# taz.de -- Debatte Bündnis 90/Die Grünen: Grüne Überzeugungen
       
       > Der nun anstehende Generationswechsel ist zwar eine entscheidende Zäsur
       > für die Partei. Doch ihre Grundwerte bleiben.
       
 (IMG) Bild: Auf dem Parteitag im November: die Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt.
       
       Parteien verfallen hin und wieder in eine Sinnkrise, zumeist beim Abtritt
       großer Führungsfiguren. Die Grünen freilich haben den Abgang von Joschka
       Fischer 2005 alles in allem gut verkraftet, dafür stellt der nun laufende
       Generationswechsel wohl eine der schwersten Zäsuren in der Geschichte der
       Grünen dar. Was an Kommentaren über die einstige Partei der politischen
       Avantgarde zu lesen ist, muss für die Funktionsträger niederschmetternd
       wirken, wenn ihnen aus Anlass ihres letzten Bundesparteitags
       [1][„Beißhemmungen“ (Zeit Online)] attestiert werden oder konstatiert wird,
       [2][dass den Grünen schlicht die Themen ausgingen (Die Welt)].
       
       Die Grünen selbst suchen zwar nach Orientierungen, doch eine wirkliche
       Sinnkrise kann man nicht ausmachen. Vielmehr scheinen sich die
       Parteimitglieder eher implizit darüber im Klaren zu sein, auf Basis welcher
       Grundüberzeugung sie eigentlich Politik betreiben. Ausgerechnet die
       Aufarbeitung der Pädosexualitätsdebatte legt nun Teile des Markenkerns
       jenseits der tradierten Themenfelder Ökologie und Frieden offen.
       
       In unserem Abschlussbericht haben wir einige Faktoren herausgearbeitet, die
       notwendige, jedoch keineswegs hinreichende Voraussetzungen waren, damit
       sich in den 1980er Jahren Forderungen nach einer pädosexuellenfreundlichen
       Reform des Sexualstrafrechts in den Programmen niederschlagen konnten.
       
       Neben der Bejahung der sexuellen Befreiung waren das erstens die
       ausschweifende Empathie für Minderheiten, zweitens die Überzeugung,
       bestimmten opportunen wissenschaftlichen Positionen in wahrer Gläubigkeit
       zu folgen, und schließlich drittens die Zweifel an der Berechtigung
       staatlicher Eingriffe in die individuellen Freiheiten. Wenn man diese
       Punkte nun dieser Tage als Resümee vorträgt, begegnen einem zwei
       Reaktionen.
       
       Die älteren Funktionsträger wollen sich erkennbar nicht in solche
       Schablonen pressen lassen und pochen mehr oder minder darauf, dass man
       diese Zeit selbst erlebt haben müsse, um sie zu verstehen. Demgegenüber
       finden sich in genau diesen Beschreibungen die jüngeren Parteimitglieder
       erstaunlich gut getroffen. Ihnen wird dadurch bewusst, dass diese Dinge
       letztlich einen Teil des zu wahrenden Vermächtnisses ihrer
       Vorgängergeneration umschreiben und dass sie in ihrer eigenen politischen
       Identität tief verwurzelt sind. Im Angesicht der Pädosexualitätsdebatte
       erschrecken sie aber auch wegen der damit verbundenen Ambivalenzen.
       
       Stellt man bei der rückblickenden Bewertung eine generative Differenz fest,
       so scheint diese in der politischen Alltagsarbeit der Grünen keine große
       Rolle zu spielen. Vielmehr findet man genug Beispiele und Anknüpfungspunkte
       der heutigen grünen Politik in den genannten Überzeugungen.
       
