# taz.de -- Musiktheater als Herausforderung: Helden an der Front der Moderne
       
       > Es ist nicht einfach, sich in den Kosmos von Bernd Alois Zimmermann
       > einzuhören. Die Komische Oper Berlin macht es mit „Die Soldaten“ möglich.
       
 (IMG) Bild: Die Komplexität der Klangelemente wird auch im Bühnenbild von Rebecca Ringst sichtbar in der Berliner Inszenierung der „Soldaten“.
       
       In der Unterwäsche steht sie da, Susanne Elmark aus Dänemark, mit rotem
       Theaterblut übergossen, die Arme ausgebreitet, den Mund zum Schrei
       geöffnet. Minutenlang dröhnt stampfend und krachend Straßenlärm aus den
       Lautsprechern um sie herum. Dann eine dramatische Pause. Absolute Stille
       bis zum finalen Schlag des ganzen Orchesters, Scheinwerfer blenden grell
       ins Publikum, der Vorhang fällt.
       
       So gehen „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann zu Ende an der Komischen
       Oper, inszeniert von Calixto Bieito. Intendant Barrie Kosky sagt über ihn,
       er sei „der Meister der Gewalt“. Er hat leider recht, Bieito beherrscht das
       Geschäft mit Theaterblut auf der nackten Haut wahrscheinlich besser als
       jeder andere. Tosender Applaus im Saal belohnt ihn dafür auch jetzt.
       
       Seit seiner Uraufführung 1965 in Köln schiebt Zimmermanns Hauptwerk eine
       Bugwelle der Bedeutsamkeit vor sich her. Immerhin hat es seinen Ruf der
       Unaufführbarkeit inzwischen verloren. Alvis Hermanis hat es 2012 für die
       Salzburger Festspiele inszeniert, in diesem Mai hatte Andreas Kriegenburgs
       Version in München Premiere.
       
       Calixto Bieito bekam von Andreas Homoki 2013 den Auftrag, die Partitur für
       etwa 120 Instrumente, 20 Solostimmen, Chor, Tonbänder und Synthesizer auf
       die Bühne zu bringen, in Kooperation mit Barrie Kosky, seinem Nachfolger
       auf dem Platz des Intendanten an der Komischen Oper.
       
       ## Das Orchester sprengt jeden Graben
       
       Das ist verdienstvoll, denn Zimmermanns Monster überfordert eigentlich die
       Ressourcen beider Häuser – das Opernhaus Zürich ist nur berühmter, aber
       nicht größer als das Haus an der Behrenstraße. Zusammen aber gelang ihnen
       eine Inszenierung, die das räumliche Problem theatralisch auflöst. Der
       gigantische Orchesterapparat passt niemals in den Graben vor der Bühne.
       
       Also hat die Bühnenbildnerin Rebecca Ringst ihrem Lieblingsregisseur wieder
       einmal ein Stahlgerüst auf die Bühne gestellt. Wie schon in Poulencs
       „Gespräche der Karmelitinnen“, 2011 unter Homokis Intendanz hier zu sehen,
       schafft es paradoxerweise zugleich Platz und dramatische Enge.
       
       Damals konnten sich die Nonnen auf dem Stahlregal ihres Gefängnisses durch
       die Doppelgewalt der Religion und der Französischen Revolution quälen,
       jetzt nehmen die Mitglieder des Orchesters auf den oberen Ebenen der
       Konstruktion Platz. Zwischen den Stützen unter ihnen sind die Personen des
       Dramas wieder sichtbar eingesperrt in den Käfig ihrer noch feudalen
       Standesgesellschaft des 18. Jahrhunderts.
       
       ## Visuell nachvollziehbar
       
       Überzeugend ist dieses Arrangement des Raumes vor allem deswegen, weil es
       Zimmermanns Musik ins Zentrum stellt und in gewisser Weise sogar optisch
       nachvollziehbar macht. Die Komposition ist extrem komplex, weil sie zwar
       ganz brav auf einer Zwölftonreihe beruht, dann aber ständig Zitate und
       unterschiedliche rhythmische Strukturen in verschiedenen Metren so
       übereinanderschichtet, dass jedem Dirigenten davor graust.
       
       Der Berliner Gabriel Feltz, zurzeit Generalmusikdirektor in Dortmund, hat
       es geschafft. Er ist auf Ringsts Bühne der stets sichtbare Mittelpunkt des
       Bildes. Er arbeitet schwer, seine Gesten und Einsätze sind hilfreich auch
       für uns, weil sie wenigstens Hinweise geben, welche Instrumentalgruppen
       welchen Beitrag zum massiven, oft extrem lauten Gesamtklang leisten.
       
       ## In der Gegenwart angekommen
       
       Weil das Stück „Die Soldaten“ heißt, muss das ganze Orchester in Uniformen
       spielen. Das dunkelgraue Militärhemd klebt dem Dirigenten am Ende nass
       geschwitzt am Rücken. Sie alle kämpfen heldenhaft an der Front einer
       musikalischen Moderne, die nun endlich in unserer Gegenwart ankommt, wenn
       auch als historisches Erbe.
       
       Wir müssen noch lernen, uns in Zimmermanns musikalischen Kosmos
       hineinzuhören. Es klingt zunächst brutal. Gewiss wollte Zimmermann auch
       eine Botschaft gegen den Krieg herausschreien, den er unter den Nazis
       selbst erlitt. Aber seine Musik sagt viel mehr als das, was sinngemäß auf
       jedem Programmzettel oben steht: „Nie wieder Krieg“ in Berlin.
       
       Aber ja doch. Nur hat Zimmermanns Musik damit nichts zu tun. Es ist eine
       reiche, auch in größter Lautstärke transparente Klangwelt, mit Ensembles
       und Solos für Singstimmen von großer sinnlicher Schönheit. Praktisch das
       komplette Ensemble der Komischen Oper hat sich dafür mit seiner ganzen
       Kompetenz engagiert, und so gelingt es in Berlin (und wohl auch in Zürich),
       dieses abschreckend schwierige Werk hörbar und verstehbar zu machen.
       
       ## Der „Meister der Gewalt“
       
       Das verdient jeden Applaus der Welt, wenn da nur nicht Calixto Bieito wäre,
       der „Meister der Gewalt“. Zimmermann verdiente einen Meister des Zuhörens.
       Calixto lässt stattdessen stampfen, trampeln, prügeln, quälen und
       vergewaltigen, was das Zeug hält. Menschen sind böse, und Soldaten sowieso.
       Falls wir das womöglich vergessen haben sollten.
       
       ## ■ Nächste Aufführungen: 20. u. 25. 6.; 1. u. 9. 7. 2014
       
       16 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Niklaus Hablützel
       
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