# taz.de -- Präsidentschaftwahl in Brasilien: Ernste Gegenkandidatin für Rousseff
       
       > Marina Silvas Nominierung bringt die Präsidentin in Bedrängnis. Ökologie,
       > konservative Werte und der Applaus der Rechten zeichnen sie aus.
       
 (IMG) Bild: Die ehemalige Umweltministerin Marina Silva zieht für die PSB in den Wahlkampf.
       
       RIO DE JANEIRO taz | Eine völlig neue Konstellation bringt Spannung in den
       Wahlkampf um die Präsidentschaft Brasiliens, die im Oktober 2014 ansteht.
       Die äußerst populäre, ehemalige Umweltministerin Marina Silva wurde am
       Mittwoch von der PSB offiziell zur Kandidatin für das höchste Staatsamt
       gekürt. Meinungsumfragen zufolge kann sie den sicher geglaubten Wahlsieg
       von Amtsinhaberin Dilma Rousseff gefährden.
       
       Ausgangspunkt der dramatischen Wende ist der Tod des bisherigen
       PSB-Kandidaten Eduardo Campos. Auf einer Wahlkampftour stürzte sein
       Flugzeug über der Hafenstadt Santos ab. Keiner der sieben Insassen
       überlebte. Campos wollte einen dritten Weg zwischen der gemäßigt linken
       Arbeiterpartei PT von Rousseff und der rechten PSDB aufzeigen, die seit 20
       Jahren das Rennen um die Präsidentschaft im größten Land Lateinamerikas
       unter sich ausmachen. Dazu führte er seine Partei Ende vergangenen Jahres
       aus der Regierungskoalition mit der PT und gewann Silva als Kandidatin für
       die Vize-Präsidentschaft.
       
       Das ambitionierte Projekt erregte viel Aufmerksamkeit, doch überzeugte
       bislang nur wenige. Keine zehn Prozent der Wähler sprachen sich in Umfragen
       für das Tandem Campos-Silva aus. Doch der Führungswechsel veränderte das
       politische Panorama. Eine Umfrage von letzten Wochenende sah Silva bei 21
       Prozent, die damit statt des PSDB-Kandidaten Aécio Neves in eine eventuelle
       Stichwahl einziehen würde. In dem Frauen-Duell hätte dem
       Meinungsforschungsinstitut „Datafoha“ zufolge Silva die Nase vorn.
       
       Fraglos kann diese Umfrage als erneute Einmischung der allesamt
       konservativen Massenmedien in den Wahlkampf interpretiert werden. Die
       Wählerbefragung fand noch vor Trauerfeier für Campos statt und sei Ausdruck
       des Unglücksbonus, kritisierten PT-Politiker. Ziel des Manövers war diesmal
       nicht Meinungsmache, sondern Einflussnahme auf die PSB, die alles andere
       als einig war, Marina Silva zu nominieren. Zwar ist sie seit bald einem
       Jahr Parteimitglied, doch nur weil ihrer politischen Bewegung „Rede
       Sustentabilidade“ (Netzwerk für Nachhaltigkeit) die Einschreibung ins
       Wahlregister und damit eine unabhängige Kandidatur aus formalen Gründen
       verwehrt wurde.
       
       Insbesondere der liberale Flügel der Partei fürchtet, dass die ökologischen
       Positionen Silvas die neue unternehmerfreundliche Ausrichtung der Partei in
       Mitleidenschaft ziehen könnte. Unzufrieden sind innerhalb der PSB auch
       diejenigen, die den Austritt der Partei aus der Regierungskoalition von
       Rousseff für einen Fehler hielten.
       
       ## Ökologie und Realpolitik
       
       Die neue unternehmensfreundliche Parteilinie soll nun der Vize-Kandidat
       Beto Albuquerque repräsentieren. Der Bundesabgeordnete war ein enger
       Vertrauter von Campos, der in mehreren Bundesstaaten Koalitionen mit
       rechten Parteien anstrebte. Dennoch schlagen Vertreter des Agrobusiness
       Alarm, da Silva stets eine radikale Gegnerin der rasantes Ausdehnung der
       industriellen Landwirtschaft und der einhergehenden Naturzerstörung war.
       
       Doch mittlerweile ist die 55-jährige Ökologin Teil der Realpolitik, gibt
       der Politikwissenschaftler Rodrigo González von der Bundesuniversität in
       Rio Grande do Sul (UFRGS) zu bedenken: „Vor vier Jahren war Marina Silva
       eine ökologische Kandidatin mit einem sehr begrenzten Wahlprogramm. Heute
       sind ihre politischen Positionen noch eine unbekannte Größe, doch sicher
       ist, dass sie einige Aspekte der unternehmerfreundlichen PSB in ihr
       Programm aufnehmen wird.“
       
       Schon bei der Wahl 2010 kam Marina Silva als Kandidatin der Grünen Partei
       PV auf überraschende 20 Prozent. Ihr Verhältnis zu Dilma Rousseff ist
       gespannt. Sie war die erste Umweltministerin unter Präsident Luiz Inácio
       Lula da Silva (2003 – 2010) und warf nach gut fünf Jahren das Handtuch, als
       der Streit mit der damaligen Kanzleramtsminiserin Rousseff um
       Naturschutzauflagen eskalierte. Mit ihrem Rücktritt und dem späteren
       Austritt aus der PT bewies sie Rückgrat, was ihr auch jenseits der
       Umweltbewegungen große Sympathien einbrachte.
       
