# taz.de -- Weil die Grünen was wollen sollen: Programm sucht Ziel
       
       > Die Bremer Grünen stellen eine erste Fassung ihres Wahlprogramms zum
       > Kommentieren online. Tatsächlich könnte es Ideen, Festlegungen und
       > Gestaltungswillen gut gebrauchen.
       
 (IMG) Bild: Natur, Sonnenblumen, kein Atom - aber was noch? Die Bremer Grünen sind auf der Suche nach einem Wahlprogramm.
       
       BREMEN taz | Jetzt steht’s [1][online] und ist zum Kommentieren
       freigeschaltet. So richtig draufgestürzt hat sich der Schwarm noch nicht,
       aufs Grünen-Wahlprogramm 1.0 für die Landtagswahl am Muttertag 2015. Aber
       bis zum 28. September besteht ja noch die Gelegenheit, den Entwurf zu
       ergänzen und zu bekritteln: Erfahrungswerte, welche Rückmeldungen zu
       erwarten sind, gibt es keine, auch nicht aus anderen Landes- oder
       Stadtverbänden. „Wir hoffen“, sagt Henrike Müller, Landesvorsitzende der
       Grünen, „auf möglichst viele TeilnehmerInnnen“.
       
       Spannend ist dabei, ob der lustigste Satz im Entwurf von
       BildschirmleserInnen bemerkt wird, oder am Ende drinbleibt: Neugefasst
       werden müsste er wohl, denn wahrscheinlich handelt es sich bloß um einen
       Formulierungs-Lapsus, wenn die Partei, im Sommer 2013 noch bundesweit für
       ihre Veggie-Day-Idee rund gemacht, in Bremen nun fordert, „dass in
       öffentlichen Mensen ausschließlich Fleisch aus ökologischer Tierhaltung
       angeboten wird“.
       
       Klar, man möchte gar keine strenge Karnivoren-Diät durchsetzen, das Adverb
       ist nur an die falsche Stelle gerutscht. Aber für einen Moment hält man
       auch diese Kehrtwende für möglich, gerade weil die vergeigte Bundestagswahl
       die Öko-Partei so verunsichert hat: Alles was es an verlässlicher Tendenz
       und Richtung einst gab – jetzt wirkt’s ungewiss. Hinzu kommt, dass man in
       Bremen ja seit knapp acht Jahren mitregiert: Ohne Kommentarfunktion hat
       Hamburgs Landesverband, in Opposition zur alleinherrschenden SPD, seinen
       ersten Programmentwurf online gestellt. Der aber formuliert aus pointierter
       Kritik am Ist-Zustand konkrete politische Forderungen, entwirft scharf
       konturierte Ideen und interessante Vorhaben. Wer aber an der Macht ist,
       muss Pläne für Neuerungen immer gegen den Verdacht verteidigen, nur eigene
       Versäumnisse heilen zu wollen. Und in dieser Situation soll man ein
       Programm schreiben? Na, schönen Dank!
       
       Von daher ist es klug, einen möglichst breiten und möglichst unbefangenen
       Input zu organisieren: Während der Versuch, die Parteibasis und die
       potenziellen WählerInnen inhaltlich einzubinden bei der Bundestagswahl das
       Programm zu einem schlecht hierarchisierten Sammelsurium der Wohlfühl-Ideen
       hatte anschwellen lassen, in dem nur noch die Steuererhöhungspläne als
       ernsthaftes Politikziel erkennbar waren, fehlt es dem aktuellen Entwurf
       noch an Reibungsflächen und an Mut zu Visionärem, ausgenommen vielleicht im
       Kultur-Kapitel: Das tritt überraschend offensiv für den „Prozess zwischen
       Weserburg und Kunsthalle“ – sprich den Weserburg-Neubau in den Wallanlagen
       unter einem gemeinsamen Direktorat – ein.
       
