# taz.de -- taz-Dossier: „Comeback der Folter“: Katastrophe für den Rechtsstaat
       
       > 2002 entführte und tötete Magnus Gäfgen Jakob von Metzler, anschließend
       > schwieg er eisern. Die Ermittler drohten ihm mit Gewalt. Ein Fehler.
       
 (IMG) Bild: Magnus Gäfgen, der Entführer und Mörder des elfjährigen Jakob von Metzler, bei seinem Prozess im Jahr 2003 in Frankfurt/Main.
       
       Der Fall war, zumal mit dem Abstand von inzwischen einem Jahrzehnt, wenig
       kompliziert. Nicht nur die juristische Szene beschäftigte sich mit den
       gesetzeswidrigen Ermittlungen im Fall des Kindesentführers und -mörders
       Magnus Gäfgen, sondern die interessierte Öffentlichkeit überhaupt.
       
       Im Kern ging es um das Folterverbot: Ein leitender Ermittler im
       Entführungsfall des Kindes Jakob von Metzler im Jahr 2002 ließ den
       verdächtigen Gäfgen während eines Verhörs durch einen Beamten mit Schmerzen
       bedrohen, falls Gäfgen nicht endlich auspacke.
       
       Als dies bekannt wurde, war mindestens jedem Juristen und
       Polizeiangehörigen klar, dass diese Androhung von Torturen der
       entscheidende Schritt über das Verbot von Folter in einem Rechtsstaat
       hinaus ist.
       
       In etlichen Talkshows, im Radio und in Zeitungen wurde nun debattiert, ob
       die Polizeibeamten vielleicht nicht rechtens, aber verständlich gehandelt
       hätten. Sie hätten ja nicht wissen können, dass das Entführungsopfer
       bereits an den Folgen der Handlungen Gäfgens ums Leben gekommen war.
       
       ## Schluss mit Gentleman-Methoden
       
       Nicht allein der linke Politiker Oskar Lafontaine schlug sich hier auf die
       Seite des sogenannten Volkes. In „Im Zweifel für … Friedmans Talk“ sagte
       er:
       
       „Ich würde es als Katastrophe für den Rechtsstaat ansehen, wenn dieser
       Beamte bestraft würde, denn nach meiner Auffassung hat er nach
       elementarsten sittlichen Geboten unseres Rechtsstaates gehandelt. Man kann
       nicht ein unschuldiges Kind qualvoll krepieren lassen, nur weil man sich
       auf formale Verfassungsartikel beruft.“ Das Beharren auf Prinzipien helfe
       nicht weiter.
       
       Michael Wolfssohn, Historiker an der Bundeswehrhochschule von München,
       forcierte diese Sichtweise im Hinblick auf den Antiterrorkampf. Dabei, so
       gab er in einer Ausgabe der TV-Talkrunde „Maischberger“ zu Protokoll, „gibt
       es kein wirklich wirksames Kriegsrecht.
       
       Und weiter sagte er: „Als eines der Mittel gegen Terroristen halte ich
       Folter oder die Androhung von Folter für legitim, weil der Terror im Grunde
       mit den normativen Grundlagen – also mit der Bewertungsgrundlage unserer
       zivilisierten Ordnung – überhaupt nichts mehr zu tun hat. Wenn wir da mit
       Gentleman-Methoden versuchen, den Terror zu kontern, werden wir scheitern.
       Auch der Abschreckungseffekt gegenüber Terroristen wäre gleich null.“
       
       ## Moralische Not rechtfertigt nichts
       
       Folterverbot als „Gentleman-Methoden“ zu begreifen, das war für einen
       Hochschullehrer, der junge Bundeswehrkader auszubilden hat, eine
       verblüffend prinzipienbeliebige Aussage.
       
       In den Diskurs stieg schließlich der Hamburger Philologe und Kopf des
       Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, ein. Sein
       Haus forschte schon länger zum Thema Gewalt.
       
       Er war, zumal selbst wenige Jahre zuvor Opfer einer Entführung, ein
       vehementer Streiter für die zivilisatorische Errungenschaft, die das
       Folterverbot bedeutet. Seinen Befund hat er auf mehreren Podien dargelegt –
       und in einem ausführlichen taz-Gespräch im Dezember 2005, veröffentlicht
       unter der Überschrift „Wir sind anders. Darum geht es“.
       
       Reemtsma bestritt nicht, dass Ermittlungsbeamte in moralischer Not sein
       könnten: Sie sind schließlich auch nur Menschen, denen an nichts mehr liegt
       als an der Rettung eines anderen Menschen.
       
