# taz.de -- Polizei räumt Flüchtlingscamp: Die Münchner Nichtbürger
       
       > Die letzten hungernden Flüchtlinge geben am Donnerstag auf. Ihre
       > Asylanträge sollen geprüft werden. Über deren Annahme sagt das nichts.
       
 (IMG) Bild: Keine Angst vor dem Tod: „Was wir in den Lagern haben, ist kein Leben. Schlimmer kann es nicht kommen.“
       
       MÜNCHEN taz | Der Münchner Sendlinger-Tor-Platz ist umstellt. Gefühlte 500
       Polizeiwägen haben ihn großflächig eingekreist, tatsächlich sind es 500
       Polizisten, die um den Platz herum aufgestellt haben. Ein Protestlager der
       Flüchtlinge auf dem Platz ist am Mittwoch Abend geräumt worden. Die
       Polizisten haben die Anweisung, niemanden durch zu lassen. „Wo, wo, wo wart
       ihr in Rostock?“, schallen die Sprechchöre über den Platz.
       
       Adeel sitzt in der Mitte des Platzes in etwa fünf Metern Höhe auf einem
       Baum, zusammen mit neun weiteren Geflüchteten. Von dort oben können sie
       vermutlich durch das Meer der Polizei die Flüchtlingsunterstützer sehen,
       die rund um die Polizeiketten stehen und Parolen rufen. Gegenüber von
       ihnen, auf einem anderen Baum, sitzen zwei weitere Männer, auch sie sind
       Flüchtlinge. „NonCitizens“, wie sie sich selber nennen, „NichtBürger“. Weil
       sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben und damit nicht als Bürger anerkannt
       – und auch nicht so behandelt werden.
       
       Es ist 10 Uhr abends, die Sonne ist schon lange untergegangen. Auf der
       anderen Seite des Platzes, hinter den Polizeireihen, steht das Tor, das den
       Eingang zum Christkindlmarkt markiert. Es ist mit weißen Lichterketten
       umspannt, die friedlich blinken. Die Luft ist kalt, wenn man ausatmet,
       produziert man weiße Wölkchen. Adeel und die anderen Männer auf den Bäumen
       haben jetzt seit fünfeinhalb Tagen nichts gegessen. Und sei knapp zehn
       Stunden nicht mehr getrunken.
       
       Neun Stunden vorher, 13 Uhr am Sendlinger Tor: Die NonCitizens haben eine
       Pressekonferenz vorbereitet. Um den Infostand vor ihrem provisorischen Camp
       drängen sich die Reporter. „Wir wollten nur sagen, dass wir sehr wütend
       sind“, sagt Adeel. Seine Stimme ist leise, die Reporter kommen enger an ihn
       heran. „Heute sind wir in den trockenen Hungerstreik getreten“, sagt er.
       „Denn wir sind gelehrte Leute und wir kennen unsere Rechte. Wir verlangen
       unsere Menschenrechte.“
       
       ## „Wir wollen nicht nur Wärme“
       
       Trockener Hungerstreik, das heißt: Nichts mehr trinken. Ohne Wasser kann
       ein Mensch nur noch wenige Tage überleben. Wie viele, das hängt davon ab,
       wie stabil sein Zustand ist. Die Flüchtlinge hier auf dem
       Sendlinger-Tor-Platz haben schon seit fünf Tagen nichts mehr gegessen. Am
       Samstag letzter Woche sind sie in den Hungerstreik getreten. Ihre
       Forderung: Eine Anerkennung ihrer Asylanträge. „Wir können nicht mehr
       ertragen, dass Menschen in unseren Lagern sterben“, sagt Adeel. Seine
       Stimme wird lauter. „Wir verlangen, in Deutschland wie Menschen leben zu
       können. Das ist unsere einzige Forderung.“
       
       Ob sie nicht Angst um ihre Gesundheit hätten, fragt ein Reporter, es sei
       schließlich ziemlich kalt. Adeel verzieht den Mund zu einem freudlosen
       Lächeln. „Es ist lustig, dass die Leute uns sagen, es sei kalt. Wir kommen
       aus den warmen Lagern. Aber wir wollen nicht nur Wärme. Manche wollen
       schlafen, manche wollen lernen, manche arbeiten. Deshalb sind wir hier.“
       
