# taz.de -- Missstände in privaten Flüchtlingsheimen: „Es geht hier um Steuergelder“
       
       > Was tun gegen Vetternwirtschaft und Mängel in privat betriebenen Heimen?
       > Ein Streitgespräch mit Canan Bayram (Grüne) und Ülker Radziwill (SPD).
       
 (IMG) Bild: Praktisch und quadratisch, aber nicht immer gut.
       
       taz: Frau Bayram, bei der ersten Sitzung zu den Vorwürfen an Lageso-Chef
       Allert haben sich SPD- und Grünenabgeordnete angebrüllt. Nach der bislang
       letzten haben Sie Ihre SPD-Kollegin Radziwill ausdrücklich gelobt – wofür? 
       
       Canan Bayram: In der letzten Sitzung konnten endlich die Fragen gestellt
       werden, die wir Abgeordneten stellen müssen. Es ist unsere Aufgabe, die
       Vorwürfe an Allert aufzuklären. Da sollte auch die Koalition mitziehen.
       
       Frau Radziwill, wie kommt so ein Lob bei Ihnen an? 
       
       Radziwill: Auch die SPD fordert Aufklärung. Wir wollen aber keine
       Vorverurteilung. Es gab Aussagen der Opposition, die eine solche
       enthielten. Deswegen wurde hart argumentiert. Bei der letzten Sitzung ging
       es sachorientierter und weniger polemisch zu. Das erleichtert die
       Aufklärung, um die es – da bin ich mit Frau Bayram einig – uns allen gehen
       muss.
       
       Bei der letzten Befragung im Sozialausschuss hatten Sozialsenator Mario
       Czaja (CDU) und Lageso-Chef Allert aber ziemlich große Gedächtnislücken. 
       
       Radziwill: Den Eindruck hatte ich nicht. Wir haben auf unsere Fragen
       Antworten bekommen.
       
       Bayram: Auf viele meiner Fragen hat Czaja keine Antwort geben können. Er
       hat sie an Herrn Allert weitergegeben, den ich als befangen betrachte. Er
       müsste sich wenigstens temporär von seiner Aufgabe zurückziehen und damit
       ermöglichen, die Vorwürfe aufzuklären.
       
       Da geht die SPD nicht mit, oder? 
       
       Radziwill: Es stehen zwei Vorwürfe im Raum, die wir nicht miteinander
       vermischen dürfen: einerseits der Vorwurf der Bevorteilung einer Firma,
       deren Geschäftsführer Allerts Patensohn ist. Nach eigener Aussage hat
       Allert am selben Tag, als er seinen Patensohn als Vertreter der
       Betreiberfirma in einer Flüchtlingsunterkunft getroffen hat, dies seiner
       Behörde mitgeteilt. Wir haben bisher keinen Anlass, diese Antwort für
       unglaubwürdig zu halten. Der zweite Vorwurf ist der der Qualitätsmängel in
       Heimen privater Betreiber. Da sagen wir auch: Wir wollen das umfassend
       aufklären.
       
       Fast alle Betreiber von Unterkünften haben aufgrund der steigenden Zahl von
       Flüchtlingen ihren Bestand in den vergangenen zwei Jahren vergrößert – aber
       keine so sehr wie die Firma Gierso, für die Allerts Patensohn arbeitet.
       Auch die wegen Qualitätsmängeln in der Kritik stehende Pewobe hat viele
       neue Aufträge bekommen – teils anfänglich ohne schriftlichen
       Vertragsabschluss. Das Lageso begründet das mit der Dringlichkeit der
       Öffnung neuer Heime – zieht das Argument? 
       
       Bayram: Diese Dringlichkeit ist Folge früherer Versäumnisse – und schafft
       nun die Möglichkeit, solche Machenschaften zu begründen. Es fand teils eine
       Vergabe statt, die nach meiner Ansicht mit unseren Haushaltsgrundsätzen
       nicht zu vereinbaren ist. Es gab Auftragserteilungen, ohne dass wesentliche
       Vertragsbestandteile ausgehandelt waren. Das halte ich für einen Verstoß
       gegen die Landeshaushaltsordnung. Ob es noch weitere Verstöße gibt, müssen
       wir klären. Es geht hier um Steuergelder, und es ist unsere Aufgabe als
       Abgeordnete, das zu kontrollieren. Wir sind der Haushaltsgesetzgeber und
       müssen nachprüfen, ob jeder Cent, den wir ausgeben, da ankommt, wo er
       ankommen soll. Daran habe ich im Moment Zweifel, und je mehr ich mich damit
       beschäftige, desto größer werden die.
       
       Radziwill: Das Landesamt vergibt Mittel nach den entsprechenden
       Grundsätzen, und das sehr ordentlich. Uns sind bisher dabei keine starken
       Unregelmäßigkeiten aufgefallen. Aber man muss natürlich regelmäßig
       hinschauen. Die Zahl der Flüchtlinge in Berlin steigt und sie wird das
       weiter tun. Wir haben den humanitären Auftrag, ihnen schnell Unterstützung
       und damit auch Unterkünfte anzubieten. Wenn private Betreiber in dieser
       Notsituation schneller agieren können als andere, muss das Lageso in
       Verhandlungen treten und oft mangels anderer Angebote auch zugreifen.
       Natürlich muss darauf geachtet werden, dass die Betreiber die Standards
       einhalten. Nach meinem Eindruck ist dies in den meisten Heimen auch
       privater Betreiber der Fall. Ich denke, dass das System insgesamt so
       schlecht nicht ist. Dennoch plädieren wir mit Senator Czaja für einen
       Paradigmenwechsel in der Unterbringungspolitik. Wir wollen mehr
       landeseigene Immobilien nutzen. Und wir wollen mehr gemeinnützige Träger
       beauftragen.
       
