# taz.de -- Wolf Biermann im Berliner Ensemble: „Stalinistische Syphilis“
       
       > Wem Wolf Biermanns Auftritt im Bundestag nicht gereicht hat, konnte ihn
       > in abendfüllender Länge am Berliner Ensemble erleben. Der Kanzlerin
       > gefällt's.
       
 (IMG) Bild: Biermann and friends: Kanzlerin Merkel und Bundestagspräsident Lammert mit dem Liedermacher.
       
       BERLIN taz |Er hat es wieder getan. Und sie haben ihm noch einmal zugehört.
       Am Samstag abend ist Wolf Biermann im Berliner Ensemble aufgetreten. Seine
       eifrigsten und prominentesten Zuhörer waren Bundestagspräsident Norbert
       Lammert und die Kanzlerin.
       
       Anders als bei Biermanns zehnminütigem Auftritt am Freitag im Parlament,
       harrten die beiden CDU-Politiker diesmal zweieinhalb Stunden in den roten
       Samtsesseln der ersten Reihe aus und beschenkten den Liedermacher mit jener
       Aufmerksamkeit, die er brauchte und die ihm spürbar behagte.
       
       Leider entbehrte der Abend eines körperlich anwesenden politischen Gegners,
       sodass Wolf Biermann – statt die Linke-Fraktion im Bundestag – fast
       ausschließlich SED-Obere schmähen durfte, die längst das Zeitliche gesegnet
       haben. Etwa Parteichef Erich Honecker („stalinistische Syphilis“) oder den
       Propagandisten Karl-Eduard von Schnitzler („elender Sudel-Ede“). Allein
       Egon Krenz („unsere Stasi-Metastase“) erfreut sich nach wie vor seines
       Lebens.
       
       Angela Merkel nannte Wolf Biermann in ihrem Grußwort „einen der größten
       Dichter und Liedermacher unserer Zeit“. Und: „Da traut sich jemand, zu
       sagen, woran andere nur denken.“ Nun denn.
       
       Biermann lieferte. Mit großer Geste und nach wie vor stimmgewaltig,
       schleuderte er seine Traktate dem Publikum entgegen. An diesem Abend waren
       zahlreiche einstige Bürgerrechtler erschienen. Gut möglich, dass sie wie
       viele andere in der DDR einst Biermanns „Stasi-Ballade“ von 1967 oder das
       Lied „Als wir ans andere Ufer kamen“ von 1976 von kratzigen, x-mal
       überspielten Kassetten und Tonbändern gehört haben.
       
       ## Biermann will Aufmerksamkeit
       
       Und „Ermutigung“, jenes Lied, das Biermann noch am Freitag der
       Linke-Fraktion entgegengebellt hatte, ist im Kontext der paranoiden
       innerdeutschen Situation der Sechzigerjahre nach wie vor ein Juwel. Für
       damalige Verhältnisse fand er da ungekannt klare, mutige Worte. Das bleibt
       sein Verdienst.
       
       Für Biermann, man spürte das deutlich, war dieser Abend ein persönlicher
       Triumph. Er durfte im legendären Theater am Schiffbauerdamm in Sichtweite
       des einstigen Grenzbahnhofs Friedrichstraße singen, vor sich die Kanzlerin,
       Bürgerrechtler und jede Menge alter Fans.
       
       Er hatte mit dem Zentralquartett vier der aufsehenerregendsten Jazz-Musiker
       ostdeutscher Provenienz neben sich auf der Bühne. Er konnte, er sollte
       erzählen von jener Zeit der Ausgrenzung, des Stummschaltens durch die
       DDR-Kulturpolitik. Es war ein Hochamt für einen, dessen Lebenselexier
       größtmögliche, gern auch krawallige Aufmerksamkeit ist.
       
       Was es bedeutet, als Widerständiger in die Anpassung zu wechseln, spürte
       man schon daran, wie blass seine nach 1989 verfassten Texte wirkten. Nur
       was künstlerisch nach fünfzig Jahren noch immer Gewicht hat bei Biermann,
       entstand in der persönlichen Bedrängnis. Im Berliner Ensemble beschwor er
       am Samstag abend noch einmal diese Zeiten.
       
       Es waren Geschichten, wie man sie heute vom chinesichen Künstler Ai Wei Wei
       kennt: eine politisch unbequeme Person – isoliert und überwacht, aber
       international hofiert. Da kann einem, das war in Biermanns Erzählungen
       deutlich zu spüren, leicht der Maßstab für das Gewicht der eigenen Person
       abhanden kommen. Seine Schuld ist das nicht.
       
       9 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
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