# taz.de -- Elbvertiefung: Große Schiffe auf der Elbe
       
       > Ab Dienstag verhandelt das Bundesverwaltungsgericht über die Frage, ob
       > die Elbe vertieft werden darf. In Hamburg stehe sich Hafenwirtschaft und
       > Naturschützer unversöhnlich gegenüber.
       
 (IMG) Bild: Zu flach und zu schmal für die ganz großen Containerfrachter: die Elbe
       
       HAMBURG taz | Was ist von einer Stadt zu halten, die ihre eigene Hymne
       schändet? „Stadt Hamburg in der Elbe Auen, wie bist du stattlich
       anzuschauen“, lauten die beiden ersten Zeilen der 1828 geschriebenen
       „Hammonia“, seit 1890 die offizielle Landeshymne der Freien und Hansestadt
       Hamburg. Damals gab es die Auen der Elbe noch überall im Stadtgebiet, heute
       sind nur noch wenige klägliche Reste übrig im Vordeichland oberhalb des
       Hafens. Stromabwärts, in Richtung Nordsee, hat Hamburg sie trockengelegt,
       die von der Tide beeinflussten Ufer, die es weiter unten noch gibt, gehören
       zu Schleswig-Holstein und Niedersachsen.
       
       Seit fast zwei Jahrhunderten wird der Fluss, der längst eine
       Bundeswasserstraße ist, regelmäßig tiefer gelegt, bislang um mehr als zehn
       Meter. Über die nächste Elbvertiefung – die inzwischen zehnte – um weitere
       gut zwei Meter, die schon seit drei Jahren realisiert worden sein sollte,
       verhandelt ab Dienstag das Bundesverwaltungsgericht. Ungewiss ist der
       Ausgang in dieser „Schicksalsfrage“, wie beide Seiten es sehen: eine
       ökologische für die Natur, sagen die klagenden Umweltverbände, eine
       ökonomische für den Wirtschaftsstandort, sagen Hamburg und der Bund, die
       Beklagten – der klassische Konflikt.
       
       ## Die wirtschaftliche Seite
       
       Hamburg ist der größte Hafen Deutschlands, der zweitgrößte in Europa,
       weltweit die Nummer 16. Im Jahr 2012 sorgte er für eine Wertschöpfung von
       knapp 20 Milliarden Euro und mit 790 Millionen Euro für mehr als eine
       Zehntel der Hamburger Steuereinnahmen, in der Metropolregion sind etwa
       150.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt vom Hafen abhängig. Aus Sicht der
       Wirtschaftsverbände ist der Hafen der Ast, auf dem Hamburg sitzt, und an
       dem sollte bekanntlich nicht gesägt werden.
       
       Der Hamburger Hafen war 2013 mit 140 Millionen Tonnen Güterumschlag und 9,3
       Millionen Standardcontainern (Twenty-foot Equivalent Unit = TEU) der größte
       Güterumschlagplatz in Deutschland vor Bremerhaven mit 5,8 Millionen TEU und
       der größte Hafenbahnhof Europas. Woche für Woche ist Hamburg Start und Ziel
       von etwa 900 Güterzügen, 160 Feederschiffe verteilen die in Hamburg
       umgeschlagenen Waren in alle Staaten des Nord- und Ostseeraums. Wer das
       behindert, versetzt erst den Hafen, dann die Stadt und letztlich die Region
       „in eine Abwärtsspirale in die Zweitrangigkeit“, so der langjährige Tenor
       der Wirtschaftsverbände und des Hamburger Wirtschaftssenators Frank Horch
       (Interview Seite 44).
       
       Außerdem schone der Schiffstransport die Umwelt, behaupten die Befürworter
       der Elbvertiefung, weil er pro Container nur etwa drei Prozent der
       Emissionen eines Lastkraftwagens verursache. Ladung also in Bremerhaven
       oder im unausgelasteten Wilhelmshavener Jade-Weser-Port an der Nordsee
       umzuschlagen und auf dem Landweg von und nach Hamburg zu transportieren sei
       volkswirtschaftlich unsinnig, ökologisch unverantwortlich und
       verkehrstechnisch katastrophal.
       
