# taz.de -- taz-Serie Jüdisches Leben in Berlin: Ihr Name ist nicht Programm
       
       > Die Initiative Salaam-Shalom engagiert sich gegen die vorherrschende
       > Meinung, Neukölln sei eine "No-go-Area" für Juden.
       
 (IMG) Bild: Vorurteile abbauen durch Kennenlernen: Mitglieder von Salaam-Shalom beim Besuch der Sehitlic-Moschee in Berlin-Neukölln.
       
       Nur kurz sinkt Armin Langer in eins der abgeranzten Sofas und lauscht dem
       Soundcheck von Adirjam. Dann springt er auf, hastet zur Bar. Untermalt von
       den Klängen der Kurdish-Queer-Art-Rock-Band bespricht der 23-jährige
       Rabbinerstudent letzte Partydetails mit seinen Mitstreitern.
       
       Zum ersten Mal hat die [1][Initiative Salaam Shalom] zu einer Party
       eingeladen. Jetzt soll es krachen in der Kultstätte Keller im Hinterhof der
       Karl-Marx-Straße 52. Das brächte nicht nur Geld für die nächste Aktion, es
       wäre auch ein Beweis für die These von Salaam-Shalom, dass Juden in
       Neukölln genauso gut leben können wie anderswo. Dass alle miteinander reden
       und feiern können, seien sie Juden, Kurden, Iraner, Araber oder
       Palästinenser. „Die Herkunft ist einfach kein Thema“, befindet Uri
       Jacobi-Keller, ein 30-jähriger Wuschelkopf aus Jerusalem, der in Berlin
       Wirtschaftswissenschaften studiert und von Anfang an bei Salaam-Shalom
       dabei war.
       
       ## Antwort auf Rabbi Alter
       
       Seit einem halben Jahr beschäftigt die rund 20-köpfige Gruppe um Initiator
       Armin Langer dieses Thema, das ihrer Meinung nach gar keins sein sollte.
       Gegründet hat sie sich nach dem öffentlichen Verdikt des Rabbiners Daniel
       Alter, Teile von Neukölln und Wedding seien No-go-Areas für Juden. Im
       Sommer 2013 war das, ein Jahr zuvor war Alter in Friedenau von
       Jugendlichen, die er später als mutmaßlich arabischstämmig beschrieb,
       krankenhausreif geschlagen worden.
       
       „Ich liebe Neukölln, darum hat mich das sehr getroffen“, sagt Langer. Im
       hinteren Teil des weitläufigen Kellers ist es ruhig. Der Soundcheck nebenan
       ist beendet. Im Licht der letzten Sonnenstrahlen, die durch ein Oberlicht
       scheinen, erzählt der schlaksige Ungar mit der eckigen schwarzen Brille,
       wie alles begann.
       
       Im September vorigen Jahres kam er von Budapest nach Berlin, um in Potsdam
       zu studieren. Er zog nach Neukölln und fand gleich Freunde – auch
       muslimische, wie er betont. „Ich hatte nie Probleme hier. Allerdings trage
       ich auch keine Kippa“, gibt er zu. Aber er verberge seine jüdische Herkunft
       auch nicht in Gesprächen mit den Nachbarn. Und die reagierten immer positiv
       – sogar der libanesische Friseur auf der Sonnenallee, dessen Großmutter von
       Israelis getötet worden sei.
       
       Also beschlossen Langer und ein paar Freunde, Rabbi Alter etwas
       entgegenzusetzen. Ihre erste Aktion als Salaam-Shalom waren
       Video-Statements von jüdischen Deutschen und Israelis, die der
       No-go-Area-These widersprechen und die sie im Dezember 2013 auf Youtube
       veröffentlichten. Kurz darauf stellte Langer die Initiative in der Sehitlic
       Moschee am Columbiadamm vor. „100 Leute waren da, aus allen Schichten“,
       erinnert er sich. In Folge dieser Aktion entstand eine zweite Reihe von
       Videostatements mit Neuköllner Muslimen, die erklären, wie sie Rabbi Alters
       Urteil über Neukölln trifft – und dass, zumindest aus ihrer Sicht, jeder
       willkommen ist.
       
       „Es geht nicht darum, bestehende Probleme zu ignorieren“, erklärt
       Jacobi-Keller. „Es gibt Rassismus gegenüber Juden und – in Europa vor allem
       – gegenüber Muslimen. Aber die Antwort darauf kann nicht sein zu sagen,
       hier oder dort sind No-go-Areas.“ Damit stigmatisiere man eine ganze Gegend
       – und verstärke ohnehin vorhandene Vorurteile. „Unser Ansatz gegen
       Rassismus ist, Solidarität zwischen Migrantengruppen herzustellen“, erklärt
       der Israeli, der seit März 2013 in Berlin lebt. „Bei uns geht es nicht um
       Juden oder Muslime, sondern um Kooperation.“
       
       Tatsächlich sind die nächsten Projekte der Gruppe ausgesprochen
       praxisorientiert. Im Laufe des Sommers soll ein Handbuch für Neueinwanderer
       in vielen Sprachen erscheinen: mit Tipps, wie man mit der deutschen
       Bürokratie umgeht – von der Anmeldung beim Bürgeramt bis zur
       Visumverlängerung. „Das ist praktische Solidarität“, sagt Jacobi-Keller.
       
