# taz.de -- Machtverschiebung im Nahen Osten: Nicht ohne Teheran und Riad
       
       > Früher gaben die USA in der Region den Ton an. Seit 2011 und dem
       > Erstarken des IS haben der Iran und Saudi-Arabien an Einfluss gewonnen.
       
 (IMG) Bild: Nach einem US-Angriff auf die Stadt Sindschar im Nordirkak.
       
       KAIRO taz | Der Nahe und Mittlere Osten hat sich verändert. Regionalstaaten
       wie der Iran, Saudi Arabien und die Türkei haben den Einfluss gewonnen, den
       die USA und Europa verloren haben. Wer hätte gedacht, dass der Tag kommt,
       an dem ein US-Außenminister überschwänglich eine iranische Militäraktion
       begrüßt. Das hatte John Kerry getan, nachdem Anfang Dezember Kampfflugzeuge
       der Islamischen Republik im Osten des Irak einige Stellungen des
       Islamischen Staates (IS) bombardierten.
       
       Bereits zuvor hatte US-Präsident Barack Obama an den iranischen
       Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei einen freundlichen Brief
       geschrieben, in dem er dazu aufrief, gemeinsam den neuen Feind IS zu
       bekämpfen und bei den Differenzen im Atomstreit endlich ein Kompromiss zu
       finden. Noch ist ein Abkommen nicht unter Dach und Fach. Aber allein die
       Tatsache, dass ein Ultimatum für eine Übereinkunft ohne großes Aufheben
       verschoben wurde, zeigt, wie sehr der Westen derzeit Teheran braucht.
       
       Bis 2011, dem Jahr des arabischen Umruchs, pflegten die USA und Europa ihre
       besonderen Beziehungen zu Israel und Saudi Arabien. Den Nato-Partner Türkei
       hatten sie ohnehin an Bord. Den „Schurkenstaat“ Iran schloss man seit
       Jahrzehnten aus.
       
       Um ganz sicher zu gehen, stationierten die USA Flugzeugträger und Truppen
       in der Region. Und dann kommt eine Dschihadisten-Truppe, die Territorien
       erobert, eine Grenze abschafft, ein Kalifat ausruft, das Ganze „Islamischer
       Staat“ nennt und die alte Ordnung ist plötzlich hinfällig.
       
       ## Der Iran als Gegenspieler des Islamischen Staates
       
       Stephen Walt, Harward-Professor für Internationale Beziehungen, beschreibt
       die gegenwärtige US-Politik so: In der Bush-Ära habe Washington versucht,
       durch militärisches Eingreifen die Region direkt zu kontrollieren. Nachdem
       dies mit dem Irak-Krieg gescheitert sei, verfolge man nun eine Politik des
       Machtausgleichs mit den Regionalstaaten, mit so wenig direktem
       militärischen US-Engagement wie möglich. Die USA müssten die Region nicht
       dominieren, sondern nur dafür sorgen, dass niemand anderes sie dominiert.
       Das ging so lange einigermaßen gut, bis deutlich wurde, dass die
       Regionalstaaten ein Eigenleben führen und dass die USA und Europa diese
       Mächte mehr brauchen, als andersherum.
       
       Am deutlichsten ist das im Fall des Iran. Der erweist sich nicht nur als
       einer der wichtigsten politischen und militärischen Gegenspieler des IS.
       Die Islamische Republik gilt inzwischen als „stabilstes Land, umgeben von
       einer arabischen turbulenten Welt, die von extremen Gruppierungen
       destabilisiert wird“, wie der iranische Stratege, heutige Gastprofessor in
       Princeton und ehemaliger umstrittener Botschafter seines Landes in
       Deutschland, Sayed Hossein Mousavian, schreibt. Er preist den Iran geradezu
       als einen Hort der Stabilität in der Region und besten Bündnispartner des
       Westens. „Eine schiitische Koalition, zusammen mit dem Iran, den irakischen
       und syrischen regulären Armeen und der Hisbollah neben den kurdischen
       Peschmerga wäre die effektivste Bodentruppe gegen den IS“, schreibt er.
       Schurkenstaaten und deklarierte Terrororganisationen als beste Partner?
       
