# taz.de -- Kindersoldaten im Zweiten Weltkrieg: Hitze, Dreck, Blut und Horror
       
       > Der „Kleine Aufständische“ war lange fester Bestandteil der nationalen
       > Erzählung in Polen. Nun regt sich Kritik am Kult um minderjährige
       > Kämpfer.
       
 (IMG) Bild: Diese Bronzefigur des „Kleinen Aufständischen“ steht mitten in der Warschauer Altstadt.
       
       WARSCHAU taz | Es knallt und kracht, wummert und zischt. Hochhäuser und
       Paläste stürzen in sich zusammen. Sirenen heulen, Bomben und Granaten
       zermalmen Gebäude. Übrig bleiben Schutt und Asche.
       
       Das Museum des Warschauer Aufstandes von 1944 hat sich in den vergangenen
       zehn Jahren zu einem Publikumsmagneten entwickelt. Für Kinder ist es ein
       Abenteuerspielplatz mit klarer Rollenverteilung: Polen auf der guten Seite,
       Deutsche und Russen auf der bösen.
       
       Im Spielzimmer steht die Kopie der Skulptur des „Kleinen Aufständischen“
       aus der Altstadt. Der Künstler Jerzy Jarnuszkiewicz hatte ein Antidenkmal
       im Sinn, als er die 1,50 Meter große Bronzefigur 1946 schuf – eine Hommage
       an die gefallenen Kindersoldaten des Aufstands.
       
       Anders als auf fast allen Fotos von Beteiligten lacht der Neun- oder
       Zehnjährige nicht. Der viel zu große, erbeutete Wehrmachtshelm mit der
       weißroten Binde fällt ihm tief in die Stirn. Uniformjacke, Soldatenstiefel
       und Gürtel schlabbern am Kinderkörper. Der Knirps kann gerade mal seinen
       Karabiner tragen.
       
       Nichts lag Jarnuszkiewicz ferner, als ein patriotisches Heldenkind zu
       schaffen. Doch genau in diesem „patriotischen Sinne“ wird sein Werk bis
       heute von vielen in Polen verstanden. Schon Vorschulkinder legen hier
       Blumen nieder, zünden Kerzen an und singen das populäre Aufstandslied:
       „Warschauer Kinder, ziehen wir in den Kampf. Für jeden Deiner Steine, oh
       Hauptstadt, geben wir unser Blut.“
       
       Doch mehr und mehr weckt diese offizielle Interpretation Zweifel und
       Widerstand. Auch die damaligen Kinder und heute 75- bis fast 90-jährigen
       TeilnehmerInnen des Aufstand erzählen eine andere Geschichte: Nicht rührend
       anmutender Heldenmut von Neunjährigen sind ihr Thema, sondern Hitze, Dreck,
       Blut und Horror über das Mitansehenmüssen, wie Freunde, Geschwister und
       Eltern sterben.
       
       ## Luftballons in der Hand
       
       2011 versuchte zum ersten Mal eine Elterngruppe, dem „Kleinen
       Aufständischen“ seine Kindheit zurückzugeben. Am „Tag des Kindes“ banden
       sie bunte Luftballons um die Bronzehand, die den Karabinerkolben hält. Eine
       azurblaue Rutsche führte in ein knallrotes und mit Wasser gefülltes
       Planschbecken. Eine grüne Schildkröte als Schwimmreif, eine quietschgelbe
       Plastikente, Eimerchen, Schaufel und Ball vollendeten das friedliche Bild.
       
       Die Initiatoren fragten: „Ist ein Kind mit einem Karabiner in der Hand echt
       ein Vorbild für guten Patriotismus? „Da geht man durch die Altstadt – und
       plötzlich steht da ein Kind mit Gewehr in der Hand“, so ein Vater. „Warum
       an dieser Stelle? Keine Tafel erläutert das.“ Ein anderer findet es
       seltsam, dass viele Polen den „Kleine Aufständischen“ so positiv sehen,
       während Fotos von Kindersoldaten in Afrika Empörung auslösen.
       
       Die Behauptung, es habe gar keine Kindersoldaten gegeben und das Denkmal
       stelle nur einen Jungen dar, der gerne „wie ein Großer“ an den Kämpfen
       teilgenommen hätte, ist längst widerlegt. Auf ihrer offiziellen Homepage
       widmet die Gesellschaft zur Erinnerung an den Aufstand den „jüngsten
       Soldaten“ ein eigenes großes Kapitel.
       
       Zwar beteiligten sich Kinder tatsächlich vor allem als Meldegänger, doch
       viele kämpften auch, indem sie handgefertigte Molotowcocktails unter
       deutsche Panzer warfen. Ältere wurden Schützen und stiegen relativ rasch in
       der Untergrundarmee Armia Krajowa (Heimatarmee) oder den angegliederten
       Pfadfindergruppen auf.
       
       Allein im Kriegsgefangenenlager Lamsdorf internierten die Deutschen nach
       Niederschlagung des Aufstands im Herbst 1944 knapp 6.000 Männer, 1.000
       Frauen – und 600 Minderjährige im Alter von 12 bis 17 Jahren. Nur ein
       einziges Kind wurde vorzeitig entlassen: Ein Elfjähriger, der den Status
       „Zwangsarbeiter“ erhielt, durfte von seiner Mutter abgeholt werden.
       
       1 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Lesser
       
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