# taz.de -- Pasolini-Schatz gehoben: „Neapel, es steigt die Wut“
       
       > Der Hamburger Laika-Verlag hat den verloren geglaubten Dokumentarfilm
       > „Der 12. Dezember“ von Pier Paolo Pasolini gefunden und restaurieren
       > lassen. Gezeigt wird er im Zuge einer Pasolini-Retrospektive.
       
 (IMG) Bild: Filmisch ausgeleuchtet: Bombenanschlag auf eine Bank in Mailand.
       
       HAMBURG taz | Er gehört zu den großen Regisseuren aus der Blütezeit des
       italienischen Kinos, aber im Gegensatz zu Fellini, De Sica oder Visconti
       war und ist Pier Paolo Pasolini in seiner Heimat nicht beliebt.
       
       Der schwule, marxistische Mystiker ist unbequem, aber dennoch ist es
       erstaunlich, dass keine Institution der Kulturnation Italien, sondern ein
       kleiner Hamburger Verlag es fertigbrachte, ein verloren geglaubtes Werk von
       Pasolini zu finden und zu restaurieren. Dabei allerdings übernahm dann die
       Pasolini Gesellschaft in Bologna die Hälfte der Kosten.
       
       Der Dokumentarfilm „Dodici dicembre“ („Der 12. Dezember“) aus dem Jahr 1971
       taucht in den meisten Filmografien des Regisseurs gar nicht auf. Dabei
       zählt ihn der Soziologie-Professor und Pasolini-Übersetzer Peter Kammerer
       „zu den wichtigsten politischen Dokumenten der italienischen
       Nachkriegszeit“. Gezeigt wurde er allerdings kaum.
       
       Der Film gilt als eine Kollektivarbeit der politischen Gruppe „Lotta
       continua“, einer Art italienischer APO, zu der neben den Studenten auch
       viele junge Industriearbeiter gehörten. Zeitzeugen berichten allerdings,
       der Regisseur des Films sei schon Pasolini gewesen.
       
       Die Dokumentation wurde eher aus politischen als aus ästhetischen Gründen
       gemacht, sie sollte eine Gegenöffentlichkeit für einen damals aktuellen
       Skandal herstellen. Am 12. Dezember 1969 fand ein Bombenanschlag auf eine
       Bank in Mailand statt, bei dem 17 Menschen getötet und 88 schwer verletzt
       wurden. Inzwischen ist bewiesen, dass dies der erste einer ganzen Reihe von
       rechts-terroristischen Anschlägen war, doch damals wurde die Schuld linken
       Gruppen zugeschoben.
       
       Die Polizei vernichtete Beweise, die rechte Presse begann eine Hetzkampagne
       und bekannte Linke wurden verhaftet. Der Anarchist Giuseppe Pinelli stürzte
       aus einem Fenster des Polizeipräsidiums in den Tod. Die Polizeiführung
       sprach von einem Selbstmord, der als Schuldeingeständnis zu verstehen sei.
       
       In „Dodici dicembre“ erzählen Mithäftlinge, Familienangehörige und
       politische Mitkämpfer ihre Version der Geschichte. Dass Pinelli umgebracht
       worden war und Faschisten das Bombenattentat ausgeführt hatten, galt damals
       noch lange als umstritten, wurde aber schließlich durch die Ermittlungen
       bestätigt.
       
       Als Investigation einer Verschwörung hat der Film heute nur noch
       historischen Wert, aber Pasolini geht tiefer. Er versucht eine
       Bestandsaufnahme des linken Widerstands im Italien jener Jahre zu machen.
       Auf dieser Ebene ist „Dodici dicembre“ eine Entdeckung.
       
       Pasolini lässt ausschließlich die Kämpfer selber zu Worte kommen: alte
       Partisanen, die sich von der kommunistischen Partei verraten fühlen und
       sich für Selbstjustiz aussprechen. Ferner erzählen junge Arbeiter aus dem
       südlichen Reggio Calabria von einem Volksaufstand und süditalienische
       Proletarier schildern die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen bei Fiat.
       
       Pasolinis Kamera ist immer mitten unter den Leuten. Dadurch wirken die
       Aufnahmen sehr unmittelbar: Man spürt das Selbstbewusstsein, das diese
       politischen Kämpfer ausstrahlen. Am Anfang des Films gibt es zum Beispiel
       eine minutenlange Fahrt der Kamera an den Reihen einer riesigen
       Demonstration entlang. Einmal reckt der Fahrer kurz die geballte Faust ins
       Blickfeld, ansonsten macht diese Aufnahme, die auch in der von Orson Welles
       begründeten Tradition der langen Anfangseinstellungen steht, die schiere
       Masse und Energie dieser Versammlung deutlich.
       
       Diese Sequenz bleibt die einzige, bei der man ein stilistisches Wollen des
       Filmemachers vermuten kann. Ansonsten ist der Film gewollt kunstlos. Die
       Protagonisten sprechen meist direkt in die Kamera und berichten von ihren
       Lebensbedingungen: Ein junger Arbeiter beispielsweise schildert genau
       seinen Tagesablauf vom Aufstehen morgens um 3.30 Uhr bis zum Schichtende am
       späten Nachmittag. Was bleibt da noch zum Leben?
       
       „Neapel, es herrscht Hunger, es steigt die Wut“, lautet der Zwischentitel,
       der in das Kapitel über einen Volksaufstand in der Stadt einführt. Der Film
       dokumentiert nicht nur den politischen Kampf, er ist Teil von ihm.
       
       Als solch ein betont parteiliches Werk passt der Film ideal ins Konzept der
       „Bibliothek des Widerstands“ des Hamburger Laika-Verlags. Um ihn in den
       neuen Band „Verdeckter Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien“
       aufzunehmen, musste ihn der Verlagsleiter Karl-Heinz Dellwo aber erst
       einmal finden: In ganz Italien gab es keine Filmkopie mehr.
       
       Nach langer Suche gab es einen Hinweis, der Film sei auf der Berlinale
       gezeigt worden, aber dort war er auf keiner Spielliste zu finden. Jemand
       erinnerte sich schließlich vage daran, dass der Film in Hamburg gelandet
       sein könnte und tatsächlich gab es in der Kinemathek des Metropolis Kinos
       eine 16-mm-Kopie. Sie gehörte zu einem Paket von Filmen, das nach der
       Auflösung des „Central Filmverleihs“ beim Metropolis archiviert wurde.
       
       ## Uraufführung der restaurierten Fassung von „Der 12. Dezember“ („Dodici
       dicembre“, OmU): Montag, 26. Mai, 19 Uhr, Metropolis, Hamburg
       Podiumsdiskussion und Lesung zur politischen Aktualität von Pasolini:
       Dienstag, 27. Mai, 20 Uhr, Kampnagel, Hamburg Vorstellung von Giorgio
       Gallis Buch „Pasolini. Der dissidente Kommunist – Zur politischen
       Aktualität von Pier Paolo Pasolini“: Mittwoch, 28. Mai, 19 Uhr, Istituto
       Italiano di Cultura, Hamburg
       
       21 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Hippen
       
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