       Kompetenz dafür hat die Gruppe: Von Beginn an war sie ein bunter
       Multikultihaufen. Die ersten zehn Gründungsmitglieder sprechen Deutsch,
       Hebräisch, Arabisch, Polnisch, Englisch und Französisch, sagt Langer.
       Inzwischen gebe es es einen harten Kern von 10 bis 20 Aktiven und mehr als
       zehn Sprachen. Im Unterstützerumfeld seien es noch mehr.
       
       ## Party und Kampfsport
       
       Ganz praktisch soll auch die neue Sportgruppe wirken, die
       Salaam-Shalom-Mitglied Csaba Szikra ab September im Neuköllner
       Rollberg-Kiez anbietet. Der Sozialpädagoge und Sportlehrer will im Rahmen
       des Projekts Schalom Rollberg Grundschüler in die israelische Kampfsportart
       Krav-Maga einweihen. „Das Problem zwischen Menschen verschiedener Kulturen
       und Religionen sind ja vor allem die Vorurteile, die daraus entstehen, dass
       man sich eigentlich gar nicht kennt“, sagt Ina Orit Bretschneider. Sie
       selbst habe vor Salaam-Shalom auch kaum Muslime gekannt. „Diese Vorurteile
       wollen wir abbauen, indem wir uns begegnen. Auch der Sport ist eine solche
       Begegnung.“
       
       Die 35-jährige jüdische Deutsche hat ein eigenes Reisebüro und einen
       israelischen Freund. Dieser sei leider nicht immer so begeistert von
       Salaam-Shalom, bedauert sie. So wolle er an diesem Abend wegen der
       aktuellen Krise in Israel nicht zur Party kommen. Sie selbst, erzählt
       Bretschneider, sei zu der Gruppe gestoßen, weil sie die Vorurteile über
       Neukölln, „ihren“ Stadtteil, in dem sie gerne lebt, ärgerten. „Viele denken
       noch immer, Neukölln sei ein dreckiges Pflaster, gefährlich und voller
       Ausländer. Aber mir ist hier noch nie etwas passiert.“
       
       Doch die Frage, wie das wohl mit einer Kippa wäre, macht auch sie
       nachdenklich. „Meine Freunde würden mir bestimmt davon abraten“, vermutet
       sie – und: „Ich würde wohl schon Aufmerksamkeit erregen hier. Aber
       passieren kann dir überall etwas. Rabbi Alter ist ja auch nicht in Neukölln
       überfallen worden.“
       
       Von Vorurteilen handelt auch das dritte Projekt, das die Gruppe neben dem
       Handbuch und der Sportgruppe gerade anstößt – und für das an diesem
       Soli-Party-Abend Geld gesammelt wird. Es geht um eine Plakatkampagne gegen
       antimuslimische Stereotype, die man mit Aufklärung kontern wolle, erzählt
       Langer. Zum Thema Terror etwa werde man diesen Satz plakatieren: „In Europa
       haben weniger als ein Prozent der Anschläge einen islamistischen
       Hintergrund.“
       
       Doch ein Problem sind nicht nur die Vorurteile. Es geht auch um reales
       Unrecht – das zwar ein paar tausend Kilometer entfernt geschieht, aber mit
       Auswirkungen bis nach Neukölln. „Wir können nicht ignorieren, dass vielen
       Palästinensern, die hier leben, Unrecht geschehen ist als Flüchtlingen der
       israelischen Politik“, sagt der Israeli Jacobi-Keller. Daher würden sie
       viel über den palästinensisch-israelischen Konflikt reden – so wie neulich
       mit dem Mann vom Elektroladen auf der Sonnenallee, einem Palästinenser.
       „Gerade wir Israelis können in solchen Diskussionen die andere Seite
       verstehen lernen“, findet er.
       
       Die Auswirkungen des Nahost-Konflikts sind sogar innerhalb der Gruppe zu
       spüren – wenn auch nur indirekt. So ist Nizar N., der einzige Palästinenser
       bei Salaam-Shalom, zwar von der Idee der Initiative sehr eingenommen, doch
       den Namen lehnt er ab. „Kein Palästinenser kann ihn verstehen. Er
       suggeriert, es gehe um Frieden, aber für uns geht es um Gerechtigkeit. Und
       er suggeriert, es gehe um einen Konflikt zwischen Juden und Arabern. Aber
       das stimmt nicht“, sagt Nizar N., der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung
       lesen möchte.
       
       Das sagen im Prinzip auch Jacobi-Keller und Langer. „Der Name zielt auf
       Leute, die glauben, es gebe in Neukölln einen Konflikt zwischen Juden und
       Arabern, was ja so gar nicht stimmt“, sagt der Rabbistudent. Und der
       Israeli: „Es geht uns nicht um Frieden, weil es hier ja auch gar keinen
       Krieg gibt.“ Dennoch wollen beide am Namen festhalten, man habe darüber
       demokratisch abgestimmt, so Langer. Jacobi-Keller ergänzt: „Der Name ist
       nur der Name.“
       
       Dann beginnt die Party. Das Publikum – tatsächlich ein multikultureller,
       studentisch-alternativer Haufen – hat den ersten Raum inzwischen gut
       gefüllt. Die kurdischen Art-Rocker bereiten sich auf ihren Auftritt vor.
       Armin Langer stellt sich an die Kasse. Es wird eine lange Nacht für ihn. Am
       Ende hat er über 300 Gästen die Hand geschüttelt – und 700 Euro für Plakate
       in der Kasse.
       
       16 Jul 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://salaamschalom.wordpress.com
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Memarnia
       
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