# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Uruguay: Die Jahre des Pepe Mujica
       
       > Noch nie war ein Präsident Uruguays so bescheiden, unbestechlich – und
       > respektiert. Das Land wählt heute den Nachfolger des ehemaligen
       > Guerillero.
       
 (IMG) Bild: Die Liebe zu Präsident Pepe zeigt sich an den unwirtlichsten Orten.
       
       MONTEVIDEO taz | Kein anderer uruguayischer Präsident ist je im Ausland so
       anerkannt und gepriesen worden wie José Mujica, den in Uruguay alle nur
       „Pepe“ nennen. Emir Kusturica dreht gerade einen Film über ihn, die BBC
       feierte ihn als „bescheidensten Präsidenten der Welt“. Seit 2009 regiert er
       das Land, der ehemalige Guerillero, der 13 Jahre lang in den Gefängnissen
       der Diktatur gesessen hatte. Am 1. März nächsten Jahres wird er abtreten.
       
       An diesem Sonntag wird sein Nachfolger gewählt – oder, was wahrscheinlicher
       ist, in einer Stichwahl am 30. November. Zeit für eine Bilanz der Regierung
       Pepe, der mit seiner Art zu leben und zu sprechen auf der ganzen Welt für
       Aufmerksamkeit sorgte. Mehr übrigens als in Uruguay selbst: Vieles von dem,
       was international solche Beifallsstürme erzeugt, trifft im Land bestenfalls
       auf Gleichgültigkeit, wenn nicht gar auf Ablehnung.
       
       Der Unterschied zwischen Innen- und Außenwahrnehmung liegt zum Teil daran,
       dass der Rest der Welt erst mit seinem Wahlsieg 2009 auf Mujica und die
       drei Besonderheiten aufmerksam wurde, die seine Person charakterisieren:
       seine Guerillavergangenheit von Mitte der 1960er bis Anfang der 1970er
       Jahre, seine persönliche Entscheidung für einen sehr bescheidenen
       Lebensstil an der Grenze zur Armut und seine Art, ganz anders zu sprechen,
       als wir es von Politikern gewöhnt sind, in einer Mischung aus saloppem Ton
       und reflektierenden, klugen Betrachtungen über den Sinn des Lebens.
       
       Als Pepe mit 74 Jahren für die Präsidentschaft kandidierte, hatte er
       bereits ein Vierteljahrhundert immer erfolgreicherer legaler politischer
       Arbeit hinter sich. Als Uruguay 1984 die Demokratie wiedererlangte, waren
       sein Lebensstil und seine Art der öffentlichen Intervention noch etwas
       Neues, doch als 52 Prozent der WählerInnen ihm im November 2009 ihre Stimme
       gaben, da wussten sie längst, wen sie wählten. Ihnen war klar, dass dieser
       Mann seinen bescheidenen Lebensstil auch als Präsident beibehalten würde.
       
       Gleichzeitig wollen nur die wenigsten so leben wie er. Vor allem die große
       Mehrheit der Armen denkt, dass sie selbst, würden sie einmal so viel
       verdienen wie der Präsident, ganz sicher nicht weiter in einem VW Käfer,
       Baujahr 1987, durch die Gegend fahren würden. Viele nennen ihn „seltsam“
       oder irgendwie auch verrückt, aber fast alle respektieren ihn.
       
       ## Eine untypische Guerilla
       
       Seine Guerillavergangenheit verschafft ihm bis heute Glaubwürdigkeit. Die
       Nationale Befreiungsbewegung – Tupamaros (MLN-T), der Pepe angehörte, war
       eine für Lateinamerika sehr untypische Guerilla. Ihre Aktionen fanden vor
       allem in den Städten statt und waren eher als „bewaffnete Propaganda“
       gedacht – die MLN-T wollte eher die öffentliche Meinung beeinflussen, als
       mit Waffengewalt die Macht zu erobern.
       
       Nach der Diktatur entschied sich die MLN-T, als legale politische Partei
       weiterzumachen, als Teil der Frente Amplio, einer breiten Koalition, die
       schon seit ihrer Gründung 1971 zum Referenzpunkt der lateinamerikanischen
       Linken geworden war. Für die Frente Amplio bedeutete das einen großen
       Zuwachs an Sympathisanten – ein entscheidender Faktor dafür, dass sie bei
       Wahlen immer besser abschnitt –, bis hin zur Regierungsmehrheit 2004 mit
       Tabaré Vázquez als Präsidentschaftskandidaten.
       
       2009, als Pepe dann Kandidat war, hatte die Bevölkerung ihre Angst vor der
       Linken verloren. Seine Kandidatur begeisterte auch zahlreiche jener
       Frente-Amplio-Anhänger, die über Vázquez’ allzu moderaten Kurs enttäuscht
       waren und viele seiner Entscheidungen falsch fanden, etwa sein Veto gegen
       ein Gesetz, das Abtreibung straffrei stellte. Sie wünschten sich einen
       Linksruck.
       
       Als Pepe am 1. März 2010 das Amt antrat, verkündete er ehrgeizige Pläne,
       die er jedoch nicht umsetzen konnte.
       
       – Oberste Priorität sollten Veränderungen in der Bildungspolitik sein. Doch
       da die Lehrergewerkschaft nicht mitspielte, wurde die Ziele nicht annähernd
       erreicht, wie er selbst einräumt.
       
       – Die „einzige reale Hoffnung des Landes“ bestünde in der Entwicklung
       Uruguays zu einem regionalen logistischen Dienstleistungszentrum. Aber es
       fehlte an Investitionen. Die Transportinfrastruktur genügt heute nicht
       einmal den Anforderungen des Warenverkehrs in Uruguay selbst.
       
