# taz.de -- FC St. Pauli-Aufsichtsrätin Schwedler: „Kontrolliert ist Pyro stadiontauglich“
       
       > Sandra Schwedler, neue Aufsichtsratsvorsitzende des FC St. Pauli, über
       > Quotenfrauen, Fanrechte, Vermarktungszwang und Klassenkampf.
       
 (IMG) Bild: Sandra Schwedler wird zur Aufsichtsratsvorsitzenden des FC St. Pauli gewählt
       
       taz: Frau Schwedler, mit Ihnen wurde fast zum ersten Mal eine Frau in den
       Aufsichtsrat eines norddeutschen Fußball-Profiklubs gewählt und Sie sitzen
       diesen als Newcomerin auch gleich vor: Was hat Sie zur Kandidatur bewogen
       und was dazu, gleich als Frontfrau aufzutreten? 
       
       Sandra Schwedler: Der Anstoß für meine Kandidatur kam von außen und ich
       habe sechs Monate darüber nachgedacht, ob ich mich dafür qualifiziert
       fühle, wie viel Zeitaufwand so ein Mandat bedeutet und ob ich das, was ich
       für den Verein und die Fanszene an ehrenamtlicher Arbeit leiste, dafür
       aufgeben möchte.
       
       Das sind Gründe, die eher gegen die Kandidatur sprechen, was aber hat Sie
       gereizt? 
       
       Dieser Verein begleitet mich seit über 20 Jahren und ich ihn. Ich spiele
       hier Handball, besuche jedes Spiel der Profis und mache jede Menge Projekte
       rund um den Verein. Er ist einfach Teil meines Lebens. Ich habe Lust, noch
       mehr mitzugestalten. Da ich bei der Wahl die meisten Stimmen bekommen habe,
       wurde mir der Vorsitz angetragen. Der Aufsichtsrat hat mich darin bestärkt,
       als Neuling gleich diese Aufgabe zu übernehmen.
       
       Sie haben vor der Wahl gesagt, Sie möchten ungern als Quotenfrau gewählt
       werden. 
       
       Natürlich war es einigen Mitgliedern wichtig, dass auf jeden Fall endlich
       mindestens eine Frau im Aufsichtsrat sitzt. Aber ich bin mir nach all dem
       Feedback, das ich erhalten habe, sicher, dass ich vor allem gewählt wurde,
       weil man mich für kompetent hält und mir vertraut.
       
       Was waren bislang Ihre Tätigkeitsfelder und Schwerpunkte in der
       Vereinsarbeit? 
       
       Ich arbeite seit 17 Jahren rund um Fanthemen, erst hier im Verein, dann
       auch bundesweit, und habe in verschiedensten Gremien die Belange der Fans
       vertreten. Der Anstoß, mich auch bundesweit zu engagieren, war die immer
       kurzfristigere Spieltagsansetzung und die immer größere Zersplitterung der
       Spieltage. Daneben habe ich die braun-weiße Hilfe mit aufgebaut, die etwa
       Rechtsberatungen für Fans organisiert, die Unterstützung rund um den
       Fußball brauchen.
       
       Als früheres Mitglied des Fanclubsprecherrats und offizielle Vertreterin
       der Fanorganisation Pro-Fans sind Sie Teil der politisch aktiven Fanszene.
       Welche Fanrechte gilt es zu stärken? 
       
       Fans werden nicht als gleichberechtigter Akteur im Fußballsport
       wahrgenommen. Die Verbände haben sich geöffnet und reden mit Fanvertretern.
       Allerdings ist dies derzeit noch kein Dialog auf Augenhöhe. Alles dreht
       sich vor allem um Fernsehgelder und Sponsoren, um Sicherheit und Polizei.
       Die Fans fallen da oft hinten runter. Da ist noch viel Arbeit zu leisten.
       
       Als Senior Account Managerin einer großen Digitalagentur haben Sie
       tagtäglich mit Situationsanalyse, aber auch Budgetplanung und kontrolle zu
       tun. Notwendige Qualifikationen für so ein Mandat, bei dem es ja auch viel
       um Finanzen geht? 
       
       Definitiv. Man braucht dafür schon ein Grundverständnis für Zahlen und
       Budgets. Aber nicht alle Aufsichtsratsmitglieder müssen da absolut firm
       sein, wir können uns – etwa bei komplizierten Steuerfragen – auch jederzeit
       externe Beratung holen. Wichtig ist, dass es im Aufsichtsrat ganz
       verschiedene Qualifikationen und Kompetenzen gibt.
       
