# taz.de -- Darstellerin und Dozentin Iris Schumacher über Musicals: „Talent ist, was die Zuschauer berührt“
       
       > Kein Wochenende, keine Sicherheit – wer in Musicals mitspielt, muss Opfer
       > bringen. Es gibt einen Grund, warum der Job trotzdem so begehrt ist.
       
 (IMG) Bild: Singen und Spielen: Nur eins von beidem wäre Iris Schumacher zu langweilig.
       
       taz: Frau Schumacher, angenommen ich bin ausgebildeter Musical-Darsteller
       und will eine mittelgroße Rolle in der nächsten Hamburger Großproduktion –
       wie gehe ich vor? 
       
       Iris Schumacher: Eine mittelgroße Rolle? Sehr bescheiden.
       
       Ich fange also eine Nummer kleiner an? 
       
       Nein, wenn man der Richtige ist für die Rolle, kann man auch mit seinem
       ersten Engagement nach der Schule eine Hauptrolle ergattern. Wenn alles
       passt: Wenn man die richtige Nase hat, die richtige Stimme hat, das
       richtige Aussehen, das richtige Schauspieltalent. Manchmal muss man steppen
       können oder fechten. Je nachdem, was die Rolle verlangt.
       
       Wie geht der Weg – über ein Casting? 
       
       „Audition“ heißt das beim Musical. Bei den großen Produktionen bewirbt man
       sich schriftlich um eine Audition und wird dann gegebenenfalls eingeladen.
       Dann gibt es eine erste Runde und wenn man die schafft, rufen sie einen an
       und sagen: Du bist im Call-Back. Man kommt noch mal, manchmal in einer
       anderen Stadt. Da sitzen dann der Regisseur, der musikalische Leiter, der
       Theaterleiter, der Casting-Direktor und die Kreativen aus England oder
       Amerika. Wenn man da auch in allen Bereichen überzeugt hat, ist man mit
       viel Glück in den Finals.
       
       Und dann? 
       
       Kann es sein, dass man einen Anruf kriegt: Du bist die Erstbesetzung. Oder
       die Zweitbesetzung. Danach kommen die Verhandlungen. Und irgendwann hat man
       hoffentlich einen Vertrag. Der ist dann immer befristet. Meistens ein Jahr
       plus 4 bis 8 Wochen Probenzeit.
       
       Wie viele Leute muss man bis dahin aus dem Feld schlagen? 
       
       Kommt drauf an. Wenn man Anfang, Mitte 20 ist, ist die Konkurrenz riesig.
       Da sind Hunderte Leute und weil es in diesem Beruf mehr Frauen gibt, ist
       der Konkurrenzkampf um weibliche Rollen noch größer als um männliche. Wenn
       man in mein Alter kommt, sind es weniger Bewerber – aber es gibt auch
       weniger Rollen.
       
       Wie wichtig ist die Ausbildung? 
       
       Ausbildung ist schon gut. Aber es ist immer das, was der Einzelne daraus
       macht. Ob er eine Intelligenz für den Beruf mitbringt. Der künstlerische
       Beruf ist schwierig zu fassen: Was ist Talent? Talent ist das, was mich
       berührt und in die Geschichte hineinzieht.
       
       Wenn das Talent stimmt: Welche Eigenschaften braucht man sonst noch, um in
       diesem Beruf erfolgreich zu sein? 
       
       Du musst hart im Nehmen sein: Auf einen Job kommen 15 bis 20 Absagen. Man
       gibt ja immer sein Herzblut bei so einer Audition, da sind Absagen schon
       hart. Obwohl es oft Gründe sind, für die ein Darsteller nichts kann. Wenn
       die sich eine kleine Mollige vorstellen, dann hast du als große Dünne keine
       Chance.
       
       Welche Rolle spielen Kontakte? 
       
       Sind schon gut. Ich habe „Kein Pardon“ in Düsseldorf gespielt, das hat
       Thomas Hermanns geschrieben. Den kenne ich sehr lange. Als er eine erste
       öffentliche Lesung des Stückes gemacht hat, da hat er an mich gedacht. Wenn
       man lange dabei ist, kennt man viele Leute. Das muss man sich als junger
       Mensch alles erst aufbauen.
       
       Mal zusammengefasst: viel Konkurrenz, befristete Verträge, viele Absagen,
       ständige Umzüge… 
       
       …und kein Wochenende. Bei den großen Produktionen hat man am Wochenende
       vier Vorstellungen. Es gibt keine Zeit für Privatleben. Das ist ein großes
       Opfer.
       
       Und warum sind so viele Leute so scharf auf diesen Job? 
       
       Weil sie den Hunger haben, auf der Bühne zu stehen. Weil sie singen, tanzen
       und spielen wollen. Bei mir war es so: Ich konnte mir nichts anderes
       vorstellen. Ich wollte nur das. Dafür habe ich alles andere in Kauf
       genommen.
       
       Will man dann nicht lieber an einem kleinen Stadttheater landen? 
       
       Stadttheater ist super. Ich habe 2000 in Lübeck „Tommy“ gespielt. Das war
       total schön, aber es war auch nur eine Spielzeit, weil dann der Intendant
       in Pension ging und der nächste Intendant gesagt hat: „Tommy“ passt nicht
       in meinen Spielplan. In Dessau auch: „On the town“ war ein tolles Stück,
       lief aber nur eine Saison.
       