       Arbeiten und den Landkreis verlassen dürfen, nicht mehr in Zimmern mit fünf
       anderen Leuten und nur einer Toilette leben müssen, das ist die Forderung,
       die hinter „Anerkennung der Asylanträge“ steht. „Lager“ ist das Wort, das
       hier am Häufigsten fällt. Viele der NonCitizens kommen aus
       der„Bayernkaserne“, einem Flüchtlingslager im Münchner Norden. Die
       Bayernkaserne war in den letzten Monaten immer wieder Thema harter Debatten
       in München. Überfüllung, Personalmangel, hygienisch untragbare Zustände,
       Krätze.
       
       ## „Ein Gefängnis wird immer ein Gefängnis bleiben“
       
       Vor knapp einem Monat hat Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) einen
       Aufnahmestopp in die ehemalige Kaserne verhängt. „Wir wollen die Lager
       abschaffen, nicht verbessern“, sagt Adeel. „Ein Gefängnis wird immer ein
       Gefängnis bleiben.“
       
       Hinter Adeel liegen, inmitten von Decken und Schlafsäcken, unter zwei
       Plastikzelten die anderen NonCitizens. Sie sind entkräftet, zwei Männer
       wurden bereits zum Krankenhaus abtransportiert. Manche der NonCitizens, die
       hier heute protestieren, waren bereits im Juni letzten Jahres bei dem
       Hungerstreik am Münchner Rindermarkt dabei. Damals waren 45 Flüchtlinge
       eine Woche lang in einen Hunger- und später auch Durststreik getreten. Nach
       der Räumung des Camps war ihnen eine schnelle Prüfung ihrer Asylanträge in
       Aussicht gestellt worden – eine Anerkennung bekamen aber nicht alle.
       
       18 Uhr, der Notarzt fährt vor. Zum fünften Mal heute, fast schon Routine.
       Der Rettungsdienst hebt einen der Männer aus dem Zelt und in den
       Krankenwagen. Adeel liegt auf dem Deckenlager und schaut nach oben an die
       Zeltdecke. Seine Augen sind rot und nur noch halb geöffnet, seine Stimme
       ist noch leiser als zuvor. Kraft, um aufzustehen, hat er keine mehr. Hat er
       Angst? „Nein“, sagt Adeel. „Ich habe schon hunderte Male den Tod gesehen.
       Ich habe keine Angst mehr vor ihm.“ Er zieht die Decke fester über seinen
       Körper. „Und überhaupt: Was wir in den Lagern haben, ist kein Leben.
       Schlimmer kann es nicht kommen.“
       
       ## CSU hat „null Verständnis“
       
       „Erpressung“ nennt die CSU das Vorgehen der Flüchtlinge, Innenminister
       Joachim Herrmann wurde mit dem Ausspruch zitiert, es habe für den
       Hungerstreik der Geflüchteten „null Verständnis“. Und auch unter den
       Passanten am Sendlinger Tor lässt sich häufig eine gewisse, nunja,
       Abneigung gegen das Vorgehen der NonCitizens beobachten. Alle 20 Minuten
       schlendert einer vorbei, klassischerweise hat er in den Händen eine saftige
       Semmel, und lässt die Protestierenden, die sich erdreisten, vor seinen
       Augen zu hungern, wissen, was er von ihnen hält: Gar nichts. Manche
       verfallen in regelrechte Schimpftiraden. „Auschwitz, you know it?“, brüllt
       beispielsweise ein junger, betrunkener Mann wild gestikulierend dem
       Protestzelt entgegen.
       
       Aber es gibt auch viel Hilfsbereitschaft: Der Spendenberg steigt stetig
       weiter an, immer wieder bringen Leute Decken, Jacken und Mützen vorbei.
       
       1 Uhr nachts, Kriegsschauplatz Sendlinger Tor. Neun der NonCitizens sitzen
       noch immer auf den Bäumen. Sie haben sich vor der Räumung des Protestcamps
       dahin geflüchtet. Wegen der „Gefahr für Leib und Leben“ der Protestierenden
       war ihre Versammlung aufgelöst worden. Die Reihen der Unterstützer haben
       sich inzwischen gelichtet, nur leise schallt es noch hin und wieder über
       den Platz: „Refugees are welcome here“.
       
