# taz.de -- Neues Buch von Chantal Mouffe: Ankommen im Sozialdemokratischen
       
       > Eine Art Revisionismus: Die linke Theoretikerin fremdelt in „Agnostik“
       > erfrischend offen mit der zeitgenössischen radikalen Linken.
       
 (IMG) Bild: Demonstantinnen bei Blockupy Frankfurt in 2012.
       
       Chantal Mouffe ist in der akademischen, unorthodoxen, radikalen und
       kunstaffinen Linken, in der man das elementare Dagegensein hochhält und mit
       normaler Politik – notabene Parteipolitik – schon aus Lebensstilgründen
       nichts zu tun haben will, seit Jahren schon eine große Nummer. Bedenkt man,
       wie schnell man in den Augen dieser Blase vom guten Radikalen zum bösen
       reformistischen Verräter werden kann, ist es erstaunlich, nein: regelrecht
       mutig, wie Mouffe in ihrem neuesten Buch gegen den Common Sense dieses
       Juste Milieu anschreibt.
       
       „Agonistik“ markiert zwar keine Wende in Mouffes Denken, aber doch ein
       Ankommen im Sozialdemokratischen (jetzt nicht im Parteisinn, aber im
       Ideensinn). Jenen, die einen horizontalen, antiinstitutionellen Aktivismus
       einer „Multitude“ hochhalten und die Repräsentationsmodelle der „alten
       Linken“ kritisieren, sagt sie: „Was wir infrage stellen müssen, ist nicht
       die Idee der Repräsentation an sich, sondern der Mangel an Alternativen,
       die den Bürgern angeboten werden.“
       
       Die Energien von Bewegungen wie Occupy oder den spanischen Indignados
       drohen zu verpuffen, wenn sie sich gegen jede institutionalisierte Politik
       richten und unfähig bleiben, realpolitische Bündnisse einzugehen: „Um die
       neoliberale Hegemonie allerdings wirkungsvoll anzugreifen, ist es
       entscheidend, die zum Vorschein gekommene Energie nicht in die falschen
       Bahnen zu lenken. Meine Befürchtung ist, dass genau das passieren könnte.“
       
       Mouffe spinnt in den sechs Aufsätzen ihres neuen Buchs die Fäden weiter,
       die sie seit nunmehr beinahe zwei Jahrzehnten, nicht zuletzt in ihren
       jüngsten Büchern „Über das Politische“ und „Das demokratische Paradox“
       knüpft. Deren Grundthese lautet: Zu viel Konsens schafft Konflikt. Konsens,
       der den Konfliktcharakter des Politischen leugnet, ein neoliberal
       angekränkeltes Einheitsdenken (etwa in Gestalt des Blair’schen „Dritten
       Wegs“ oder der Schröder’schen „Neuen Mitte“), führt nicht zum Konsens,
       sondern öffnet Raum für Politikverdrossenheit oder rechtspopulistische
       Revolten. Gehegter Konflikt dagegen hält die Politik lebendig.
       Demokratische Politik muss demnach den Mittelweg zwischen Konsens und
       antagonistisch zugespitztem Konflikt finden.
       
       ## Herausforderung der neoliberalen Hegemonie
       
       Die neoliberale Hegemonie gilt es aber nicht nur zu dekonstruieren, sondern
       tatsächlich herauszufordern: in Form eines neuen Projekts, das seinerseits
       zum Ziel hat, die Hegemonie zu erobern. Die Entfremdung von der EU gehe
       beispielsweise „auf das Fehlen eines Projekts zurück, das unter den
       europäischen Bürgern ein starkes Identitätsgefühl entstehen lassen und ein
       Ziel darstellen könnte, das ihre politischen Leidenschaften in
       demokratische Bahnen lenkt“.
       
       Wie aber könnte ein neues hegemoniales Projekt entwickelt werden? Sicher
       nicht, indem man den „hegemonialen“ Institutionen den Rücken kehrt und aus
       dem Staat „auswandert“, in eine innere Gegenwelt der Basisbewegungen. Weite
       Strecken des Buchs wenden sich daher gegen die antipolitischen Affekte der
       zeitgenössischen Linken. Die neuen Netzwerke von „Bewegungen ohne Anführer“
       haben schon ihre Meriten, aber jenseits der romantischen Verklärung sollte
       man sich langsam doch der Frage stellen, warum sie stets vollkommen
       erfolgs- und folgenlos versanden.
       
       ## Suche nach radikaler Reformpolitik
       
       Ambitionierte, radikale Reformpolitik müsse daher, so Mouffe, auf neue
       Formen von Bündnissen setzen, von Parteien, Institutionen, Leuten in den
       Medien, Bewegungen, Zivilgesellschaft oder Gewerkschaften.
       Antiinstitutionelles Sektierertum tut für solche Bündnisse aber nichts – es
       erschwert sie nur. Mouffe: „Für eine tatsächliche Veränderung der
       Machtverhältnisse bedarf es institutioneller Bahnen.“
       
       So grundsätzlich bedenkenswert Mouffes Thesen sind, so vage bleiben sie
       oft. Wie wir zu einem antineoliberalen Projekt für EU-Europa kommen können,
       wird kaum angedeutet. Mouffes Lieblingsbeispiel für einen neuen
       sozialreformerischen Block ist Griechenland, mit der linken Syriza-Partei
       auf der einen Seite und den Basisbewegungen auf der anderen. Nun ist
       Griechenland nach dem Totalkollaps der klassisch sozialdemokratischen
       Pasok-Partei aber ein Sonderfall. Ob anderswo die Parteien der
       traditionellen Sozialdemokratie in ihrem Konzept eine Rolle spielen,
       darüber verliert die Autorin kein Wort. Das ist nicht gerade eine
       nebensächliche Frage. Setzt Mouffe auf einen Reformblock, der aus
       repolitisierter Sozialdemokratie, anderen Linksparteien, Gewerkschaften und
       Bewegungen besteht? Man kann es nur ahnen.
       
       13 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robert Misik
       
       ## TAGS
       
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