# taz.de -- 25 Jahre Wendeherbst: An diesem Tag beginnt die neue Zeit
       
       > Erinnerung an den 40. DDR-Geburtstag: Drinnen feiert das Politbüro,
       > draußen protestieren immer mehr. Niemand weiß, wie es weitergeht.
       
 (IMG) Bild: Erinnerung an eine andere Zeit – die Gethsemane-Kirche spiegelt sich in einer Pfütze.
       
       Treffpunkt ist wie immer der 7. des Monats um 17 Uhr an der Weltzeituhr auf
       dem Alexanderplatz. Seit sechs Monaten treffen sich dort die Mitglieder des
       Weißenseer Friedenskreises, um an das gefälschte Kommunalwahlergebnis vom
       7. Mai zu erinnern.
       
       Erinnern – mehr können sie nicht tun. In der DDR haben die Bürger keine
       Forderungen zu stellen, es gibt weder ein Versammlungsrecht noch eine
       unabhängige Gerichtsbarkeit. Das Einzige, womit die Staatsführung unter
       Druck zu setzen ist, ist Öffentlichkeit, Sichtbarkeit.
       
       Diesmal aber, am 7. Oktober, ist alles anders. Der Tag ist zugleich der 40.
       Jahrestag der DDR-Gründung, der sowjetische Staatschef Michael Gorbatschow
       ist in der Stadt, überall gibt es Volksfeste. Am Abend zuvor sind 100.000
       Bürger an der Staatsführung vorbeigezogen.
       
       Und das, obwohl es eigentlich nichts zu feiern gibt. Seit Monaten wächst
       der politische Druck im Land – der nicht nachlassende Protest gegen die
       gefälschten Kommunalwahlen ist nur ein Zeichen der Krise. Im Sommer sind
       DDR-Bürger massenhaft in den Westen geflüchtet, in Budapest und Prag sind
       sie über die Zäune der bundesrepublikanischen Botschaften geklettert,
       hatten ihre Kinder und ein paar Dokumente dabei. Am 2. Oktober werden in
       Leipzig Demonstranten verhaftet, tags darauf schließt die DDR die Grenze
       zur Tschechoslowakei. Was würde als nächstes passieren?
       
       Etwas ganz Erstaunliches.
       
       Statt des üblichen Dutzends Aufrechter, die sich sonst unter der
       Weltzeituhr versammelt hatten, erscheinen diesmal 300. Dem kleinen
       Protestzug schließen sich immer mehr Passanten an, wenig später sind es
       schon mehrere Tausend. Sie ziehen Richtung Palast der Republik, wo das
       Politbüro mit angereisten Staatsgästen 40 Jahre DDR feiern will. Die
       Volkspolizei riegelt den Weg ab. Solche Bilder – Protestierende in der
       Stadtmitte – gilt es unbedingt zu verhindern.
       
       ## Blutige Konfusion
       
       Die Demonstranten gehen aber nicht nach Hause. Sie ändern die Richtung und
       marschieren nun nach Norden, nach Prenzlauer Berg. Ihr Ziel ist die
       Gethsemanekirche nahe der Schönhauser Allee.
       
       Die Kirche ist seit Anfang Oktober Zentrum der Berliner Protestbewegung.
       Nach den gewaltsamen Vorfällen in Leipzig und anderen Städten findet hier
       seit dem 2. Oktober eine Mahnwache statt. Mit dreitausend Menschen ist die
       Kirche schon voll besetzt, als die Demonstranten eintreffen.
       
       An diesem Herbstabend entlädt sich die politische Spannung. Um 21 Uhr
       riegeln Polizei und Sicherheitskräfte die Straßen rund um die Kirche
       hermetisch ab. Demonstranten werden verprügelt, die Polizei greift wahllos
       Leute heraus. Es herrscht blutige Konfusion.
       
       Der Exzess ist eine Zäsur. Wie würde das politisch angeschlagene System
       reagieren? Würde es Tote geben wie im Juni in Peking? Wie reagieren die
       Verbündeten des Militärbündnisses, des Warschauer Vertrages? Was sagt die
       Führung in Moskau? Krieg oder Frieden?
       
       ## Die Entscheidung fällt in Leipzig
       
       Dass die Situation letztlich friedlich blieb, sollte sich erst zwei Tage
       später, am 9. Oktober, in Leipzig entscheiden. Trotz Warnungen an die
       Bürger, nach 17 Uhr die Innenstadt zu meiden, wagten die Leipziger es, zu
       demonstrieren. Genauso in Halle und Magdeburg. In Leipzig zogen 70.000
       Menschen über den Ring. Obwohl es zuvor den Befehl gegeben hatte, diese
       Demonstration aufzulösen, wagt es die Staatsmacht nicht.
       
       Es sind Tage der Entscheidung. In der gesamten DDR wird in diesen Tagen
       demonstriert. Vom 4. bis zum 8. Oktober 1989 werden 3.456 Personen „von den
       Sicherheitsorganen zugeführt“, heißt es in einem Bericht an das
       SED-Politbüro von Mitte November. In Berlin werden 1.022 Menschen
       verhaftet, in Dresden sind es 1.303. In Leipzig, Plauen und anderswo haben
       Oppositionelle viel riskiert.
       
       Einen Monat später fällt die innerdeutsche Grenze, im Frühjahr 1990 wählen
       die DDR-Bürger zum ersten und letzten Mal ihre Volksvertreter. Sie
       entscheiden sich für das westdeutsche Modell, Helmut Kohls Allianz für
       Deutschland holt 48,15 Prozent. Die revolutionären Zeiten sind endgültig
       vorbei; in Berlin und anderswo.
       
       7 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
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