       Zwei Feuerwehrwägen stehen neben den Bäumen, ein Polizist hat sich von
       ihnen abgeseilt und versucht, die verbliebenen Flüchtlinge vom Baum zu
       holen. Aber die klammern sich fest. Einer droht, zwischen die Luftkissen zu
       springen, sollte die Polizei ihm zu nahe kommen. Irgendwann gibt die
       Polizei auf, die Beamten kommen vom Baum wieder herunter.
       
       Donnerstag um 8.30 Uhr, nach knapp 11 Stunden auf den Bäumen, kommen Adeel
       und seine verliebenen Mitstreiter schließlich wieder auf dem Boden an. Weil
       Oberbürgermeister Dieter Reiter ihnen Gespräche mit Vertretern aller
       Regierungsebenen zugesagt hat. Ihre Asylanträge, so lautet jetzt das
       Angebot an die Protestierenden, werden geprüft werden. Über ihre Annahme
       sagt das nichts. „Sie haben ihr Ziel erreicht: nämlich eine Diskussion
       anzustoßen“, sagt Reiter. Und weiter: „Wir brauchen einen Plan, um
       Flüchtlinge in Gesellschaft und Arbeitsmarkt zu integrieren.“
       
       27 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laura Meschede
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) München
 (DIR) Hungerstreik
 (DIR) Polizei
 (DIR) Räumung
 (DIR) Hungerstreik
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Protest
 (DIR) Flüchtlinge
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Hungerstreikende Flüchtlinge in München: „Brauchst du etwas?“ – „Einen Pass“
       
       Seit drei Tagen sind Flüchtlinge im Hungerstreik. Schon zweimal gab es in
       München ähnliche Proteste. Die Erfolgsaussichten sind gering.
       
 (DIR) Mangel an Flüchtlingsunterkünften: Amt schickt Menschen auf die Straße
       
       Entgegen der Aussage des Sozialsenators im Parlament werden Flüchtlinge
       derzeit nicht vom Amt untergebracht. Traglufthallen als Notunterkunft
       eröffnet.
       
 (DIR) Unterbringung von Flüchtlingen: Milliardenhilfe für Kommunen
       
       Bund und Länder einigen sich im Streit über die Kosten für Flüchtlinge.
       Kommunen erhalten Hilfe. Berlin nimmt vorerst keine weiteren Flüchtlinge
       auf.
       
 (DIR) Kommentar Flüchtlinge in München: Bayerische Schlagzeilen
       
       Bayerns Innenminister Herrmann bezeichnet Aktionen von Flüchtlingen als
       „Spektakel“. Dass es auch anders geht, zeigt Münchens Oberbürgermeister.
       
 (DIR) Polizei räumt Camp in München: Flüchtlinge retteten sich auf Bäume
       
       Mittwochabend räumte die Polizei ein Flüchtlingscamp in München. Sechs
       Protestierende flüchteten auf Bäume. Nun soll es Gespräche mit dem
       Oberbürgermeister geben.
       
 (DIR) Erneut Proteste in Berlin: Anwohner gegen Flüchtlinge
       
       Am Montagabend protestierten in Berlin-Marzahn erneut Hunderte
       Demonstranten gegen Flüchtlingsunterkünfte. Sechs Vermummte wurden
       festgenommen.
       
 (DIR) Missstände in privaten Flüchtlingsheimen: „Es geht hier um Steuergelder“
       
       Was tun gegen Vetternwirtschaft und Mängel in privat betriebenen Heimen?
       Ein Streitgespräch mit Canan Bayram (Grüne) und Ülker Radziwill (SPD).
       
 (DIR) „Flüchtlinge privat aufnehmen“-Knigge: Werden Sie kein Arschloch
       
       Sie überlegen, Ihre Wohnung oder ein Zimmer an Flüchtlinge zu vermieten?
       Dann sollten Sie sich vorher einige Fragen stellen.