       – In Umweltfragen müsse der Staat Schiedsrichter sein zwischen den
       „rücksichtslosen Produzenten“ und den „Umweltschützern um jeden Preis“.
       Tatsächlich aber stand Pepe im Zweifel immer bei Ersteren: Die
       Agrarindustrie erlebte mit Gentechnik und Pestiziden einen Höhenflug, und
       ein neuer Eisenerztagebau ist gegen den erbitterten Widerstand von
       Umweltorganisationen bereits beschlossene Sache.
       
       – Mit dem „Plan Juntos“ sollte der Wohnungsbau angekurbelt werden –
       mithilfe freiwilliger Spenden, freiwilliger Arbeit, kostenloser
       Bereitstellung von Technik – ein Appell an die Solidarität. Zwar spendet
       Pepe selbst diesem Programm rund 90 Prozent seines Präsidentengehalts –
       aber die Ergebnisse fielen mehr als mager aus. Der Wohnungsmangel bleibt
       ein Riesenproblem.
       
       – Die angekündigte umfassende Verwaltungsreform zur Effizienz- und
       Qualitätssteigerung sollte „nicht gegen, sondern mit den öffentlichen
       Angestellten“ durchgeführt werden. Tatsächlich gab es nur winzige
       Fortschritte, hauptsächlich wegen des harten Widerstands der Gewerkschaften
       im öffentlichen Dienst.
       
       ## Immun gegen internationale Krisen
       
       Einige Versprechen wurden auch eingelöst, doch die wichtigsten bedeuten
       nicht gerade einen „Linksruck“, sondern vielmehr die Weiterführung der
       besonnenen Wirtschaftspolitik von Pepes Vorgängers. So erwies sich Uruguay
       als fast immun gegen die internationalen Krisen der vergangenen Jahre,
       verbesserte sein Image als Standort für internationalen Investitionen,
       weist die niedrigste Arbeitslosenrate aller Zeiten auf, konnte die
       Reallöhne erhöhen und Armut wie Obdachlosigkeit verringern, wenn auch nicht
       in dem Maße, wie Pepe das gern gehabt hätte.
       
       Richtig erfolgreich war seine Regierung bei Projekten, die der Präsident
       niemals versprochen hatte und die er eigentlich auch gar nicht hatte
       angehen wollen: Und gerade diese haben die größte internationale
       Aufmerksamkeit bekommen. Wie sang John Lennon: „Life is what happens to you
       while you’re busy making other plans.“
       
       Die Vorhaben der Energieerzeugung aus regenerativen Quellen, auf die sich
       die Parteien geeinigt hatten, wurden um mehr als das Dreifache übertroffen.
       Das staatliche Telekommunikationsunternehmen schloss so viele Haushalte an
       ein Glasfasernetz an, dass in Uruguay jetzt wesentlich bessere Bedingungen
       herrschen als irgendwo sonst in der Region.
       
       Und dann gab es Gesetze, die Bürgerrechte stärken und die die größte
       Aufmerksamkeit internationaler Korrespondenten erregten, einschließlich der
       (jetzt doch eingeführten) Straffreiheit für Abtreibung, die
       gleichgeschlechtliche Ehe und die Legalisierung der Produktion und des
       Handels mit Marihuana.
       
       ## Uruguays Rolle in der Welt gestärkt
       
       Pepes großes Verdienst in diesen Fragen ist es, im Unterschied zu allen
       seinen Vorgängern im Präsidentenamt, die Initiativen aus der
       Zivilgesellschaft toleriert und ihnen Raum zur Entwicklung gegeben zu
       haben.
       
       Es ist im Übrigen auch offensichtlich, dass seine Popularität außerhalb der
       Landesgrenzen viel dazu beigetragen hat, Uruguays Rolle in der Welt zu
       stärken und durch die Eröffnung neuer Märkte die ewige Abhängigkeit vom
       Handel mit seinen mächtigen Nachbarn, Brasilien und Argentinien oder mit
       den USA, zu verringern.
       
       Was wird von alledem bleiben? Sehr wahrscheinlich wird Tabaré Vázquez, der
       erneut für das Präsidentenamt kandidiert, in der Stichwahl gewinnen. Unklar
       ist hingegen, ob die Frente Amplio auch ihre parlamentarische Mehrheit
       behält, die sie jetzt während zweier Legislaturperioden hatte. Von den
       fortschrittlichen Gesetzen ist die Cannabislegalisierung am meisten in
       Gefahr, denn sie ist längst nicht voll umgesetzt.
       
       So wie man Vázquez kennt, und angesichts der möglichen Notwendigkeit, mit
       anderen Parteien zu Kompromisse zu schließen, träumt kaum jemand mehr
       davon, es könne vielleicht in der dritten Regierungszeit der Frente Amplio
       zu einem „Linksruck“ kommen. Ganz sicher wird die Frente Amplio ihre
       Führung erneuern müssen – die wichtigsten Führungspersönlichkeiten gehen
       auf die 80 zu. Was das bedeutet, ist offen.
       
       Klar ist nur, wer auch immer die Regierung übernehmen wird: Diesen Jahren,
       in denen so viele Menschen aus anderen Ländern plötzlich den Wunsch
       äußerten, in Uruguay zu leben, werden noch viele Generationen nachtrauern.
       
       Aus dem Spanischen von Bernd Pickert
       
       26 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marcelo Pereira
       
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