# taz.de -- Kommentar Terror in Ottawa: Der kanadische Mythos
       
       > Kanada sieht sich selbst als Kuschelland. In Wahrheit ist es an allen
       > größeren Auslandseinsätzen beteiligt und tritt auch sonst zunehmend
       > ruppiger auf.
       
 (IMG) Bild: Detail des blumengeschückten National War Memorial nach dem Anschlag
       
       Kurz nach dem tödlichen Anschlag in Ottawa am Mittwoch spendete der
       kanadische Oppositionsführer Thomas Mulcair seinen Landsleuten mit zwei
       wohl gemeinten Sätzen Trost. „Wir sind heute Morgen in einem Land
       aufgewacht, das mit Liebe, Vielfalt und Frieden gesegnet ist", erklärte
       Mulcair und fügte dann fast trotzig hinzu: „Und wenn wir morgen aufwachen,
       wird das immer noch so sein.“
       
       Die Worte sind vielleicht etwas pathetisch gewählt, aber sie spiegeln
       wider, wie viele Kanadier ihr Land sehen: Als sympatische, friedliebende
       und aufgeschlossene Nation voller Wohlstand und frei von größeren
       Problemen. Umso tiefer sitzt jetzt bei vielen Kanadiern jetzt der Schock,
       ausgerechnet von Tätern aus dem eigenen Land getroffen worden zu sein.
       Nicht wenige fragen sich: Wie nur konnte das bei uns passieren?
       
       Das Bild vom höflichen, zuvorkommenden und zurückhaltenden Kanada ist eben
       nur die halbe Wahrheit. Es ist ein Mythos. Kanada schickt seit Jahren
       Soldaten in den Krieg, nach Afghanistan, nach Libyen, in den Irak und nährt
       damit Islamisten aus dem In- und Ausland.
       
       ## Harpers Motive
       
       Kanada verschärft seit Jahren seine Anti-Terrorgesetze, schränkt die
       Bürgerrechte ein, beutet Bodenschätze hemmungslos aus, zieht sich aus den
       Vereinten Nationen zurück und fällt durch eine zunehmend ruppigere
       Außenpolitik auf.
       
       Das ist das Kanada des Stephen Harper. Der konservative Premier baut seine
       Land zielstrebig zur Rohstoff-Supermacht aus und sucht im Anti-Terrorkampf
       engen den Schulterschluß mit den USA. Vorschnell sprach er nach dem
       Anschlag von einem terroristischen Akt, obwohl die genauen Hintergründe
       noch gar nicht geklärt sind.
       
       Die politischen Motive liegen auf der Hand: In einem Jahr wird in Kanada
       gewählt und der unpopuläre Premier will angesichts mäßiger
       Wirtschaftszahlen die Sicherheitspolitik mit starken Worten und
       populistischen Aktionen nach ganz oben auf die politische Agenda setzen.
       
       Sollte ihm das gelingen, provoziert der Premier neue Gewalt und neue
       Anschläge. Es liegt am liberalen Kanada, das zu verhindern.
       
       24 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Michel
       
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