# taz.de -- Antonioni-Ausstellung in Wien: Die Hand mit der Pistole
       
       > Mode, Pop, Voyeurismus und Elend. „Blow-up. Antonionis Filmklassiker und
       > die Fotografie“ zeigt die verschiedenen Facetten von Swinging London.
       
 (IMG) Bild: Ein Film, der eine ganze Ära prägte: Szene aus „Blow-up“ (1966).
       
       Es war ein Kultfilm der 1960er Jahre und ist gleichzeitig ein Dokument
       jener Zeit, die unendlich lang zurückzuliegen scheint. Das London, das
       Michelangelo Antonionis Film „Blow-up“ zeigte, stand damals noch für
       Pop-Kultur, unbeschwerten Sex und Pot-Partys, statt für ungehemmten
       Finanzkapitalismus, soziale Polarisierung und Europafeindlichkeit. Der Film
       spielt in einer Lebenswelt, aus der damals die maßgeblichen Mode- und
       Musiktrends auf Europa und die USA ausstrahlten.
       
       „Blow-up“ gilt als Meisterwerk des italienischen Regisseurs. Aber kann man
       einem Film fast 50 Jahre nach seiner Entstehung anhand von Stills und
       Genre-Fotos aktuelle Aussagen abgewinnen? Man kann, wie die Wiener
       Albertina mit der Ausstellung „Blow-up. Antonionis Filmklassiker und die
       Fotografie“ beweist. Kein anderer Film eignet sich so sehr für eine
       Fotogeschichte wie dieser, bei dem es ja um den dokumentarischen Charakter
       der Fotografie und dessen Grenzen geht.
       
       Der Modefotograf Thomas (David Hemmings) lichtet heimlich ein Liebespaar im
       Park ab und entdeckt später beim Entwickeln eine Hand mit einer Pistole,
       die aus dem Gebüsch ragt, und etwas, das wie eine auf der Wiese liegende
       Frau aussieht. Hat er ein Verbrechen dokumentiert? So sehr Thomas in der
       Dunkelkammer durch immer größere Blow-ups (Vergrößerungen) der
       Detailausschnitte mehr aus den Aufnahmen herauszulesen versucht, so sehr
       verschwimmt die Wirklichkeit in immer grobkörnigeren Schatten.
       
       Antonioni trug seinem eigenen Anspruch an Realismus Rechnung, indem er für
       die Modeaufnahmen das Model Veruschka, die Claudia Schiffer jener Zeit,
       engagierte. Als Berater für die fotografischen Aspekte der Filmaufnahmen
       holte er sich renommierte Profis wie den Sozialreportage-Fotografen Don
       McCullin, die Modefotografen John Cowan und David Montgomery sowie den
       Paparazzo Tazio Secchiaroli. Ihre während der Dreharbeiten entstandenen
       Fotos und weitere Bilder, die das Genre illustrieren, erlauben gleichzeitig
       einen Innen- wie einen Außenblick auf das Filmgeschehen.
       
       ## Paparazzi gab es schon damals
       
       Die Ausstellung ist nach fünf Themen organisiert: Voyeurismus,
       Modefotografie, Sozialreportage, Swinging London und Blow-up. Den
       Themenbereich Voyeurismus, der um die heimlichen Aufnahmen im Park
       aufgebaut ist, beherrscht die Figur und Arbeit des Paparazzo, des Aasgeiers
       des Fotografengewerbes.
       
       Damals schon lauerten abgebrühte Kamera-Snipers irgendwelchen Celebrities
       auf, um dann eine unscharfe Aufnahme zu erbeuten, auf der die Pofalte eines
       Starlets zu sehen ist, dem der Rock beim Aussteigen aus dem Auto
       verrutscht. Oder auch nur eine Filmdiva, die ohne Schminke gar nicht so
       strahlend wirkt. Da hat sich in den letzten 50 Jahren nicht viel verändert.
       
       Der Themenblock Swinging London lebt von der Pop-Kultur der 1960er Jahre.
       Die Beatles und die Rolling Stones steuerten damals schon dem Höhepunkt
       ihrer Popularität entgegen, waren aber gleichzeitig noch gleichsam zum
       Anfassen. Ausdauernde Fans konnten einen Blick von ihnen erhaschen, wenn
       sie bestimmten Vorortzügen auflauerten.
       
       Oder sie durften sie bei Konzerten live erleben. Und in der Entourage der
       Musiker fanden sich Fotografen wie Eric Swayne, der auf einer Aufnahme
       gefesselt auf einem Bett liegt, das mit einer Decke im schwarz-weißen
       Op-Art-Design überzogen ist. Man alberte herum, rauchte Hasch und prägte
       Modetrends.
       
       Dass Antonioni versuchte, so nah wie möglich an der Wirklichkeit zu
       bleiben, verraten auch seine Drehorte. So spielt die Kifferparty im realen
       Apartment des Antiquitätenhändlers Christopher Gibbs, der den modischen
       Look der Swinging Sixties mitbestimmte. Bei einem Rockkonzert spielen die
       Yardbirds, die in jenen Jahren vergänglichen Ruhm erlebten.
       
       ## Obdachlose und Straßenkinder
       
       Im Schatten des vordergründig unpolitischen Swinging London lebten auch
       damals schon Obdachlose in verdreckten Unterführungen und Straßenkinder in
       heruntergekommenen Wohnvierteln, während Pazifisten aus der Mittelschicht
       gegen die atomare Hochrüstung marschierten. Der Themenblock Sozialreportage
       passt insofern zum Film, als der Protagonist Thomas neben seinen
       Modefotografien auch ein Buch mit Fotoreportagen aus dem anderen London
       veröffentlichen will.
       
       Der letzte Block – „Blow-up“ – führt zurück auf die zentrale Thematik des
       Films, dass die Grenze zwischen Wirklichkeit und Täuschung auch durch eine
       so realistische Technik wie die Fotografie nicht unbedingt überwunden
       werden kann. Die Original-Vergrößerungen aus dem Film, die neben
       experimentalfotografischen Beispielen stehen, entlassen den Besucher
       nachdenklich und mit dem Vorsatz, sich den Film nach vielen Jahrzehnten
       wieder anzuschauen.
       
       15 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
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