# taz.de -- Die Wahrheit: Matratzenhorchdienst nach Vorschrift
       
       > Es gibt sie noch, die Helden der freien Wirtschaft: Im Kampf gegen die
       > rabiate Matratzenmafia leistet das Bundeskartellamt Übermenschliches.
       
       Eine bislang wenig beachtete Behörde landet in jüngster Zeit einen
       Paukenschlag nach dem anderen. Es ist das Bundeskanzleramt unter seinem
       politisch schwergewichtigen Minister Peter Altmeier (CDU) … nein, Quatsch:
       das Bundeskartellamt unter seinem dann doch eher leichtgewichtigen
       Präsidenten Andreas Mundt (FDP), das praktisch im Alleingang das brüchige
       Fundament unserer Marktwirtschaft gegen ihre ärgsten Feinde verteidigt: die
       Kartelle.
       
       Beinahe im Monatstakt entlarven die liberalen Wettbewerbshüter mittlerweile
       illegale Preisabsprachen unter Konkurrenten - eine räuberische Unsitte, die
       das freie Spiel der Kräfte nach Kräften behindert und, schlimmer noch,
       gründlich in Misskredit bringen könnte. Was bei solchen betrügerischen
       Kartellen herauskommt, hat man bei den Wettkartellen im Fußball und den
       Rauschgiftkartellen Lateinamerikas sehen können: manipulierte
       Spielergebnisse, tief enttäuschte Fans, Dutzende von Entführungen sowie
       jede Menge Todes- und Drogenopfer.
       
       Doch auch Deutschland scheint nicht mehr weit von Verhältnissen entfernt,
       wie sie in Mexiko oder Kolumbien herrschen. Ziel der mafiösen Verabredungen
       ist es nämlich, uns Verbraucher um das Beste zu betrügen, was der Markt zu
       bieten hat: lächerlich, ja geradezu irrsinnig niedrige Preise: zum Beispiel
       19 Cent, 45 Cent oder 5,99 Euro. Solche abgrundtief verrückten Preise
       garantieren die Wohlfahrt und Stabilität des Gemeinwesens; viele Menschen
       haben sie regelrecht ins Herz geschlossen und könnten ohne sie nicht leben.
       
       Besonders viel Wirbel machten deshalb zuletzt Verfahren gegen die mächtigen
       Bier-, Zucker- und Wurstkartelle, von deren Existenz zu erfahren nicht
       wenige Mitbürger überrascht haben dürfte. Wer von uns kratzte sich
       angesichts der vielen Sonderangebote in den Regalen und Kühltheken der
       Supermärkte nicht immer wieder ungläubig am Kopf? Wer würde angesichts der
       gnadenlos reduzierten Preise für den täglichen Zucker-, Wurst- und
       Bierbedarf nicht am liebsten einmal aufschreien: "Herrje, wie machen die
       das bloß? Zucker für 19 Cent, Wurst für 45 Cent und ein Kasten Bier für
       5,99 Euro? Daran kann doch nun wirklich keiner mehr was verdienen!"
       
       ## Mexikanische Verhältnisse
       
       Aber weit gefehlt: Die führenden Unternehmen dieser Branchen hatten über
       Jahre hinweg höhere Preisspannen verabredet, als in den Verhandlungen mit
       ihren Abnehmern nötig gewesen wäre. Auch wenn es sich jeweils nur um ein
       paar Cent handelte: Aufs volkswirtschaftliche Ganze bezogen haben sie die
       Konsumenten um zig Milliarden betrogen - und beim täglichen Einkauf sogar
       sich selbst, die Idioten.
       
       Das erschien der Wettbewerbsaufsicht dann allerdings derart gemein, dass
       sie beeindruckende Bußen verhängte: 338 Millionen Euro für die 21 Betriebe
       des Wurstkartells, 340 Millionen für die elf Unternehmen des Bierkartells
       und 280 Millionen für die drei ertappten Zuckerfirmen - Geld, das eines
       Tages hoffentlich den Meistgeschädigten zugutekommt: den Freunden
       gezuckerter Bierwurst, die allemal eine Wiedergutmachung verdient hätten,
       mindestens jedoch unser Mitgefühl.
       
       Mit seinem neuesten Streich, der Aufdeckung eines quasi
       planwirtschaftlichen Matratzenkartells, hat sich das Amt jetzt aber selbst
       übertroffen. Ende August begann die Behörde damit, Bußgeldbescheide an die
       wichtigsten Matratzenhersteller zu versenden, darunter den der bekannten
       Marke "Schlaraffia". Diese hatten in der Vergangenheit offenbar Händler
       unter Druck gesetzt und verbotenerweise Preise festgelegt, die, wie wir die
       verführerische Werbung von "Matratzen Concord" oder "MFO Matratzen Factory
       Outlet" kennen, bestimmt viel zu niedrig angesetzt waren.
       
       Vermutlich lief es so: Sobald eine dieser Ketten ihren Kunden
       unwiderstehliche Sommersensationsangebote mit 50, 60 oder 70 Prozent Rabatt
       auf die unverbindliche Preisempfehlung versprach, drängte sie das Kartell
       zu hammerharten 80 oder 90 Prozent, einfach nur, um seine Macht über
       Deutschlands Schlafzimmer zu demonstrieren. Dass man die Kundschaft mit der
       verlockenden Aussicht auf eine "7-Zonen-Kaltschaummatratze
       Megasleepvitaldream Pur" für 89,99 Euro (statt 799,99 Euro) skrupellos in
       eine konsumfreundliche Stimmung hineinhypnotisierte, nahmen die Verbrecher
       gern in Kauf.
       
