# taz.de -- Wirtschaftsweiser über Lohnerhöhung: „Autos kaufen keine Autos“
       
       > Deutschland habe lange die Löhne gedrückt und so Schulden vermieden, sagt
       > Peter Bofinger. Nun müsse es aber wieder eine normale Lohnentwicklung
       > geben.
       
 (IMG) Bild: Kaufen sich nicht selbst: Autos.
       
       taz: Herr Bofinger, sonst fordert die Bundesbank niedrige Lohnabschlüsse
       gegen die Inflation. Wieso nun das Gegenteil? 
       
       Peter Bofinger: Gerade hat die Bundesbank verkündet, dass das Wachstum in
       Deutschland im zweiten Quartal stagniert hat. Lohnerhöhungen stärken die
       Binnennachfrage und bringen so die Konjunktur in Fahrt. Deshalb ist der Ruf
       nach mehr Löhnen folgerichtig. Deutschland kann nicht mehr wie bisher
       darauf setzen, dass die Weltwirtschaft alles richtet, wir müssen versuchen,
       von innen heraus zu wachsen.
       
       Wie kann das gehen? 
       
       Das Grundproblem ist doch, dass Autos keine Autos kaufen. Deutschland hat
       sich zwischen 2000 und 2007 bei der Lohnentwicklung extrem zurückgehalten,
       die Binnennachfrage stagnierte. Zum Glück haben andere Länder die Löhne
       kräftig erhöht und sich kräftig verschuldet. In dieser Phase hat der
       Exportboom unsere schwache Binnennachfrage ausgeglichen. Aber das ist ja
       kein nachhaltiges Modell.
       
       Werden deutsche Waren international nicht zu teuer, wenn die Löhne steigen? 
       
       In der Eurokrise hat sich gezeigt: Eine überzogene Verschuldung des
       Privatsektors und zu hohe Löhne sind keine dauerhaften Nachfragemotoren.
       Der beste Weg, um die Konjunktur zu stimulieren, sind Realeinkommen, die so
       stark steigen wie die Produktivität anzieht. Das ist „Wohlstand für alle“
       im Sinn von Ludwig Erhard, ein Modell, das in der Nachkriegszeit bis Mitte
       der 70er Jahre vorherrschte. In den USA und anderen Ländern gab es danach
       nur geringe Reallohnzuwächse. Dafür wurde das Wachstum bis zum Jahr 2007
       von der Privatverschuldung getrieben. Das Ende war die Finanzkrise.
       Deutschland ist bis 2007 über eine stagnierende Binnenkonjunktur und
       rasantes Exportwachstum gewachsen.
       
       Aber zulasten der Eurozone. 
       
       Eben. Wir haben lange die Löhne nicht erhöht und kaum Schulden gemacht. Das
       geht aber nur, wenn man Länder hat, die den wenig tugendhaften Weg wählen:
       zu starke Lohnsteigerungen, hohe Schulden. Aber nun steigen im Ausland die
       Löhne nicht mehr, die Verschuldung stößt an Grenzen. Deshalb ist es
       stringent zu sagen, wir brauchen in Deutschland eine normale
       Lohnentwicklung. Seit 2008 gibt es bereits eine Trendwende, die Reallöhne
       sind in Deutschland wieder gestiegen – und wir sind damit nicht schlecht
       gefahren.
       
       Gibt es denn das Risiko einer Deflation? 
       
       Ja. Wenn Länder wie Frankreich, Spanien oder Italien wettbewerbsfähig
       werden sollen, verstehen darunter viele, dass die Löhne dort nicht mehr
       steigen dürfen oder sogar sinken sollen. Ob weniger Kündigungsschutz oder
       weniger Sozialleistungen: 80 Prozent der sogenannten Strukturreformen
       bedeuten faktisch Lohnzurückhaltung oder Lohnkürzung. Das schafft einen
       deflationären Druck. Wenn in Deutschland nicht gegenhalten wird, gerät das
       System aus den Fugen – und die Eurozone rutscht in die Deflation.
       
       Was kann man dagegen tun? 
       
       Ich habe vor einem Jahr gefordert, alle Löhne sollten einmalig um 2
       Prozentpunkte zusätzlich steigen – die größte Kritik kam von
       Gewerkschaftsvertretern. IG-Metall-Chef Berthold Huber sagte, er wolle
       keine Arbeitsplätze in China schaffen.
       
       Welche Lohnsteigerungen halten Sie für angemessen? 
       
       Hier lautet die Faustformel: Produktivität plus Ziel-Inflationsrate der
       Europäischen Zentralbank. Also 1,6 plus 1,9 Prozent. Das ifo Institut
       prognostiziert für 2015 ein Lohnplus von 3,9 Prozent – das passt schon.
       
       INTERVIEW: KAI SCHÖNEBERG
       
       22 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kai Schöneberg
       
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