       Und deshalb, so die Befürworter, müsse der Fluss erneut vertieft werden,
       damit die immer größer und breiter werdenden Containerfrachter den
       Hamburger Hafen weiterhin anlaufen können. Geplant ist eine
       „Fahrrinnenanpassung“, wie das Vorhaben offiziell heißt, auf 19 Meter unter
       Normalnull. Dadurch sollen Riesenfrachter mit einem Tiefgang von 13,5
       Metern auch bei Niedrigwasser den Hafen anlaufen und verlassen können, auf
       der Flutwelle sollen Tiefgänge bis 14,5 Metern ohne Grundberührung möglich
       sein.
       
       Zudem wird die Fahrrinne verbreitert, weil die Schiffe auch immer breiter
       werden. Für weite Abschnitte der Unterelbe besteht ein Begegnungsverbot für
       Schiffe ab einer Breite von 50 Metern. Sie würden nicht aneinander
       vorbeipassen. Deshalb soll vor dem schleswig-holsteinischen Glückstadt eine
       deutlich breitere Begegnungsbucht geschaffen werden, wo die dicken Pötte
       langsam aneinander vorbeikommen können.
       
       Die ausgebaggerten Sedimente, immerhin 40 Millionen Kubikmeter Sand und
       Schlick, würden 2,5 Millionen Lastwagen füllen. Sie werden an tiefen
       Stellen in die Elbe gekippt, der größte Teil wird südwestlich von Helgoland
       in die Nordsee geschüttet. Das alles ist nicht ganz billig: Zurzeit werden
       die Kosten der Elbvertiefung auf gut 600 Millionen Euro veranschlagt, mit
       einigen zusätzlichen Maßnahmen kommt das Projekt in die Dimensionen der
       Elbphilharmonie: 770 Millionen Euro dürften es locker werden.
       
       ## Die ökologische Seite
       
       Auf der anderen Seite ist die Unterelbregion weitläufig nach deutschen und
       europäischen Naturschutzrechten geschützt – so wie die Weser, zu deren
       Vertiefung ebenfalls ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem
       Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig ist. Nach den EU-Richtlinien sind
       weite Teile des Flusses, der Wattsäume, Sandbänke, Ufer und
       Flachwasserzonen geschützt, um seltene oder auch endemische, also weltweit
       nur an der Unterelbe lebende Tiere und Pflanzen zu erhalten.
       
       Zum naturschützerischen Symbol brachte es der Schierlings-Wasserfenchel –
       ein eher unscheinbares Pflänzchen, das aber eben endemisch ist. Würde er
       hier aussterben, gäbe es auf dem ganzen Planeten keinen
       Schierlings-Wasserfenchel mehr. Das muss man nicht schlimm finden, darf es
       aber unter dem juristischen Schirm europäischer Naturschutzgesetze. Und
       deshalb klagen mehrere Umweltverbände auf Beachtung ökologischer Normen,
       darunter der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) in Hamburg (Interview
       Seite 44).
       
       Die Umweltverbände befürchten vermehrte Sauerstofflöcher in den
       Sommermonaten und schwere Schäden für die Fische und andere Lebewesen. Die
       ökologisch wichtigen Schlickwatten, in denen bei Niedrigwasser Vögel nach
       Nahrung suchen, würden sich durch Strömungsprozesse in lebensarme Sandbänke
       umwandeln. Vor allem nahe an den Ufern werde die Fließgeschwindigkeit der
       Unterelbe erheblich zunehmen, unter Wasser Böschungen und Bänke rasieren
       und somit wichtige Flachwasserzonen weiter vernichten.
       
       ## Die politische Seite
       
       Wer in Hamburg „Elbvertiefung“ sagt oder schreibt statt
       „Fahrrinnenanpassung“, gilt unhanseatischer Gesinnung als verdächtig. Wer
       das Projekt ganz ablehnt, darf sich nicht wundern, als Vaterstadtverräter
       geschmäht zu werden. SPD, CDU, FDP, Gewerkschaften und alle
       Wirtschaftsverbände stehen einmütig zu dem Vorhaben, die Linke fährt einen
       Schlingerkurs zwischen Hafenarbeitsplätzen und ökologischen Bedenken, die
       Grünen haben Probleme, ihre Ablehnung des Vorhabens zu begründen, weil sie
       2008 mit Eintritt in die schwarz-grüne Koalition unter Bürgermeister Ole
       von Beust das Projekt mittragen mussten.
       
       Deshalb stehen die klagenden Umweltverbände BUND und Nabu eher einsam auf
       weiter Flur. Als das Bundesverwaltungsgericht im Herbst 2012 auf ihren
       Antrag hin einen vorläufigen Baustopp für die Elbvertiefung verhängten und
       alle vorläufigen Baumaßnahmen untersagte, kam in Hamburg Lynchstimmung auf.
       
