# taz.de -- Syrische Flüchtlinge in Deutschland: Bürger treiben die Politik vor sich her
       
       > Zwei Drittel der Deutschen möchten, dass mehr Menschen aufgenommen
       > werden. Doch viele Politiker fürchten um die Stimmen vom rechten Rand.
       
 (IMG) Bild: Syrisches Flüchtlingscamp in Mafraq, Jordanien
       
       Der Druck steigt: Die reichen europäischen Länder können die Not der
       Millionen von Flüchtlingen nicht länger ignorieren. Zwar hatten sie
       überhaupt nicht vor, sich im Nahen Osten humanitär zu engagieren, aber wenn
       sie weiter auf stur schalten, werden sie auch bei Sonntagsreden das Wort
       Menschenrechte nicht mehr in den Mund nehmen können.
       
       Daher ändern Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Kanzlerin
       Angela Merkel (CDU) ihre Strategie. Bis vor Kurzem hatten sie noch jede
       Kritik daran, dass die Bundesrepublik gerade einmal 20.000 Verwandte von
       bereits in Deutschland lebenden Syrern aufnimmt, mit dem Verweis pariert,
       dass kein anderes europäisches Land die Grenzen so weit öffne. Gerechnet
       auf die Bevölkerungszahl stimmt das nicht.
       
       2012 hat Norwegen den meisten Flüchtlinge Asyl gewährt: Auf 10.000 Norweger
       kommen 10,6 Flüchtlinge. In Deutschland ist das Verhältnis: 10.000 Deutsche
       zu 2,1 Flüchtlingen. Bislang möchte die Regierung an dieser
       Ungleichverteilung festhalten. Neu ist, dass sie den Druck etwa auf
       Großbritannien und Frankreich verstärkt, sich dem Problem und dem Elend
       nicht mehr komplett zu verschließen. Die Briten haben bislang 90 SyrerInnen
       aufgenommen. „Das reicht kaum, um einen Doppeldeckerbus zu füllen“,
       übersetzt Anna Musgrave vom Flüchtlingsrat der UNCHR diese
       Menschenverachtung.
       
       Über diesen Zynismus der Eliten sollte aber eines nicht aus dem Blick
       geraten: Zumindest in Deutschland hat sich die Stimmung gedreht. Knapp zwei
       Drittel der Deutschen möchten, laut einer von der Bosch-Stiftung in Auftrag
       gegebenen Studie, dass hier mehr geflüchtete Menschen aufgenommen werden.
       Natürlich gibt es auch Gegenbewegungen, etwa die jüngsten Proteste gegen
       die vermeintliche Islamisierung Deutschlands in Dresden. Aber sie können
       keine schweigende Mehrheit hinter sich verbuchen.
       
       ## Das Leid kommt in den Köpfen an
       
       Die größte „humanitäre Katastrophe unserer Zeit“, wie es das
       Flüchtlingswerk der UN bezeichnet, die sich in Syrien und im Irak unter den
       Augen der Öffentlichkeit abspielt, scheint in den Köpfen angekommen zu
       sein. Das wurde auch Zeit, denn dass die Nachbarländer unter
       Hunderttausenden von geflüchteten Menschen kollabieren, ist längst gut
       dokumentiert. Niemand kann daher mehr unfallfrei behaupten, Libanon,
       Jordanien oder die Türkei könnten doch einfach mehr tun. Auf 11 Jordanier
       kommt inzwischen ein Flüchtling. In Bayern ist das Verhältnis 305:1.
       Insgesamt nimmt Europa laut dem UNCHR gerade einmal vier Prozent der
       syrischen Flüchtlinge auf.
       
       Flüchtlingspolitik bedeutet Umverteilungspolitik. Die Reichen müssen etwas
       abgeben, wenn sie den sozialen Kitt in ihren Ländern nicht gefährden
       wollen. Wie man am Aufstieg von Ukip in Großbritannien und Front National
       in Frankreich sehen kann, gefährdet eine allgemeine soziale Verrohung die
       Machtpositionen der bürgerlichen Mitte. Migration zu verteufeln und Fremde
       zu dämonisieren, hält die Rechten nicht klein, wie bislang gerne
       angenommen, sondern macht sie erst richtig groß. Insofern hat ein auch nur
       leicht humanisierter Umgang mit geflüchteten Menschen nichts mit Almosen zu
       tun. Es handelt sich vielmehr um Demokratiepflege.
       
       66 Prozent der Deutschen haben diese Gefahr erkannt. Noch ist diese
       Erkenntnis eher abstrakt. Denn bislang, auch das erzählt die Studie, sind
       nur 5 Prozent mit jemandem, der sein Heimatland verlassen musste, in
       Berührung gekommen. Da ist also noch recht viel Luft nach oben. Aber die
       Richtung stimmt.
       
       Heute findet in Genf eine Konferenz zum Umgang mit Flüchtlingen statt.
       Hilfsorganisationen von der UN, über Oxfam, Save The Children und Amnesty
       International mobilisieren vor allem über die sozialen Netzwerke massiv und
       haben das Ziel von 5 Prozent ausgerufen. Folgt die EU dieser
       5-Prozent-Forderung, müssten 160.000 SyrerInnen in den reichen EU-Ländern
       wohnen und arbeiten dürfen. Zwei von drei Deutschen gefiele das.
       
       9 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
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