       ## Brutale Schnarchnasigkeit
       
       Sie wussten: Wenn es um ihren Schlaf geht, sind die meisten Bundesbürger
       bereit, jeden Preis zu zahlen, solange er nur brutal genug reduziert wurde.
       Diese unerklärliche Schwäche, ja Schnarchnasigkeit der Verbraucher hat das
       Kartell eiskalt ausgenutzt. Traumhafte Gewinne waren selbst dann sicher,
       wenn die bequemen Polster bei den Filialisten weit unter dem Einkaufspreis
       und häufig sogar unter dem Herstellungspreis verscherbelt wurden. In
       solchen Fällen muss es eben, wie jeder gute Ökonom weiß, die Masse machen,
       und die ist bekanntlich träge.
       
       Drei Jahre lang hat das Amt nun Nachforschungen angestellt, um der
       Matratzenmafia das Handwerk zu legen. Ob dabei auch verdeckt ermittelt
       wurde, eventuell mit geheimdienstlichen Methoden, und ob beispielsweise der
       Matratzenhorchdienst eingeschaltet wurde, darüber schweigen sich die
       Wettbewerbshüter aus, da es sich um ein laufendes Verfahren handele.
       Kritiker äußern jedoch den Verdacht, dass es viel eher um ein ruhendes oder
       sogar schlummerndes Verfahren geht - in einer Branche, über die im Dunklen
       so einiges gemunkelt wird.
       
       Da ist die Rede von einer rückständigen Industrie, die sich in ihrer
       Bettenburg verschanzte und bereits Lattenrost angesetzt hat. Manche
       tuscheln über Schweigegelder, die gezahlt wurden, um keine schlafenden
       Hunde zu wecken. Insider wollen wissen, dass vielerorts finstere Geschäfte
       mit stillen Reserven getätigt wurden, obwohl in den Filialen gähnende Leere
       herrschte. Und niemand konnte bisher den Verdacht ausräumen, dass dem
       übermüdeten Konsumenten regelmäßig Angebote gemacht wurden, die er nicht
       ausschlagen konnte, geschweige denn von der Bettkante stoßen. Dabei diente
       das Mafiakomplott einzig dazu, kleinere Wettbewerber zu verdrängen, zum
       Beispiel die Hersteller von Puppenbetten. Wer nicht mitmachte, bekam
       wahrscheinlich zuerst Teddybärköpfe zwischen die Laken gelegt und dann
       Betonpantoffeln angezogen, bevor er zur ewigen Nachtruhe geschickt wurde.
       
       ## Absurde Matratzenflut
       
       Am Ende müssen wir uns fragen, ob wir diesem verbrecherischen
       Geschäftsgebaren mit unserer Besessenheit nach immer neuen Schlafunterlagen
       nicht Vorschub geleistet haben. Wie viele Matratzen brauchen die Deutschen
       denn eigentlich? Und warum kaufen sie dann doppelt so viele? Wenn man die
       vielen tausend Matratzenläden hierzulande sieht und dazu die unglaublichen
       Angebote der Kaufhäuser, Möbelmärkte und Discounter, müssen Millionen
       Matratzen über den Ladentisch gewandert sein, und zwar pro Woche.
       Vermutlich kamen viele Verbraucher vor lauter Matratzenkaufen überhaupt
       nicht mehr ins Bett.
       
       Ob die Wettbewerbshüter mit ihren schlafhygienischen Maßnahmen das
       Vertrauen wiederherstellen können, das im Zuge der Euro- und Finanzkrisen
       schwer beschädigt wurde, darüber wird so manche schlaflose Stunde
       nachzugrübeln sein. Womöglich aber ist es der Matratzenmafia gelungen, das
       Ansehen des Wirtschaftssystems endgültig zugrunde zu richten, das die
       meisten von uns tagtäglich so reich belohnt. Und nachts so gnadenlos
       abzockt.
       
       13 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mark-Stefan Tietze
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Marktwirtschaft
 (DIR) Kartell
 (DIR) Bundeskartellamt
 (DIR) Badezimmer
 (DIR) Schwerpunkt AfD
 (DIR) Der Spiegel
 (DIR) Deutsche Bahn
 (DIR) Kinder
 (DIR) Kühlschrank
 (DIR) Sigmar Gabriel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Millionenstrafen fürs Klo
       
       Mehrere Sanitärfirmen müssen eine hohe Millionenstrafe wegen
       Preisabsprachen zahlen. Der Europäische Gerichtshof entschied in letzter
       Instanz.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Der Dschihad der AfD
       
       Blutjunge Syrer und Iraker unterwandern die dubiose Terrorgruppe, die
       bereits weite Teile der neuen Bundesländer eingenommen hat.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Wolle hat die Faxen dicke
       
       Der Machtkampf beim „Spiegel“ spitzt sich zu - nicht nur Wolfgang „Wolle“
       Büchners wallendes Haar ist in Unordnung geraten...
       
 (DIR) Die Wahrheit: Hass am Zug
       
       Die Bahn kitzelt die Menschlichkeit in uns Fahrgästen heraus. Denn von
       diesem schockgefrosteten Konzern sollten wir nichts erwarten.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Rettet diese Seelen
       
       Falls weiter nur jedes vierte Gör ein Smartphone hat, werden die seelischen
       Verwundungen zunehmen. Deshalb ein Appell: Schicker Mobilfunk für alle
       Kleinen!
       
 (DIR) Die Wahrheit: Vom Nachteil des ewigen Jetsettens
       
       Im Sommer hat besonders der Kosmopolit und Weltenbummler für die
       fachgerechte Lagerung seiner heimischen Kaltgetränke zu sorgen.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Im Rotweintank
       
       Bei den Sozialdemokraten ist der Aufruhr groß: Welchem Genossen gelingt der
       nächste richtig geile Skandal?