# taz.de -- Kolumne Blicke: Nahes Ausland
       
       > Ob vom Kreml, aus München oder Bonn – wer als „nahes Ausland“ bezeichnet
       > wird, hat einiges zu erleiden. Doch der Begriff hat eine begrenzte
       > Haltbarkeit.
       
 (IMG) Bild: Rekonstruierter Blick ins „nahe Ausland“ DDR im Grenzmuseum Schifflersgrund Asbach-Sickenberg, Hessen.
       
       Am Wochenende las ich im Leitartikel der [1][NZZ], dass 20 Millionen Russen
       außerhalb der russischen Staatsgrenzen in ehemaligen Sowjetrepubliken
       leben. „Der Kreml“ nenne diese souveränen Staaten sein „nahes Ausland“.
       
       Das hat mich daran erinnert, wie wir früher von München zum Skifahren nach
       Tirol gefahren sind: Wie unser Vater manchmal daran dachte, uns aus seiner
       Vaterschublade im Flur ein paar Schillinge zuzustecken; und wie man, wenn
       man den Pass vergaß, einen Tagesausweis für Österreich lösen musste. Wir
       nannten das Schikane und zahlten, glaube ich, 140 Schilling bzw. 20 DM.
       
       Dass wir uns im nahen Ausland gut benommen hätten, kann man nicht sagen.
       
       Das lag daran, dass wir einerseits ja im Ausland waren, uns also schlechter
       benehmen konnten als daheim; andererseits daran, dass dieses Ausland uns
       auch sprachlich so nah war, dass wir uns gar nicht wie im Ausland fühlten.
       
       Tirol war Bayern nur mit lustigen Zigarettenmarken (Johnny!) und ein paar
       Krächzlauten im Dialekt. Und wenn man die Schillinge vergessen hatte,
       nahmen die Einheimischen auch Mark, wäre ja noch schöner gewesen – sie
       wollten uns schließlich was verkaufen. Ich erinnere mich wie O. einem schon
       älteren Kellner auf die Frage, ob er noch ein Bier wolle, antwortete: „Für
       mi is des koa Bier, für mi is des a Krankheit.“ Wir waren halt mindestens
       Halbe gewohnt und nicht diese ewig leeren Minigläschen, die in Tirol zum
       Ausschank kamen.
       
       ## Kommunismus gucken
       
       Was ich damit sagen will, ist erst mal genau das, im Sinne der
       Heiner-Müller-Anekdote über die Tänzerin Anna Pawlowa: „Also die wurde
       gefragt, was sie mit einem bestimmten Tanz sagen wollte, und da sagte sie,
       wenn sie das anders hätte sagen können als durch diesen Tanz, hätte sie
       sich nicht dieser Strapaze unterzogen.“
       
       In der 11. Klasse wurden wir zum Kommunismus-Gucken in die DDR geschickt,
       nach Thüringen. Obwohl wir uns dort der BRD-Staatsdoktrin nach gar nicht im
       Ausland befanden, war das für uns Münchner Jeunesse dorée extrem exotisch.
       
       Die letzten Kilometer bis zur Systemgrenze fuhren wir in einen
       Militärkonvoi eingeklemmt. Eine Gastschülerin aus Australien, in die alle
       Jungs verliebt waren, fragte, ob hier Krieg sei, oder was?! Ja, honey,
       sagten wir: Hier ist der Kalte Krieg! Hier wird auch deine Freiheit
       verteidigt!
       
       An mehr erinnere ich mich leider nicht mehr, weil ich mich kurz nach
       Überquerung des Todesstreifens in A. verliebte – und sie sich in mich.
       Insofern sind meine Gedanken an mein erstes Mal DDR sehr schön.
       
       Geschichtlich gesehen ging das dann aber irgendwann nicht mehr auf: Dass
       die Deutschen in der DDR von uns aus gesehen zu uns gehörten, von ihnen
       oder von der SED oder eben vom „Kreml“ aus aber zu sich selbst oder eben
       zum Ostblock.
       
       Die Geschichte schafft Lösungen für unklare Verhältnisse. Sie lässt sich
       dabei auch mal Zeit, aber letztlich ist es doch wie mit den
       Tiefdruckgebieten, in die der Wind hineinpresst. In Tirol gibt es
       inzwischen die gleichen Scheine wie in München: Und die Kellner kommen aus
       Ostdeutschland und sind die letzten, die noch Johnny rauchen.
       
       2 Oct 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/das-nahe-und-das-innere-ausland-1.18391822
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ambros Waibel
       
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