# taz.de -- Die Wahrheit: Die erfundene Straße
       
       > Touristen irren in Irland auf der marketingtechnisch seit neuestem voll
       > ausgeschlachteten 2.500 Kilometer langen Küstenstraße ihrem Schicksal
       > entgegen.
       
       Touristen sind wie Schafe. Man muss ihnen eine Richtung vorgeben, und sie
       laufen los. Das irische Fremdenverkehrsamt hat im Frühjahr den „Wild
       Atlantic Way“ erfunden. Dazu musste man gar nicht viel tun, denn die 2.500
       Kilometer lange Küstenstraße gab es ja bereits. Sie reicht von Malin Head
       in Donegal, wo Südirland nördlicher ist als Nordirland, bis zum Head of
       Kinsale im Süden. Tourismus-Staatssekretär Michael Ring jubelte, es sei die
       „längste Touristenstrecke der Welt“.
       
       Damit die Besucher das auch merken, stellte man rund 4.000 Schilder auf.
       Sie sind blau mit weißen Zickzacklinien, die wohl an Wellen erinnern
       sollen. Dazu ein Buchstabe: „N“ oder „S“ für die Himmelsrichtung. Wer
       trotzdem nicht klarkommt, kann sich eine App herunterladen.
       
       Manch amerikanischer Tourist kapiert es dennoch nicht. Ein dickes Pärchen
       mit breitem Kaugummi-Akzent fragte im Dorfladen von Ballyvaughan nach dem
       „Wild Atlantic Highway“. Als man ihnen erklärte, der verlaufe direkt vor
       der Ladentür, wurden die beiden blass. Sie hatten angenommen, es handle
       sich um eine Autobahn, so dass man die 2.500 Kilometer locker in vier Tagen
       schaffen könne.
       
       Stattdessen mussten sie sich mit ihrem Mietwagen auf schmalen Straßen mit
       entgegenkommenden Bussen herumschlagen, die niemals ausweichen. Für
       Autowerkstätten ist das ein Segen: Sie decken sich zu Beginn der Saison
       stets mit genügend Ersatzreifen ein, denn täglich tauchen Amis mit
       zerschrotteten Reifen auf, weil sie aus Angst vor Brutalobussen zu weit
       links gefahren sind.
       
       Busse gibt es auf der Küstenstraße seit Eröffnung des „Wild Atlantic Way“
       mehr als genug. Musste man vorher mit einem Linienbus am Dienstag und einem
       am Donnerstag vorliebnehmen, so sind es nun fünf am Tag, weil man die
       Routen an die neu erfundene Straße angepasst hat. Dafür sehen die abseits
       gelegenen Ortschaften jetzt nur noch selten einen Bus.
       
       An der Atlantikstrecke liegen 159 „Entdeckungsorte“, 53 Strände und 120
       Golfplätze. Eine Attraktion musste man allerdings gleich wieder streichen.
       Auf der Dingle-Halbinsel war das Dunbeg-Fort aus dem Jahr 500 vor unserer
       Zeitrechnung vom Orkan „Christine“ ins Meer gespült worden.
       
       Die Entdeckungsorte werden spannend beworben: „Wo Land und Meer
       zusammenstoßen.“ Man könnte es auch „Küste“ nennen. Sie sind jedenfalls das
       Kernstück der Marketingstrategie, weil die Touristen dort anhalten, frische
       Luft schnappen, die spektakuläre Landschaft bewundern, etwas über die
       Geschichte lernen und in ihrer profunden Begeisterung jede Menge Geld in
       den örtlichen Läden und Cafés verprassen sollen.
       
       Um die Straße mit dem neuen Namen ordentlich bekannt zu machen, hat der
       Tourismusverband viel für Werbung in Frankreich, Deutschland und in den USA
       ausgegeben. Das Potenzial sei riesig, frohlockte Michael Ring. „Deshalb
       werden wir auch in noch weiter entfernten Ländern Reklame machen, zum
       Beispiel in den Niederlanden, Spanien und Italien“, sagte er. Man schenke
       dem Mann einen Atlas. Oder eine App.
       
       2 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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