       Diese Frage wird tatsächlich hoch emotional debattiert – aber bewegt dann
       doch nur eine Minderheit unter der Minderheit der Kunstinteressierten.
       Folge: Ginge man mit dem vorliegenden Text im kommenden Frühjahr an den
       Start, dränge wohl nur ins allgemeine Bewusstsein, dass die Grünen in
       Bremen wiedergewählt werden wollen, um endlich die schon lange vom
       Rechnungshof geforderte Straßenreinigungsgebühr einzuführen. Was sicher ein
       sinnvolles Projekt ist, aber holt es die WählerInnen da ab, wo sie sind?
       
       Ihr Lieblingsprojekt? „Es ist ja noch ein Entwurf“, weicht Müller der Frage
       aus. „Momentan hängt das Herz noch an vielem.“ Das stimmt: So finden die
       Grünen das Thema Rekommunalisierung total sympathisch, einige haben aber
       auch irgendwie die Entsorgunsgfirma Nehlsen sehr, sehr lieb gewonnen, das
       spiegeln die einschlägigen Passagen: „Entscheidend“, heißt es da, sei „das
       Interesse der BürgerInnen an effizienten Dienstleistungen, moderaten
       Gebühren, guten Arbeitsplätzen und der Orientierung am ökologischen und
       sozialen Gemeinwohl“. Doch obwohl alle fürs Entscheiden nötigen Daten
       bereits vorliegen, vermeidet das Programm – das ja genau das sein sollte –
       eine öffentliche Festlegung und versucht das auch noch durch die
       Billigfloskel, dass man „eine Rekommunalisierung um jeden Preis“ nicht
       anstrebe, zu kaschieren. Gäbe es denn den im ersten Kapitel geforderten
       weiteren Radwegausbau um jeden Preis?
       
       „Die Hoffnung ist, dass sich in der Beteiligung tatsächlich mehr Kontur
       ergibt“, erläutert Müller. „Wir erreichen zwar sehr viele, aber längst
       nicht alle Mitglieder durch die Möglichkeit, in den
       Landesarbeitsgemeinschaften mitzutun“, sagt sie. Und da sei „die
       Möglichkeit des Online-Kommentierens eben doch eine deutlich niedrigere
       Schwelle als einen Änderungsantrag zu verfassen“.
       
       Die Anmerkungen werden von der Antragskommission ausgewertet. Mitglieder,
       die unter Klarnamen kommentiert haben, erhalten ein Feedback darüber, was
       mit ihren Vorschlägen passiert. Aussortierte Ideen können so in Gestalt
       eines Änderungsantrags bei der Landesmitgliederversammlung im November
       eingebracht werden.
       
       Deren Zahl dürfte auch von der Qualität der sechs Kapitel abhängen, in die
       sich der Entwurf gliedert: Sie ist sehr heterogen, mitunter, wie für
       Entwürfe typisch, redundant, so wird etwa das Thema des bezahlbaren
       Wohnraums im Sozialpolitik- genau wie im Stadtentwicklungskapitel umfassend
       erläutert. Einen bitteren Tiefpunkt markiert dabei der Abschnitt Bildung.
       
       Während es 2007 im Wahlprogramm noch hieß, „eine Schule für alle ist die
       richtige Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft“, und auch 2011 das
       Ideal des längeren gemeinsamen Lernens und die Stärkung der Oberschule
       beschworen wurde, fehlt von diesen bildungsreformatorischen Ansätzen jede
       Spur: „Oberschulen und Gymnasien sind wichtig!“, steht da – und das ist der
       zweifellos bemerkenswerteste Satz des Kapitels. Denn das Wort Gymnasium zu
       erwähnen, darauf hatten die Wahlprogramme der vergangenen acht Jahre
       verzichtet – gleichsam aus programmatischen Gründen. „Der Bildungskonsens,
       der bis 2018 festgeschrieben ist, war erfolgreich“, resümiert das Kapitel,
       „wir wollen ihn verlängern.“ Das ist eine Absage an alle Schulpolitik.
       
       14 Sep 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://programmhb2015-v01.antragsgruen.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
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