# taz.de -- Präsidentschaftswahl in der Türkei: Gezi – so weit weg, so gegenwärtig
       
       > Die Proteste im Gezi-Park bleiben in Erinnerung: für die Opposition als
       > Zeit des Aufbruchs und der Hoffnung, für die Regierung als Moment der
       > Angst.
       
 (IMG) Bild: Die Gezi-Proteste haben ihre eigene Ikonografie gefunden.
       
       BERLIN taz | Der Park ist noch da. Fragt man, was aus den Geziprotesten vom
       Frühjahr vorigen Jahres wurde, ist dies die erste, vielleicht etwas
       verblüffende Antwort. Schließlich ging es, fast hatte man es schon
       vergessen, zunächst um den Erhalt dieses kleinen Parks im Zentrum
       Istanbuls.
       
       Der Park ist noch da. Nach der Erstürmung neu begrünt und noch kitschiger
       als vorher, und dank der ständigen Polizeipräsenz kaum noch ein Ort für
       Gestrandete. Aber es gibt ihn noch.
       
       Und der Aufbruch, zu dessen Symbol der Gezipark wurde, ist in der
       Erinnerung der Beteiligten lebendig. Für die jüngeren Demonstranten bildete
       Gezi vermutlich das Generationsereignis, über das sie noch in vielen Jahren
       reden werden – das ihnen im Moment aber so unendlich weit weg erscheint.
       Sie sind gefrustet, weil sie das Gefühl haben, sie hätten nichts erreicht.
       
       Die älteren Oppositionellen haben trotz der Niederschlagung der Proteste
       eher den Eindruck, dass seit Gezi gesellschaftliche Opposition möglich ist.
       
       ## Gezi als Referenzpunkt
       
       Lebendig ist die Erinnerung auch bei der Regierungspartei AKP und Premier
       Recep Tayyip Erdogan. Für ein paar Tage hatten sie Angst, richtig Angst.
       Und die ist Erdogan noch immer anzumerken. Keine Rede seiner Wahlkampagne,
       in der er nicht auf Gezi zu sprechen käme und seine Interpretation
       (Verschwörung fremder Mächte und ihrer Handlanger) wiederholen würde.
       
       In die Kommunalwahl im März zog die AKP in Istanbul mit der Parole
       „Überallhin eine Metro, überallher eine Metro“ – eine Antwort auf die
       Geziparole „Taksim ist überall, Widerstand ist überall“. Und wenn Erdogan,
       wie erst kürzlich, sagt: „Sie haben mich Georgier genannt und sogar noch
       Schlimmeres, sie haben mich Armenier genannt“, erinnert sich die
       Gegenseite, wie die Gezidemonstranten als „armenische Brut“ (wahlweise als
       „jüdische“) bezeichnet wurden. Gezi ist die Referenz, anhand der man sich
       zuordnet und anhand der man die Dinge einordnet.
       
       Und Gezi hat die türkische Zivilgesellschaft zum Leben erweckt, in einer
       Form, wie es sie nie zuvor gab. Man konnte das etwa bei der Kommunalwahl
       sehen, als Tausende Bürgerinnen und Bürger in den Wahllokalen die
       Stimmauszählung zu verfolgen versuchten, um Manipulationen zu verhindern
       oder diese zu dokumentieren. Bei der Auszählung der Präsidentschaftswahl
       wird es das auch geben.
       
       ## Verlorener Kampf
       
       Eine eigene politische Partei hat Gezi jedoch nicht hervorgebracht. Aber,
       was vielleicht auf Dauer wirkungsvoller ist, einen vorsichtigen Wandel der
       bestehenden oppositionellen Parteien ausgelöst. Zugleich hat Gezi die
       gesellschaftliche Polarisierung verstärkt. Tayyip oder nicht Tayyip, darauf
       konzentriert sich alles. Und beide Tendenzen widersprechen sich zuweilen.
       
       Aber warum ist Erdogan seinerzeit so auf Konfrontation gegangen, warum hat
       er nicht die Proteste besänftigt, als dies noch möglich gewesen wäre? Eine
       nicht gesicherte, aber plausible Antwort: Er wollte an Stelle des Parks die
       für die türkischen Islamisten symbolisch wichtige Kaserne unbedingt wieder
       errichten. Aber nicht, um darin ein Einkaufszentrum einzurichten, sondern
       seinen eigenen Präsidentensitz. Die Wahl wird Erdogan gewinnen. Diesen
       Kampf hat er verloren.
       
       9 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Deniz Yücel
       
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