ihre Rente aufstocken, oder den früheren
       Europaabgeordneten Ozan Ceyhun, der inzwischen Erdogan berät und weiterhin
       gute Kontakte ins Willy-Brandt-Haus unterhält. Und unentgeltliche
       Lobbyisten, die sich nicht eingestehen wollen, sich geirrt zu haben.
       
       Doch die Demokratisierung des politischen Islam ist bis auf Weiteres
       gescheitert. Nicht die Türkei, aber Erdogan und seine persönliche Entourage
       gehören geächtet. Man muss ihnen Einreiseverbote erteilen, ihre Konten im
       Ausland sperren, Geschäfte mit ihnen meiden, alle Beziehungen zur EU
       suspendieren. Und natürlich soll Erdogan nicht in Köln reden. Allein die
       Vorstellung, dass nach türkischen auch deutsche Polizisten seinetwillen
       Demonstranten niederknüppeln, ist unerträglich.
       
       Erdogan würde es nicht verstehen. Aber nicht die ganze Türkei ist so
       wahnhaft wie ihr Ministerpräsident. DENIZ YÜCEL
       
       19 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
 (DIR) Deniz Yücel
       
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