       ## Konservative Familienwerte
       
       Die überzeugte Umweltschützerin ist aber keine Repräsentantin der Linken.
       Seit 1997 gehört sie der evangelikalen Assembleia de Deus an und vertritt
       konservative Familienwerte. Sie kämpft gegen das Recht auf Abtreibung und
       steht in der Diskussion um Homosexualität auf Seiten derjenigen, die eine
       „Heilung“ dieser sexuellen Orientierung propagieren. Aber sie gilt als
       nicht korrupt und repräsentiert die Unzufriedenheit vieler, die bei den
       Massendemonstrationen im Juni 2013 auf den Straßen zum Ausdruck gebracht
       wurde.
       
       Für die PT ist der Aufschwung der Opposition schon jetzt ein Denkzettel.
       Sie war einst angetreten, das politische System zu erneuern und die extreme
       soziale Ungleichheit zu beseitigen. Doch zahlreiche Korruptionsskandale und
       mangelnde Transparenz haben das Image einer anderen, ethischen Partei
       demontiert. Inzwischen gilt sie als ganz normale Partei, die wie alle
       anderen mit Geld und Gefälligkeiten politisch fragwürdige Koalitionen
       bildet und sich an die Macht klammert.
       
       Wirtschaftlich setzt die Technokratin Dilma Rousseff auf schnelle
       nachholende Entwicklung, wobei Umweltinteressen und auch die Rechte von
       Indigenen auf der Strecke blieben. Das kostete sie die Unterstützung vieler
       sozialer Bewegungen, doch die Unternehmer danken es ihr nicht. Obwohl das
       Agrarbusiness seit Jahren boomt und Banken immer größere Gewinne
       einstreichen, setzen Wirtschaftsverbände, rechte Parteien und das Monopol
       der Massenmedien alles daran, Rousseff zweite Amtsperiode zu verhindern.
       Folgerichtig kündigte die PSDB bereits am Mittwoch an, beim Nichteinzug in
       einen eventuellen zweiten Wahlgang die PSB-Kandidatin Silva zu
       unterstützen.
       
       Rousseffs Trumpf ist nach wie vor die Sozialpolitik. Es ist der
       Arbeiterpartei tatsächlich gelungen, Millionen aus der Armut herauszuholen
       und eine gerechtere Einkommensverteilung durchzusetzen. Der Wirtschaft geht
       es vergleichsweise gut, auch wenn die Medien täglich die Krise
       herbeischreiben. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem historischen
       Tiefststand und die Währungsreserven sind trotz weltweiter
       Konjunkturschwäche immer noch zehn mal höher als zur Zeit der
       Regierungsübernahmen 2003. Deswegen geht Rousseff zu recht davon aus, dass
       die Mehrheit der armen Brasilianer zu ihr halten werden und nicht zu der
       Wende-Kandidatin Marina Silva.
       
       21 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Behn
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Dilma Rousseff
 (DIR) Marina Silva
 (DIR) Brasilien
 (DIR) Präsidentschaftswahl
 (DIR) Brasilien
 (DIR) Brasilien
 (DIR) Brasilien
 (DIR) Dilma Rousseff
 (DIR) Brasilien
 (DIR) WM 2014
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Präsidentschaftswahlen in Brasilien: Alle müssen an die Urne
       
       Die Wahl hat begonnen, für alle 18- bis 70-Jährigen ist die Teilnahme
       Pflicht. Präsidentin Rousseff gilt als Favoritin, aber Ex-Umweltministerin
       Silva will in die Stichwahl.
       
 (DIR) Wahl in Brasilien: Die Herausforderin
       
       Die Umweltschützerin Marina Silva will Präsidentin werden. Dass sie nicht
       für eine bestimmte Gruppe oder Klasse steht, macht sie attraktiv für die
       Wähler.
       
 (DIR) Kommentar Wahlkampf in Brasilien: Öl und Korruption
       
       Der neueste Korruptionsskandal macht Präsidentin Dilma Rousseff zu
       schaffen. Dabei kann ihr bislang nichts nachgewiesen werden.
       
 (DIR) Brasiliens Industrie gegen Rousseff: Wahlkampf an der Börse
       
       Die Wirtschaft im ehemaligen Boomland schwächelt. Unternehmen und
       Opposition prophezeien eine Krise, sollte die Präsidentin wiedergewählt
       werden.
       
 (DIR) Flugzeugabsturz in Brasilien: Präsidentschaftskandidat ist tot
       
       Bei einem Jetabsturz nahe Santos ist Eduardo Campos ums Leben gekommen. Er
       sollte für die Sozialistische Partei Brasiliens gegen Präsidentin Rousseff
       antreten.
       
 (DIR) Dilma Rousseff und die WM: Angstpartie bis zum Anpfiff
       
       Die Kritik an der Präsidentin war heftig, doch die Rechte hat den Bogen
       überspannt. Nun profitiert Dilma Rousseff von der guten Stimmung im Land.