       Wie haben Sie die ersten Wochen als Aufsichtsrätin erlebt – es waren
       turbulente Tage! 
       
       Oh ja. Wir mussten uns alle erst mal einarbeiten und aufgrund der
       sportlichen Situationen kam ja einiges auf uns zu.
       
       Wie fühlt es sich an, plötzlich an Entscheidungen wie der Entlassung des
       Sportchefs und der Verpflichtung eines neuen Trainers aktiv beteiligt zu
       sein? 
       
       Wir sind daran ja nicht wirklich aktiv beteiligt. Wir entscheiden nur
       darüber, ob die Entscheidungen des Präsidiums durch das Budget gedeckt
       sind. Das war’s. Natürlich haben wir die Hintergründe mit dem Präsidium
       intensiv und lange diskutiert, aber die Entscheidung selber treffen wir
       nicht. Wir kontrollieren, wir unterstützen, aber wir haben keine operativen
       Aufgaben.
       
       Der Blick geht ja voraus aufs neue Jahr: Was haben Sie sich vorgenommen,
       was wollen Sie als Aufsichtsrätin bewegen? 
       
       Ich bin noch immer dabei, mich in die Formalien einzuarbeiten. Nun wird es
       darum gehen, die internen und externen Kommunikationsstrukturen weiter zu
       verbessern. Wichtig in meiner Arbeit wird darüber hinaus sein, dass dieser
       Klub seine Vereinsstrukturen erhält und es zu keiner Ausgliederung des
       Spielbetriebs der Profis kommt, um schnelles Geld zu machen. Denn wir sehen
       unsere Stärke unter anderem in der Vereinsstruktur.
       
       Sind Sie der verlängerte Arm der Fanszene im Aufsichtsrat? 
       
       Ich bin nicht das einzige Aufsichtsratsmitglied, das aus der Fanszene
       kommt. Wir haben schon ein starkes Votum aus dem Fanbereich. Der
       Mitgliederwunsch war, dass es in diese Richtung geht, und ich werde
       bestimmt nicht vergessen, für welche Positionen ich stehe, nur weil ich
       Aufsichtsratsvorsitzende bin.
       
       Was sind 2015 die wichtigsten Baustellen beim FC St. Pauli? 
       
       Die wichtigste Aufgabe ist natürlich der sportliche Klassenerhalt. Darüber
       hinaus ist es ein ganz großes Problem der Sport treibenden Abteilungen,
       dass wir aufgrund des Mangels an Sportstätten und begrenzter Hallenzeiten
       nicht mehr die Möglichkeit haben, allen Jugendlichen aus dem Stadtteil die
       Möglichkeit bieten können, bei uns Sport zu treiben. Das wollen wir ändern.
       Und langfristig möchten wir, dass der Verein aus unserer Amtszeit gestärkt
       hervorgeht.
       
       Sind Sie zuversichtlich, dass die Profis die Klasse halten? 
       
       Ich glaube, dass das Präsidium richtige und wegweisende Entscheidungen
       getroffen und die Mannschaft genug Qualität hat. Wir werden das zusammen
       hinkriegen, da bin ich optimistisch!
       
       Wie sehen Sie den weiteren Weg des Vereins in einer sich zunehmend
       kommerzialisierenden Fußballlandschaft? 
       
       St. Pauli ist kein Verein der Pokale und großen Erfolge. Die Fan und
       Vereinsstruktur ist es, was diesen Verein einmalig macht. Kein Investor
       wird langfristig in einen Verein Geld hineinpumpen, der auch auf lange
       Sicht nicht übermäßig erfolgreich ist. Und was ist, wenn so ein Investor
       die Lust verliert oder sein Geld zurückhaben will? Dann steht ein Verein
       schnell auf der Kippe.
       
       Zum Schluss: Fünf kurze Thesen, mit der Bitte um fünf kurze Antworten.
       Erstens: Die Konstruktion eines Vereins mit dem höchsten Organ einer
       Mitgliederversammlung passt nicht zu einem zweistellige Millionenbeträge
       umsetzenden Wirtschaftsunternehmen, was Profiklubs heute sind. 
       
       Es ist gerade die Stärke, dass es eine breite Basis gibt, die
       Entscheidungen trifft. Auch bei großen Unternehmen stellt sich oft die
       Frage, ob es effektiv ist, wenn Entscheidungsstrukturen strikt hierarchisch
       aufgebaut sind.
       
       Zweitens: Die Verweigerung weitgehender Vermarktung führt auf Dauer jeden
       Profiklub ins finanzielle Abseits. 
       
