# taz.de -- Nazi-Bürgermeister auf Sylt: Aus der Waffen-SS ins Rathaus
       
       > Heinz Reinefarth, der Henker von Warschau, soll in Polen posthum vor ein
       > Gericht. Auf Sylt war er nach dem Krieg Bürgermeister und Abgeordneter.
       
 (IMG) Bild: Warschauer Aufstand: Der Opfer wird schon gedacht. Doch auch die Täter sollen nicht vergessen werden.
       
       WARSCHAU taz | „Auch als Enkel träumen wir mitunter davon, dass uns die SS
       verfolgt. Dieses Trauma haben viele hier in Warschau-Wola, wo die Nazis
       erst das Ghetto einrichteten, über 300.000 Juden ermordeten und 1944 dann
       in einem unvergleichlichen Blutbad rund 50.000 Menschen in nur drei Tagen
       regelrecht abschlachteten.“
       
       In wenigen Tagen wird Hanna Nowak-Radziejowska, die junge Direktorin des
       Museums des Warschauer Stadtteils Wola, eine Ausstellung über Heinz
       Reinefahrt eröffnen. Der Mann, der in Polen der „Henker von Warschau“
       genannt wird, hat nach dem Krieg Karriere gemacht.
       
       Nach 1945 wurde der aus Gnesen, dem heutigen polnischen Gniezno, stammende
       Ex-SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Bürgermeister von
       Westerland auf Sylt. Dann zog er 1958 für den Gesamtdeutschen Block/Bund
       der Heimatvertriebenen und Entrechteten in den Landtag von
       Schleswig-Holstein ein, später arbeitete er als Rechtsanwalt. Im Mai 1979
       starb er als angesehener Bürger Westerlands.
       
       In Deutschland wurden die Ermittlungen gegen Reinefahrt eingestellt – ohne
       Anklage. Umso wichtiger für die Bewohner von Wola, dass bald eine
       Delegation aus Sylt zur Ausstellungseröffnung kommt. In der polnischen
       Presse wurde breit darüber berichtet, dass der Landtag von
       Schleswig-Holstein am 10. Juli 2014 angesichts der Gräueltaten Reinefarths
       den Opfern des Warschauer Aufstands „sein tiefes Mitgefühl“ ausgesprochen
       und sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht hat, „dass es nach 1945 in
       Schleswig-Holstein möglich werden konnte, dass ein Kriegsverbrecher
       Landtagsabgeordneter wird“.
       
       ## Unerträglicher Leichengestank
       
       Vom „schwarzen Samstag“ gibt es kaum Fotos. Der August 1944 war so heiß,
       dass Reinefahrt Tausende ermordete Aufständischen aufstapeln und abfackeln
       ließ. Der Leichengestank war unerträglich. „So blieb von den Opfern keine
       Spur. Nur Asche. Tonnen von Asche.“
       
       Nowak-Radziejowska zeigt die Ausstellungsräume: „Wir werden Reinefarth
       posthum vor Gericht stellen. Vorbild ist für uns das Verfahren gegen Adolf
       Eichmann, wie es Hannah Arendt geschildert hat.“ Anders als im
       Aufstandsmuseum, das die Besucher durch Geräusche, Filme und stark wertende
       Kommentare in einen Gefühlstaumel versetze, solle der Besucher im Museum
       Wola die Chance erhalten, sich selbst ein Bild zu machen.
       
       „Unsere Gäste können sich mit den Verwürfen vertraut machen, dann mit den
       Zeugenaussagen – polnischen wie deutschen –, anschließend mit den
       Schlussfolgerungen der Staatsanwälte.“ Den Höhepunkt bildet eine Konferenz,
       die in einigen Wochen in Form eines öffentlichen Tribunals stattfinden
       soll. „Wir haben die Ermittlungsakten mehreren international bekannten
       Juristen übergeben und sie um Einschätzungen gebeten.“
       
       Es sei schon seltsam, dass es Zehntausende von Ermordeten in Warschau gebe
       – aber keine Mörder. Dass rund 70 Prozent der Innenstadt nach der
       Niederschlagung des Aufstands 1944 dem Erdboden gleichgemacht wurden – und
       heute niemand daran schuld gewesen sein will. „Wir würden das gerne in
       Ordnung bringen“, sagt Nowak-Radziejowska. Sicher, die Schuldigen seien
       alle tot, aber vielleicht lasse sich ja auch noch posthum und für die
       Deutschen glaubwürdig feststellen, dass Heinz Reinefarth tatsächlich der
       Henker von Warschau gewesen sei.
       
       „Ich stelle mir manchmal vor, wie es sich wohl anfühlen muss, Enkel oder
       Urenkel von einem Massenmörder des Nazi-Regimes zu sein. Wir werden diese
       Verbrechen sicher niemandem heute Lebendem vorwerfen“, stellt
       Nowak-Radziejowska fest. Dass die Westerländer auf Sylt sich nun endlich
       ihrer Geschichte stellen würden und am Rathaus eine Gedenktafel anbringen
       wollten, das an Reinefarth als Bürgermeister, Vertriebenen und „Henker von
       Warschau“ erinnern werde, sei ein guter Anfang.
       
       31 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Lesser
       
       ## TAGS
       
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