       Trotzdem hat die SPD nun mit dem Argument der Dringlichkeit der
       Unterbringung von Flüchtlingen in Containern und Tragluftzelten zugestimmt
       – obwohl Sie selbst das noch vor Kurzem abgelehnt haben. 
       
       Radziwill: Zelten haben wir nicht zugestimmt. Auch dauerhafte Unterkunft in
       Traglufthallen lehnen wir ab. Das ist in der SPD-Fraktion Konsens und wurde
       von Herrn Czaja auch akzeptiert. Was wir akzeptieren, ist die kurzfristige
       Unterbringung in einer solchen Halle in direkter Nähe des Lageso, für
       wenige Tage und nur in Notfällen: etwa von Asylsuchenden, deren Fall nicht
       gleich am Tag ihrer Ankunft bearbeitet werden kann. Die Containerdörfer
       haben abgeschlossene Räume, da besteht ein Schutz der Privatsphäre. Da
       können auch die Grünen nicht dagegen sein.
       
       Frau Bayram? 
       
       Bayram: Traglufthallen sind für uns völlig indiskutabel. Und wir sind auch
       gegen die Container. Neben allen Nachteilen für die Flüchtlinge sind diese
       pure Geldverschwendung.
       
       Radziwill: Einspruch! Berlin bekommt vom Bundesamt für Migration und
       Flüchtlinge Prognosen, wie viele Flüchtlinge zu erwarten sind. Daran
       orientieren wir uns bei der Bereitstellung von Plätzen. Gerade wenn wir
       verantwortungsvoll mit Steuergeldern umgehen wollen, können wir auch nicht
       einfach 3.000 Plätze auf Vorrat finanzieren.
       
       Bayram: Wir wussten aber schon im Sommer, dass die Prognosen des Bundesamts
       überschritten würden. Wenn man tatsächlich eine dauerhaft bessere
       Unterbringung von Flüchtlingen wollte, hätte man da schon anfangen können,
       zu schauen, was das Land für eigene Möglichkeiten und Liegenschaften hat,
       statt immer weiter Aufträge an umstrittene private Betreiber zu vergeben.
       So hat man sich in die Not, jetzt Containerdörfer bauen zu müssen, selbst
       gebracht.
       
       Was haben Sie gegen Container? 
       
       Bayram: Sie bieten keine menschenwürdige Unterbringung, sondern
       stigmatisieren die Menschen, die darin leben sollen. Und wir sehen dort, wo
       sie errichtet werden, jetzt schon, wie Rechte die Aversion gegen die
       Container nutzen, um daraus eine Aversion gegen deren künftige
       BewohnerInnen, die Flüchtlinge, zu machen.
       
       Radziwill: Für Oktober hatte das BAMF für Berlin 1.250 neue Flüchtlinge
       vorausgesagt – gekommen sind 1.530. Wir brauchen die Container. Und wir
       können sie, da sie ja dem Land gehören, anders nutzen, sollten die
       Flüchtlingszahlen wieder sinken – etwa zur Unterbringung von StudentInnen.
       
       Auf der letzten Sozialausschusssitzung konnte Herr Allert allerdings weder
       über die Qualität noch über die Preise der bislang angeschafften Container
       Auskunft geben. 
       
       Radziwill: Wir werden diese Informationen bekommen, und wir haben
       Qualitätsstandards für die Container vorab festgelegt. Zudem haben wir eine
       besondere soziale Betreuung für die BewohnerInnen der Container über die
       Stadtteilzentren eingerichtet und finanziert.
       
       Bayram: Die Frage ist aber doch: Wie können wir die Ressourcen für die
       Unterbringung von Flüchtlingen so einsetzen, dass sie sich auch in der
       Qualität der Unterkünfte wiederfinden?
       
       Das Beste seien Unterkünfte in landeseigenen Immobilien in der Hand
       gemeinnütziger Betreiber – das sagen Sie beide, das sagt Senator Czaja.
       Wenn alle dasselbe wollen – warum machen wir es dann nicht? 
       
       Bayram: Senator Czaja spricht zwar davon, dass er landeseigene Immobilien
       für Flüchtlingsunterkünfte nutzen will, aber er verfolgt eine andere
       Strategie – die der Unterbringung in Containern. Damit sinkt die Qualität
       der Unterkünfte immer weiter.
       
       Radziwill: Die Einrichtung von Containerdörfern schließt nicht aus, dass
       nebenbei auch geguckt wird, welche landeseigenen Immobilien für die
       Unterbringung von Flüchtlingen infrage kommen. Das Landesamt sucht ja
       weiterhin dringend Unterbringungsplätze.
       
       Das Angebot, ein Grundstück in Neukölln zu kaufen, auf dem ein temporäres
       Flüchtlingsheim steht, hat der Senat angeblich abgelehnt – dabei hätte man
       damit verhindern können, dass die Gebäude Ende 2015 abgerissen werden
       müssen. 
       
       Radziwill: Ich gehe davon aus, dass darüber in der Hauptausschusssitzung am
       Mittwoch noch einmal gesprochen wird. Es geht auch dabei um öffentliche
       Mittel, also müssen die Konditionen geprüft werden.
       
       Bayram: Es sind schon 8 Millionen für die Gebäude dort ausgegeben worden.
       Muss man diese abreißen, wird das wieder Geld kosten. Ich habe gehört: Wird
       der Senat nicht kaufen, will der Eigentümer das Grundstück der privaten
       Firma anbieten, die das Heim darauf derzeit betreibt. Damit wäre die
       Abhängigkeit des Lageso von privaten Betreibern wieder ein Stück größer.
       Das ist doch keine kluge Strategie.
       
       24 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alke Wierth
       
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