       Das glaube ich nicht. Irgendwann wird die Vermarktungsspirale auch
       überdreht sein.
       
       Drittens: Wiederkehrende Ausschreitungen in Stadien, aber auch Becherwürfe
       machen eine Totalüberwachung mit Polizeikameras unumgänglich. 
       
       Becherwürfe und Ausschreitungen sollte man sorgsam voneinander trennen. Wir
       haben kaum Ausschreitungen in den Stadien, das sind ganz vereinzelte
       Vorfälle. Und was die Becherwürfe betrifft: Immer wieder werden Becher auch
       von den VIP-Tribünen geworfen, wo keine Überwachung ist, weil dort nicht
       die vermeintlichen „Übeltäter“ sind. Was wir dringender brauchen als mehr
       Kameras, ist eine bessere Ursachenforschung in Bezug auf solche Vorfälle.
       
       Viertens: Pyro gehört nicht ins Stadion. 
       
       Meine ganz persönliche Meinung lautet: Pyro in kontrollierter Form auf
       Grundlage eines abgestimmten Konzepts ist stadiontauglich. Aber so ein
       Konzept muss von allen Beteiligten gemeinsam erarbeitet und getragen
       werden.
       
       Fünftens: Will der FC St. Pauli Erfolg haben, kommt er nicht umhin, sich
       weiter anzupassen. 
       
       Der FC St. Pauli wird nie der Verein der Millionen und der Starspieler
       sein. Was uns nach oben bringen kann, ist Geschlossenheit und Teamgeist.
       Deshalb muss man nicht das tun, was alle machen, um erfolgreich zu sein.
       
       Letzte Frage: Job und ehrenamtliches Aufsichtsratsmandat – bleibt da noch
       die Zeit, die Füße einmal hochzulegen? 
       
       Im Moment kaum. Aber wenn dieses Interview erscheint, wird auch für mich
       hoffentlich eine Zeit gekommen sein, in der ich auch mal verschnaufen kann.
       
       6 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Carini
       
       ## TAGS
       
 (DIR) St. Pauli
 (DIR) 2. Bundesliga
 (DIR) Fernsehrechte
 (DIR) Frauenquote
 (DIR) Fußball
 (DIR) St. Pauli
 (DIR) Hamburg
 (DIR) St. Pauli
 (DIR) St. Pauli
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Sportvermarktung in Deutschland: Glotzt weniger Fußball!
       
       Der Fußball drängt fast alle anderen Sportarten an den Rand. Das gilt für
       die TV-Präsenz ebenso wie für die Vermarktungschancen.
       
 (DIR) Quotendiskussion in der Filmbranche: Auf beiden Seiten des Tisches
       
       Frauen führen seltener Regie und erhalten weniger Fördergelder. Franziska
       Stünkel, Filmregisseurin in Hannover, kritisiert das.
       
 (DIR) Der FC St. Pauli in der Krise: Fehleranalyse mit Zettel-Ewald
       
       Als Aufstiegskandidat war St. Pauli in der Zweiten Liga gestartet. Zur
       Winterpause ist das Team auf den letzten Tabellenplatz abgestürzt.
       
 (DIR) Krise bei St. Pauli: Lienen kommt, Meggle wechselt
       
       Der Trainer wird Sportdirektor und macht Platz für einen neuen Coach: Mit
       ungewöhnlichen Maßnahmen begegnet der Fußball-Zweitligist St. Pauli seiner
       Krise.
       
 (DIR) Wirtschaftsrat zerlegt sich weiter: Vorstandsmitglieder auf der Flucht
       
       Seit die Rechtsanwältin Inez Jürgens die Macht im CDU-Wirtschaftsrat
       übernahm, tobt ein Machtkampf: Acht von zwölf Vorständlern sind schon weg.
       
 (DIR) Neuer Chef beim FC St. Pauli: Zäh im Abgang
       
       Mitglieder wählen Oke Göttlich zum neuen Klubchef. Warum ein erfolgreicher
       Präsident ausgetauscht wird, leuchtet aber nicht allen Wahlberechtigten und
       schon gar nicht dem scheidenden Amtsinhaber ein.
       
 (DIR) Noch-Fußballchef vom FC St. Pauli rechnet ab: Die Schlammschlacht beginnt
       
       Zwei Wochen vor seinem Abgang teilt St. Paulis scheidender Clubchef gegen
       den Aufsichtsrat und seinen designierten Nachfolger aus. Die wehren sich
       verhalten.