       ## Saudi-Arabien rivalisiert mit Iran um die Hegemonie am Golf
       
       Aber es gibt auch warnende Stimmen. Mousavians Kollege in Princeton und
       Chef für Nahost-Studien, Bernard Haykel, fürchtet, dass eine Kooperation
       zwischen Washington und Teheran zu einem sunnitischen Schulterschluss unter
       dem Dschihad-Banner führen wird. Der IS sei in vielerlei Hinsicht auch
       Ausdruck eines sunnitischen Aufstandes im Irak, nachdem die dortigen
       Sunniten ein Jahrzehnt lang politisch außen vor gelassen wurden. Teheran
       und die schiitischen Milizen hätten einen ebenso großen Anteil,
       konfessionelle Gewalt im Irak anzuheizen, wie die Dschihadisten. „Eine
       US-Allianz mit dem Iran“, glaubt er, „kommt für die Sunniten einer
       Kriegserklärung gleich“.
       
       Die finanzielle stärkste Regionalmacht ist Saudi Arabien. Das Land, das
       auch den Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assads betreibt, gehört
       seit September der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition an. Die
       Rivalität mit dem Iran um die Hegemonie am Golf bildet das entscheidende
       Motiv für die saudische Syrien-Politik. Das Bündnis zwischen dem Regime in
       Damaskus und Teheran wird in Riad daher sehr rkitisch gesehen. Saudi
       Arabien will Syrien aus dem iranischen Orbit hinausbrechen. Dafür bot der
       Aufstand gegen Assad eine günstige Gelegenheit. Gleichzeitig bediente die
       IS sicher auch das saudische Interesse, den iranischen Einfluß im Irak
       zurückzudrängen und die Versorgungslinien zwischen dem Iran, Syrien und der
       Hisbollah im Libanon zu stören. In diesem Sinne ist Saudi Arabien sicher
       auch einer der Wegbereiter der IS, wenngleich mit den Dschihadisten ein
       Geist aus der Flasche gekommen ist, den Saudi Arabien nicht mehr
       kontrolliert.
       
       ## Schittmengen und viele Widersprüche zwischen dem Westen und der Region
       
       Der größte Alptraum der Herrscher in Riad wäre ein iranisch-amerikanischer
       Schulterschluß. Daher ist es für sie kontraproduktiv, den IS zu
       unterstützen. Das ist wohl der Hauptgrund, warum sich Saudi Arabien, trotz
       zahlreicher innerer Widerstände, der Anti-IS-Koalition angeschlossen hat.
       
       Fazit: Die Zusammenarbeit und die Koalition gegen die IS funktioniert nur
       dort, wo sich zwischen dem Westen und den Regionalstaaten gemeinsame Nenner
       gleicher Interessen finden. Sowohl im Falle Saudi Arabien, als auch der
       Türkei gibt es Schnittmengen, aber auch viele Widersprüche. Im Falle des
       Iran würde eine Einigung im Atomstreit die geopolitische Landkarte in der
       Region nachhaltig verändern. Teheran weiß genau, dass die Zusammenarbeit im
       Kampf gegen den IS die effektivste Karte ist, um dem Westen bei den
       Verhandlungen Zugeständnisse abzuringen. Solange der Deal nicht unter Dach
       und Fach ist, wird es keine Kooperation gegen den IS geben, bestenfalls,
       wie bereits heute, eine taktische Koordination.
       
       ## Die Regionalstaaten halten den Schlüssel zur Lösung der Krisen in der
       Hand
       
       Daher sind es heute nicht die USA, sondern vor allem die Regionalstaaten,
       die den Schlüssel dafür in der Hand halten, die mit dem IS entstandene
       Krise militärisch oder politisch zu lösen. Wenn sich der Iran, Saudi
       Arabien und die Türkei einmal über eine politische Lösung der Krise im Irak
       und in Syrien einig sind, wäre das der Anfang vom Ende der Konflikte. Davon
       ist die Region aber noch weit entfernt.
       
       Der Kolumnist der New York Times, Thomas Friedman, sieht in dieser
       Gemengelage die Chance, dass die USA weiter im strategischen Zentrum der
       Region stehen und die einzelnen Staaten gegeneinander ausspielen, die nun
       ihre Beziehungen mit Washington neu definieren müssten. Aber das Gegenteil
       ist eher der Fall. Es sind die Regionalstaaten, die hier zunehmend den Ton
       angeben und der Westen, der seine Beziehungen zu diesen Mächten neu
       definieren muss. Das macht das Konzert des Nahen Osten unübersichtlicher.
       Das gilt umso mehr, als der Iran, die Türkei und Saudi Arabien im Kampf
       gegen den IS gleichzeitig Teil des Problems und Teil seiner Lösung sind.
       
       31 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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