       Wenn ihre Befragungen, auch härterer Art, nicht zu den gewünschten
       Auskünften führten, könnten sie sich auch persönlich so verhalten, dass sie
       dem Verhörten am liebsten Schmerzen zufügen würden.
       
       ## Folter zerstört das Vertrauen in den Rechtsstaat
       
       Aber sie dürften es niemals tun, denn sie handelten im Auftrag des Staates
       – der das Gewaltmonopol hat – und mit diesem eingehegt, um ihn nicht
       tyrannisch agieren zu lassen. Dafür gab es eben das absolute, das heißt
       auch im Notstand nicht verhandelbare Folterverbot.
       
       Um den Einzelfall, so Reemtsma, geht es dabei nicht in erster Linie.
       Niemand könne bestimmen, wann nun ein singuläres Ereignis ist und wann
       wiederum nicht. Kurz: Wer bei einem Fall wie dem des Magnus Gäfgen das
       eherne Verbot übertritt, signalisiert allen anderen, es könnte bei ihnen
       auch der Fall sein.
       
       Das hieße, dass über den Einzelfall hinaus die Folter bei allen ein
       legitimes, ja legal akzeptiertes Mittel der Wahl sein kann. Dies jedoch
       unterhöhle das Vertrauen in den Rechtsstaat schlechthin – er wäre keiner
       mehr: Der Unterschied zu einem wankelmütigen Rechtssystem und zu
       mittelalterlichen Systemen wäre allenfalls nur noch ein gradueller.
       
       Insofern bringt Reemtsma als stichhaltigstes Argument nicht schon Bekanntes
       zum Thema Folter vor: dass nämlich, wie ja auch aus dem CIA-Report
       erfahrbar, Torturen, ob angedroht oder angewendet, nichts nützen.
       
       ## Man muss bereit sein, die Konsequenzen zu tragen
       
       Im schlimmsten Fall, aus der Logik der strafverfolgenden Behörden, erfahre
       man nur das, was ein Gefolterter sagt, um der Folter zu entgehen. Reemtsma
       sagt vielmehr: Menschenwürde ist unteilbar – für alle und immer. Das Verbot
       von Folter umreißt das Verständnis von Sittlichkeit, das mehr ist als eine
       aktual gesinnte Form von Moral. Der Druck auf die Ermittler war ja immens.
       
       Aber Reemtsma widersprach nicht dem Dilemma: dass die ermittelnden und
       verhörenden Beamten natürlich an einem zunächst nur stark Verdächtigen,
       schließlich dem Täter selbst weniger Interesse hatten als an dem Leben des
       entführten Kindes.
       
       Wenn, so Reemtsma, Vertreter des Staates diese Zwickmühle zwischen
       Lebensrettung und Folterverbot nicht aushalten und die Entscheidung
       treffen, die feine Linie zwischen erlaubter robuster Ermittlung und
       Androhung von Schmerzen zu übertreten, müssen sie selbst souverän genug
       sein, die Folgen der Lösung ihres Dilemmas zu tragen.
       
       Dann wüssten sie, dass sie illegal, nicht mehr allein illegitim, gehandelt
       haben. Und sie würden den strafrechtlichen Konsequenzen ihres Tuns souverän
       entgegensehen. Etwa im Sinne von: Ich konnte nicht anders, als das
       Schlimmste anzudrohen – aber ich trage auch die dienstrechtlichen
       Konsequenzen.
       
       ## Schmerzensgeld für den Entführer
       
       Michael Wolfssohn blieb als Hochschulbeamter unbehelligt; eine vom
       damaligen Verteidigungsminister Peter Struck – Dienstherr auch für die
       Bundeswehruni – veranlasste Prüfung, ob der Historiker disziplinarisch
       behelligt werden könnte, verlief im Sande.
       
       Der leitende Polizeibeamte Wolfgang Daschner und sein Gäfgen verhörender
       Kollege kamen faktisch ungerupft davon – sie erhielten Ende 2004 nur
       Geldstrafen und Verwarnungen.
       
       Der Entführer Gäfgen, der für den Tod Jakob von Metzlers verantwortlich
       war, klagte bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf Zahlung
       von Entschädigung für die Folterandrohung.
       
       Am Ende sprach ihm das OLG Frankfurt am Main vor fünf Jahren 3.000 Euro
       Schmerzensgeld zu. Der Rechtsstaat und sein Folterverbot hatten – nach
       zähem Ringen – ein wenig gewonnen.
       
       20 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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