# taz.de -- Eindringliches Theater: Das Grauen ist anderswo
       
       > Was passiert, wenn Bundeswehrsoldaten im Dschungel allmählich
       > durchdrehen? Das Thalia in der Gaußstraße spielt den furiosen Text „Die
       > lächerliche Finsternis“.
       
 (IMG) Bild: Hinter aller Komik lauert stets die Verzweiflung: "Die lächerliche Finsternis"-Darsteller Pascal Houdus, Nicki von Tempelhoff, Julian Greis und Camill Jammal (v. r.).
       
       HAMBURG taz | Ein „schwarzer Neger aus Somalia“ steht vor dem Hamburger
       Landgericht, ist der Piraterie angeklagt. Nun bittet er um Verständnis für
       seinen Überfall auf einen Schiffsfrachter – und er beklagt den Verlust
       seines Freundes Tofdau: Der ist bei dem Überfall ertrunken.
       
       Mit diesem Monolog, der voll ist von rassistischen Äußerungen, maßlos
       klischeehafter Zuschreibung und ironischer Brechung beginnt Wolfram Lotz’
       Text „Die lächerliche Finsternis“. Der provokante und zugleich hoch
       komische Ton setzt sich fort, wenn die Geschichte anschließend in die
       Regenwälder Afghanistans führt. Dort sucht Bundeswehr-Hauptfeldwebel
       Pellner gemeinsam mit dem ostdeutschen Stefan Dorsch nach einem
       durchgedrehten Oberstleutnant und gerät immer tiefer in die Dunkelheit, in
       die „lächerliche Finsternis“.
       
       Die Flussreise – Ähnlichkeiten mit Joseph Conrads „Herz der Finsternis“
       (1899) und deren Kino-Variation „Apocalypse Now“ (1979) sind beabsichtigt –
       führt in eine äußerst verwirrende Welt. So treffen die beiden „einen
       Eingeborenen im Kanu“, der mit Spannbetttüchern und Glasperlen handelt –
       genauso aber auch mit laktosefreiem Ziegenkäse, Investmentfonds und
       Knusperriegeln –, und dessen persönliches Schicksal nicht nur mit einer
       Präzisionsbombe der Nato untrennbar verbunden ist, sondern vor allem mit
       der Anbringen einer Markise.
       
       ## Auf der Bühne: ein Hörspiel
       
       In voller Klischeebreite erzählt Lotz später von martialischen
       Tierschlachtungen, missionierten „halbnackten Wilden“ und grausamen
       Kriegsereignissen. Aber: Wie sollen die Figuren mitten im Dschungel
       überhaupt etwas mitbekommen, so ganz ohne Internet? Als der anfangs
       ertrunkene Pirat Tofdau völlig unerwartet zurückkehrt, wird er erschossen …
       
       Christopher Rüping brachte am Thalia schon „Bye Bye Hamburg“ und „Tschick“
       auf die Bühne. Jetzt inszeniert er in der Gaußstraße die Deutsche
       Erstaufführung dieses skurrilen Textes, den er selbst ein
       „Wahrnehmungskaleidoskop“ nennt und der ursprünglich als Hörspiel
       geschrieben worden war. „Im Hauptteil geht es um Regionen, die wir
       praktisch nur als Bilder kennen: Afghanistan, Irak, Afrika, Vietnam, den
       Kosovo. Bilder, die im Grunde von uns selbst hergestellt werden“, erläutert
       Autor Lotz. „Darum ging es dann auch beim Schreiben: Nicht schon
       irgendwelche Bilder zu behaupten, sondern eine Form zu haben, die den
       Leser, Zuschauer oder Zuhörer selbst die Bilder herstellen lässt, wieder
       und wieder, und ihn auch immer wieder auf dieses Herstellen der Bilder
       zurückwirft.“
       
       Als Hörspiel setzt der Regisseur den Text auch um: Jonathan Mertz’ Bühne
       zeigt ein Radiostudio mit Tischen, Aufnahmekabine und Mikrofonen. „Die
       Schauspieler“, sagt Rüping, „arbeiten wie Geräuschemacher beim Film. Sie
       bereichern ihren Text durch Sounds – Schritte, Schiffsmotoren, Schiffshupen
       –, die sie live machen. Wir machen also in erster Linie eine Radioshow, in
       der wir den Text von Lotz als Hörspiel ankündigen. Dann übernimmt der
       eigentliche Hörspieltext und der Abend verwandelt sich mehr und mehr in
       einen Dschungel.“ Gleichzeitig wird das Tonmaterial jeder Aufführung –
       parallel dazu eine Videoanimation – auf der Homepage des Thalia gestreamt.
       
       Ein interessantes Konzept für einen eindringlichen Text, der mit
       sprachlichem Gespür und greller Komik schlimmsten Schrecken beschreibt.
       Lotz bewegt sich dabei stets an der Grenze des Zumutbaren. „Mein Schreiben
       arbeitet viel mit Brüchen, es ist ernst, sentimental, albern, aber es
       bricht auch immer wieder ab“, sagt der vielfach ausgezeichnete Autor. „Es
       geht darum, die ,Erzählungen’, denen wir uns unterwerfen, und die ich ja in
       einem Stück auch wieder und wieder herstelle, sichtbar zu machen.“
       
       „Das heißt nicht, das ich sie relativieren will“, fährt Lotz fort. „Ich bin
       für Illusionen, ich bin für Gefühl, für Sentimentalität, es muss
       stattfinden und ich möchte es so meinen, ganz und gar, es soll ganz auf der
       Bühne da sein, aber dann soll es abbrechen, umschlagen – um für den
       Zuschauer befragbar zu werden.“ Und so lauert hinter dem Grellen und
       Lauten, hinter all der Komik auch immer die Verzweiflung – über die
       Unfähigkeit, das Fremde, das Andere wirklich verstehen zu können.
       
       ## Gebrochene Regeln
       
       2011 wurde Lotz mit dem Kleist-Förderpreis ausgezeichnet und im selben Jahr
       von der Zeitschrift Theater heute für sein Stück „Einige Nachrichten an das
       All“ zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. „Die lächerliche
       Finsternis“ wurde am 6. September am Wiener Akademietheater uraufgeführt,
       gerade erschien Lotz’ Buch „Monologe“. Kritik und Publikum scheinen
       gleichermaßen begeistert von dem Nachwuchsautor, der so konsequent mit den
       Regeln konventioneller Dramatik bricht.
       
       So auch gegen Ende der „lächerlichen Finsternis“: Aber das sei „auch nur so
       ein Text“, heißt es darin, „und nicht, worum es eigentlich geht. Denn es
       ist ja nicht hier, das Grauen, es geschieht hier ja nicht, man darf das
       nicht verwechseln mit dem, was in der Wirklichkeit geschieht. Denn da
       findet ja da Grauen statt. Aber das wissen Sie ja.“
       
       Da ist sie wieder: die ganz und gar ernst gemeinte Verzweiflung.
       
       ## ■ Premiere: Sa, 8. November, 20 Uhr, Thalia Gaußstraße; weitere
       Aufführungen: 10. + 16. November; 11., 16., 19. + 20. Dezember
       
       7 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Ullmann
       
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