# taz.de -- Kanada nach dem Terroranschlag: Ein Angriff aufs Selbstverständnis
       
       > Kanada gilt als friedlich und beschaulich. Dabei ist das Auftreten von
       > Terrorgefahren und radikalen Islamisten kein neues Phänomen.
       
 (IMG) Bild: Liberal, aufgeschlossen, weitgereist – und nun einfach nur welk
       
       OTTAWA taz | Kanada gilt gemeinhin als friedliches und beschauliches Land
       irgendwo am Rande des Weltgeschehens. Das Land ist für seine grandiosen
       Landschaften bekannt, für seinen Reichtum an Rohstoffen und seine gut
       gemeinten Friedenseinsätze auf der ganzen Welt, weniger für Hass und
       Terror. Die Kanadier selbst gelten als liberal, aufgeschlossen und
       weitgereist, nicht als Scharfmacher oder Radikale.
       
       Der Anschlag in Ottawa trifft sie daher bis ins Mark. Seit der Oktoberkrise
       in den siebziger Jahren, als radikale Separatisten aus der überwiegend
       französischsprachigen Provinz Québec das Land mit Terroranschlägen
       überzogen, haben die Kanadier nichts Vergleichbares mehr erlebt. Erst
       überfuhr am Montag ein islamistischer Attentäter in Québec zwei Soldaten.
       Dann erschoss ein weiterer am Mittwoch in Ottawa einen Reservisten und
       richtete im Parlamentsgebäude beihnahe ein Blutbad an.
       
       Was die Kanadier besonders hart trifft: Beide Attentäter waren offenbar
       eigene Landsleute.
       
       Dabei ist das Phänomen nicht vollkommen neu. Der kanadische Geheimdienst
       CSIS berichtet, dass allein in den letzten Jahren mindestens 130 kanadische
       Staatsbürger ins Ausland gereist sind, um sich dort von Terrorgruppen
       ausbilden zu lassen und Terroranschläge zu verüben. Und das sind nur die
       offiziellen Zahlen, womöglich sind es sogar mehr. Rund 80 von ihnen sind
       mittlerweile wieder nach Kanada zurückgekehrt.
       
       ## Entzug von Reisepässen
       
       „Die Gefahr ist real, wir haben aber keine Informationen, dass ein
       konkreter Angriff bevorsteht“, hatte CSIS-Chef Michel Coulome noch vor
       wenigen Tagen bei einer Anhörung im Parlament zu beruhigen versucht. Die
       kanadische Bundespolizei ermittelt laut Polizeichef Bob Paulson derzeit in
       63 Fällen gegen einheimische Dschihadisten. Bislang kam es aus Mangel an
       Beweisen aber nur zu einer einzigen Anklage. Mit dem Entzug von Reisepässen
       versuchen die Behörden zudem, deren Bewegungsfreiheit einzuschränken oder
       zu verhindern, dass sie aus dem Ausland nach Kanada zurückkehren.
       
       Dabei konnte die Polizei durchaus Ermittlungserfolge vorweisen. Im April
       2013 nahm sie zwei mutmaßliche Islamisten fest, als diese einen Anschlag
       auf einen Fernreisezug der kanadischen Bahngesellschaft Via Rail planten.
       2006 wurden 18 Kanadier festgenommen, die unter anderem einen Anschlag auf
       das Parlamentsgebäude in Ottawa und die Börse in Toronto geplant haben
       sollen. Elf von ihnen wurden zu Haftstrafen zwischen 30 Monaten und 18
       Jahren verurteilt.
       
       Letztes Jahr waren Kanadier an einem Anschlag auf ein Gerichtsgebäude im
       somalischen Mogadishu beteiligt. In Mauretanien war ein kanadischer
       Islamist festgenommen worden, der 2012 verurteilt wurde, ein
       Ausbildungscamp von Al-Qaida besucht zu haben. 2013 waren zwei junge
       kanadische Islamisten bei der Geiselnahme auf dem algerischen Gasfeld „In
       Amenas“ getötet worden.
       
       Die Diskussion darüber, wie man den Gefahren durch Jijhadisten aus dem
       eigenen Land begegnen kann, dürfte nach den Anschlägen von dieser Woche
       Fahrt aufnehmen. Premierminister Harper hat in seiner Fernsehansprache vom
       Mittwoch schon deutlich gemacht, wie er das Problem angehen will. Er setzt
       auf eine harte Hand an der Seite der USA – und will das Engagement Kanadas
       im Kampf gegen den internationalen Terrorismus verdoppeln.
       
       23 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Michel
       
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