# taz.de -- Kommentar Präsidentschaftswahl Türkei: Die unperfekte One-man-Show
       
       > Erdogan wurde gleich im ersten Durchgang gewählt. Doch 51,8 Prozent sind
       > ein maues Ergebnis. Der Präsident hat keinen Freibrief für die
       > Alleinherrschaft.
       
 (IMG) Bild: Selbst diese türkische Katze wendet sich gelangweilt von Erdogan ab.
       
       Gesiegt und doch nicht gewonnen. Recep Tayyip Erdogan hat am Sonntag
       erreicht, was er immer wollte. Er ist in direkter Wahl zum
       Staatspräsidenten der Türkei gewählt worden und darf sich nun in eine Reihe
       mit dem Gründer der Republik, Mustafa Kemal „Atatürk“ stellen. Insofern war
       das Ergebnis tatsächlich der Eintrag in die Geschichtsbücher, von dem
       Erdogan seit langem geträumt hat. Doch die 51,8 Prozent der Stimmen, die er
       für sich verbuchen konnte, entsprechen bei weitem nicht den Erwartungen
       Erdogans und seiner engsten politischen Berater.
       
       Erdogan und seine Kamarilla hatten mit mindestens 55 Plus der abgegebenen
       Stimmen gerechnet. Die meisten Meinungsumfragen hatten Erdogan 56 bis 58
       Prozent vorausgesagt, gemessen daran war der Wahlabend für den neuen
       Präsidenten der Türkei eine herbe Enttäuschung. In absoluten Zahlen liegt
       er ungefähr bei derselben Anzahl der Stimmen, wie sie seine Partei bei den
       Kommunalwahlen im März erreichen konnte und das waren umgerechnet in
       Prozenten gerade mal knapp 45 Prozent. Nur weil viele Gegner Erdogans erst
       gar nicht zur Wahl gingen, da das Ergebnis ja sowieso festzustehen schien,
       hat er die 50 Prozent Marke im ersten Anlauf überwinden können.
       
       Das ist keine kosmetische Frage, nach dem Motto, „Gewonnen ist gewonnen“:
       Denn jeder Prozentpunkt weniger für Erdogan macht die weitere Gestaltung
       der neuen Machtverhältnisse schwieriger. Erdogan und seine Berater hatten
       gehofft, einen so überwältigenden Sieg einzufahren, dass sie die
       Parlamentswahl, die im kommenden Jahr stattfinden soll, vorziehen können in
       der Hoffnung, dann eine verfassungsändernde Mehrheit zu gewinnen. Denn
       Erdogan steht nun vor dem Problem ein gewählter Präsident zu sein, dem die
       Verfassung jedoch nur überwiegend repräsentative Aufgaben zuschreibt.
       Erdogan will das durch eine neue Präsidialverfassung ändern, doch das
       dürfte nun wesentlich schwieriger werden, als er erhofft hatte.
       
       Mit anderen Worten: die One-man-Show in der Türkei, die viele befürchtet
       und nicht weniger gewollt hatten, ist bei weitem nicht perfekt. Obwohl
       Erdogan alle Mittel eines amtierenden Ministerpräsidenten in grotesk
       unfairer Weise im Wahlkampf ausgereizt hat, obwohl er mittlerweile
       sämtliche TV-Anstalten entweder kontrolliert oder komplett eingeschüchtert
       hat, sodass von den Oppositionskandidaten im Fernsehen fast nichts zu sehen
       war, hat sich an den Verhältnissen im Vergleich zu den Kommunalwahlen und
       den Parlamentswahlen 2011 kaum etwas verändert.
       
       Ein Blick auf die politische Landkarte der Türkei zeigt, Erdogan siegt in
       Zentralanatolien und am Schwarzen Meer, an der Ägäisküste und am Mittelmeer
       gewinnt die säkulare Opposition und im Südosten des Landes der Kandidat der
       Kurden. In Istanbul gab es gestern Abend ein Patt von 49 zu 49 Prozent.
       
       In den kommenden Wochen wird sich nun zeigen, ob Erdogan versuchen wird,
       seine Alleinherrschaft trotzdem mit der Brechstange durchzusetzen, oder ob
       er tatsächlich, wie er gestern Nacht ankündigte, nun auf die 50 Prozent die
       ihn nicht gewählt haben, zugehen wird.
       
       11 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Recep Tayyip Erdoğan
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Ahmet Davutoglu
 (DIR) Kunst
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Schwerpunkt Türkei
 (DIR) Recep Tayyip Erdoğan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Wahlen in der Türkei: Ein islamischer Papiertiger
       
       Ahmet Davutoglu ist neuer Chef der AKP und wohl auch der nächste
       Regierungschef. Ist er Erdogans Befehlsempfänger oder hat er eigene
       Spielräume?
       
 (DIR) Neuer türkischer Ministerpräsident: Erdogans treue Seele
       
       Ahmet Davutoglu soll Recep Tayyip Erdogan im Amt folgen. Er gilt als
       islamischer Intellektueller der AKP, als Außenminister hatte er wenig
       Erfolg.
       
 (DIR) Kunst in der Türkei: Am Ende des Regenbogens
       
       Kunst hat in der Türkei lange als Motor der Gesellschaftskritik gedient.
       Ist ihre Vielfalt nach Erdogans Wahlsieg bedroht?
       
 (DIR) Kurden in der Türkei: Streit über Guerillero-Denkmal
       
       Kaum errichtet, wird die Statue eines Mitgründers der kurdischen PKK wieder
       abgerissen. Sie war ein Ärgernis für Erdogan, aber auch für Öcalan.
       
 (DIR) Nach der türkischen Präsidentschaftswahl: Fantastischer Zugewinn für HDP
       
       Bei der Verabschiedung einer neuen Verfassung wird die Partei des
       kurdischen Kandidaten Demirtas das Zünglein an der Waage sein.
       
 (DIR) Nach der türkischen Präsidentschaftswahl: Erdogan umarmt alle
       
       Die absolute Mehrheit schon im ersten Wahlgang – Recep Tayyip Erdogan ist
       der strahlende Sieger. In seiner Jubelrede verspricht er viel, nicht
       zuletzt eine „neue Türkei“.
       
 (DIR) Vorläufiges Wahlergebnis: Erdogan ist türkischer Präsident
       
       Der Ministerpräsident kann nach Auszählung von mehr als drei Vierteln der
       Stimmen mit einer absoluten Mehrheit rechnen. Damit würde ein zweiter
       Wahlgang entfallen.
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl in der Türkei: Ein ganz besonderer Tag
       
       Die Türkei wählt einen neuen Präsidenten. Und dann? Unsere Autorin wagt
       einen Blick in die Zukunft – mit einer ironischen Short Story.
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl in der Türkei: Gezi – so weit weg, so gegenwärtig
       
       Die Proteste im Gezi-Park bleiben in Erinnerung: für die Opposition als
       Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung, für die Regierung als Moment der
       Angst.
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl in der Türkei: Der Kampf wird härter
       
       Die Oppositionsparteien enttäuschen im Kampf um die Macht. Erdogans
       erwartbarer Sieg wird die Gegensätze in der Türkei verschärfen.
       
 (DIR) Präsidentschaftswahl in der Türkei: Erdogan City
       
       Mit staatlichem Wohnungsbau hat Erdogans AKP eine besondere Art der
       Klientelpflege betrieben. Ein Besuch in Sultanbeyli.