       ## Geliebte Empathie
       
       Dort, wo die Grünen politische Verantwortung tragen, kümmern sie sich
       jedenfalls meist rührend um all die sozialen Randgruppen und Minderheiten,
       die sich anderweitig nicht vertreten fühlen. „Kümmern“ meint dabei vor
       allem eine verbale Empathie kombiniert mit dem Verlangen, dass sich
       professionell jemand um einzelne Gruppen bemüht. Ob Frauen-, Umwelt-,
       Senioren-, Behinderten-, Schwulen-, Lesben-, Fahrrad- oder
       Fußgängerbeauftragte, sie alle leisten aus Sicht grüner Politik daher
       immens wichtige Arbeit, die es zu fördern und auszubauen gilt.
       
       Bei den kommunalen Töpfen, welche zusätzlich kleinste Mikrogruppen
       unterstützen, sind es oft die Grünen, die dort Haushaltskürzungen
       verhindern. Was an institutionalisierter Arbeit im Kultur-, Jugend- und
       Sozialbereich der 1980er/1990er Jahre entstanden ist, wird damit
       verlässlich umsorgt.
       
       Nicht nur die Sympathie für die Lage von „Betroffenen“, wie es im Jargon
       der 1980er Jahre zuweilen immer noch heißt, ist geradezu typisch für die
       Identität der Grünen, auch ihre Orientierung auf wissenschaftliche
       Expertise, gerne solche abseits des Mainstreams, ist ungebrochen. Das war
       für die Entstehungszeit der Partei auch essenziell, denn sie lehnten die
       Atomenergie gegen eine herrschende Meinung in den Natur- und
       Ingenieurswissenschaften ab. Insbesondere in den Kernfeldern Umwelt- und
       Verkehrspolitik verbeißen sich die Grünen auch heutzutage in den
       Widerstreit der Gutachter, um ihre Position auf der Grundlage opportuner
       wissenschaftlicher Befunde zu stützen.
       
       Was dem nicht entspricht, wird in methodischer und analytischer Hinsicht
       grundlegend angezweifelt. Sehr anschaulich war das bei den Auftritten von
       Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer im Schlichtungsverfahren zu
       Stuttgart 21 zu beobachten. Den Grünen liegt bei solchen Themen oftmals
       weniger an einem Interessenausgleich, sondern eher am Rechthaben, das zu
       einem Rechtkriegen werden soll.
       
       ## Einsatz für Freiheitsrechte
       
       Auch die dritte Überzeugung, das Eintreten für die Freiheitsrechte, hat bei
       den Grünen unvermindert ihren Platz. Die einstige Partei der RAF-Anwälte
       ist zwar weit davon entfernt, die Abschaffung aller Gefängnisse zu fordern,
       wiewohl bei der Grünen Jugend vor wenigen Jahren ein solcher Diskurs mal
       kurzzeitig geführt wurde. Allerdings sehen sich die Grünen immer noch als
       entschiedene Verteidiger bürgerlicher Freiheitsrechte, gerade hier hoffen
       sie auf die Erbschaft der verblichenen Liberalen von der FDP.
       
       Das schließt bislang aber auch eine gewisse Scheu ein, in
       Koalitionsverhandlungen den Posten eines Innenministers für die eigene
       Partei zu reklamieren. Jedenfalls hat es noch nie einen grünen
       Innenminister gegeben, der dadurch in die Verlegenheit käme, sich für eine
       Verschärfung von Sicherheitsgesetzen einzusetzen.
       
       Viel lieber bekleiden die Grünen dann das Amt des Justizministers, weil sie
       darüber einen Kontrapunkt zum Koalitionspartner setzen können. Bei den
       Grünen gibt es also durchaus einen Bestand von Überzeugungen, die nicht nur
       aus Sicht der jüngeren Parteimitglieder geradezu konstitutiv wirken,
       sondern die offenkundig die Politik der Partei nachhaltig prägen. Sie
       scheinen gegenwärtig nicht nur den Generationswechsel zu überdauern,
       sondern die Partei wird sich ihrer anscheinend gerade erst so richtig
       bewusst.
       
       17 Dec 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-11/gruenen-parteitag-hamburg-auftakt
 (DIR) [2] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article134642686/Apokalypse-ade-den-Gruenen-gehen-die-Themen-aus.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stephan Klecha
       
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