       Der Unternehmensverband Hafen Hamburg forderte, die Hansestadt solle
       sämtliche Zuwendungen an die beiden Umweltorganisationen einzustellen. Weil
       durch den Baustopp Wirtschaft und Arbeitsplätze gefährdet seien, „ist es
       Hafenarbeitern nicht zuzumuten, mit ihren Steuergeldern Umweltverbände zu
       finanzieren“, so der Verbandspräsident und Geschäftsführer des
       Logistikunternehmens Eurogate, Gunther Bonz. Das dadurch eingesparte Geld,
       etwa 600.000 Euro pro Jahr, solle stattdessen dafür genutzt werden, die
       Hafengebühren für Großcontainerschiffe zu senken, um die Reeder bei Laune
       zu halten.
       
       Dieser radikale und rechtlich fragwürdige Vorstoß löste in der Politik und
       auch bei den besonnereren Kräften in der Hafenwirtschaft Kopfschütteln aus.
       Umgesetzt wurde er zwar nicht, aber er symbolisierte den Grad der
       Verbitterung und Gegnerschaft zwischen Wirtschaftsführern und
       Umweltschützern in dieser „Schicksalsfrage“. Und so war auch jetzt für
       diesen Schwerpunkt der taz.nord kein Vertreter der Hafenwirtschaft oder der
       Handelskammer zu einem Streitgespräch mit dem BUND-Geschäftsführer Manfred
       Braasch bereit – offiziell „aus Respekt vor dem Bundesverwaltungsgericht“.
       
       Wenn eben dieses höchste deutsche Verwaltungsgericht ab Dienstag in Leipzig
       die Verhandlung über die Elbvertiefung eröffnet, ist der Ausgang des
       Verfahrens vollkommen offen. Der zuständige Senat hat bis zum 24. Juli
       sechs Tage für die mündliche Verhandlung anberaumt. Wann das Urteil
       gesprochen wird, ist unklar.
       
       Die Leipziger Richter sind in erster und letzter Instanz für das sehr
       umfangreiche Verfahren mit einer Vielzahl komplizierter wasser- und
       naturschutzrechtlicher Fragen zuständig. Allein der
       Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2012 umfasst rund 2.600 Seiten,
       sämtliche Akten zu dem komplexen Thema füllen einen kompletten Raum.
       
       Möglich sind drei Varianten: Die Bundesverwaltungsrichter könnten das
       Verfahren an den Europäischen Gerichtshof weiterleiten. Ein ähnliches
       Verfahren zur Weservertiefung hatten sie mit Fragen zur Auslegung der
       europäischen Wasserrahmenrichtlinie nach Luxemburg weitergereicht, dort
       wird zur Zeit parallel verhandelt, eine Entscheidung aus Luxemburg wird für
       Anfang nächsten Jahres erwartet, für Hamburg und die Hafenwirtschaft würde
       das etwa eineinhalb weitere Jahre Unsicherheit bedeuten.
       
       Möglich ist auch, dass die Leipziger Richter nach dem EuGH-Beschluss zur
       Weser Anfang nächsten Jahres über die Elbe entscheiden – pro oder contra.
       Als wahrscheinlich gilt politischen Beobachtern, dass das Bundesgericht die
       Elbvertiefung im Grundsatz erlaubt, aber an zusätzliche ökologische
       Auflagen knüpft. Führende Hamburger Politiker haben sich bereits darauf
       eingerichtet, kurzfristig weitere zweistellige Millionenbeträge für
       naturschützerischen Schmuck herbeizaubern zu müssen.
       
       Selbst das würde, Schuldenbremse hin oder her, in Rathaus und der
       benachbarten Handelskammer mit Champagner begossen werden. Für Elbe und
       Hafen, gerne als Hamburgs Schlagader und Herz gepriesen, ist in der Freien
       und Hansestadt nichts zu teuer.
       
       Denn selbst, wenn Hamburg mit der Hammonia nicht pfleglich umgeht, so
       werden doch die beiden Schlusszeilen der vierten Strophe der
       stadtstaatlichen Hymne auf den Kaufmannsgeist unverändert hoch geachtet:
       „Das Meer fleußt um die Erd‘ herum, drum floreat Commercium!“ – drum blüht
       der Handel.
       
       11 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sven-Michael Veit
       
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