       Warum muss es Musical sein? 
       
       Weil man singen will. Das ist für mich das Wichtige. Singen und spielen.
       
       Sie könnten auch mit einer Band auftreten. 
       
       Aber da kann ich keine durchgängige Geschichte erzählen. Und auch nicht so
       spielen. Singen und Spielen. Diese Kombination finde ich spannend. Deswegen
       unterrichte ich auch so gern Liedinterpretation, weil es Schauspiel
       innerhalb der Songs ist.
       
       Wäre Oper eine Alternative? 
       
       Ich habe in der Oper als Kind gesungen. Das fand ich auch immer toll. Aber
       dieses Immer-in-einer-anderen-Sprache-Singen war nicht meins. Damals haben
       sich die Sänger auch nicht viel bewegt, sondern standen steif auf der
       Bühne. Das hat mich dann letztendlich nicht so interessiert.
       
       Was hat mehr Glamour – Oper oder Musical? 
       
       Das ist auch eine Generationsfrage. Wie viele junge Leute gehen in die Oper
       und zelebrieren das?
       
       Wenige. 
       
       Wenn man an die alten Stars wie Pavarotti oder Placido Domingo denkt, dann
       hat die Oper etwas ganz Glamouröses und Hehres. Das ist alles so over the
       top. Aber aus Sicht der Beteiligten ist es letztendlich ein Job. Wenn man
       als Darsteller Glamour will, dann muss man versuchen, zum Film zu gehen.
       
       Weil man als Musical-Darsteller letztlich unbekannt bleibt? 
       
       Wenn man ein Star werden will, ist man beim Musical falsch aufgehoben. Es
       gibt zwar innerhalb der Szene ein paar Stars, aber außerhalb sind auch die
       nicht bekannt. Letztlich ist es ein harter Job, der viel Spaß macht.
       Glamour gibt’s bei der Premiere, und dann war’s das.
       
       Was wird aus den Leuten, wenn sie älter werden und nicht mehr gefragt
       werden – oder nicht mehr wollen? 
       
       Keine Ahnung. Ein Kollege vom Londoner Westend hat ein Hotel aufgemacht mit
       seinem Freund zusammen – ein kleines Bed and Breakfast an der Küste. Ich
       kenne einige, die sagen: Jetzt will ich das nicht mehr. Die Rollen werden
       rarer, je älter man wird. Man muss sich Standbeine schaffen. Ich zum
       Beispiel habe auch viel Musicals übersetzt und unterrichte jetzt an der
       Stage School.
       
       Wie bewahrt man sich die Lust, wenn man drei Jahre jeden Abend die gleiche
       Show spielt? 
       
       Das ist manchmal schwer. Ich habe viereinhalb Jahre „Mamma Mia“ gespielt
       und natürlich gibt es Vorstellungen, bei denen man nicht gut drauf ist,
       weil privat etwas ist. Es gibt aber auch Vorstellungen, wo man auch nach
       vier Jahren plötzlich eine neue Facette entdeckt an der Rolle. Nach diesen
       Sachen zu graben, hält es lebendig. Und die Musik reißt mich immer wieder
       mit.
       
       Was war Ihr Schlüsselerlebnis für die Entscheidung, zum Musical zu gehen? 
       
       Die erste Bühnenluft habe ich im Kinderchor der Hamburger Oper
       geschnuppert. 1985 war ich kurz vorm Abi und habe einen Musical-Workshop in
       Hamburg gemacht, da hat sich für mich die Musical-Welt eröffnet. 1988 habe
       ich dann noch mal einen Workshop gemacht. Das war an der Stage School und
       da haben sie mich gefragt, ob ich Lust hätte, eine Aufnahmeprüfung zu
       machen.
       
       Haben wir ausreichend attraktive Musical-Stoffe in Deutschland? 
       
       Ich bin guten Mutes, dass es immer mehr geben wird und nicht nur die alten
       Kamellen gemacht werden. Natürlich wird es immer die Disney-Musicals geben,
       die haben ja auch ihre Berechtigung, aber ich freue mich auf viele neue
       deutsche Stoffe wie „Das Wunder von Bern“ oder „Kein Pardon“.
       
       Was läuft in Amerika anders als in Deutschland? 
       
       Das Musical ist tief in der Kultur der Amerikaner verankert. Als ich 1991
       mit Musicals angefangen habe, da gab es „Cats“ schon. Und da gab es „West
       Side Story“, „Starlight Express“ und „Anatevka“. Aber der Markt war ganz
       klein und in Deutschland gab es eher Operette und Oper. In Amerika machen
       sie in der Highschool schon Musical-Produktionen. Da können die Kinder
       schon alle Broadway-Hits mitsingen. Die gehen mit Musicals
       selbstverständlicher um. Die Selbstverständlichkeit gibt es hier noch nicht
       so.
       
       Das mag auch an den Preisen liegen. 
       
       Ach, in New York gibt es Preise bis 350 Dollar. Die Amerikaner bezahlen
       das. Billiger ist es da nicht.
       
       Warum ist die Hamburger Produktion „Rocky“ in New York gefloppt? 
       
       Keine Ahnung. Man kann es nie voraussagen, ob ein Stück Erfolg hat oder
       nicht. Wir wissen es einfach nicht.
       
       22 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Irler
       
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