# taz.de -- Kölner Karneval in der Kritik: Da lächelt der Prophet
       
       > Der organisierte Karnevalsumzug passt sich in seiner Biederkeit seit
       > jeher politischen Verhältnissen an. Man gibt sich kritisch, ohne Kritik
       > zu üben.
       
 (IMG) Bild: Alaafesk.
       
       AACHEN taz | Ach, der Karneval. Satire soll er irgendwann mal gewesen sein,
       Persiflage, zumindest Spaß, gedacht als Aufmüpfigkeit und Protest gegen die
       Obrigkeit. In Wahrheit sind Büttengerede und der Rosenmontagskarneval in
       seiner Pappmascheebiederkeit besonders in Köln so witz- und zahnlos, dass
       man sich als Rheinländer Session für Session fremdschämen möchte.
       
       Volksfest? Symbolische Machtübernahme des Volkes? Schon den ersten
       Maskenumzug in Köln 1823 organisierte ein Industrieller; mitmachen durfte
       nur, wer drei Taler einbrachte. Das entsprach dem halben Wochenlohn eines
       Handwerkers. Die Oberen blieben unter sich, das Volk stand gaffend am Rand.
       
       Vor den Verhältnissen, die man – Tusch, Tätäää – launig aufs Korn nehmen
       will, hat der Offizialkarneval schon immer kapituliert. Stattdessen galt es
       mit Kuschelkurs zu kuschen, wenn es opportun erschien. Zuletzt 1991 sagten
       die muffigen Männerbünde in Köln (und anderen Städten) den Rosenmontagszug
       wegen des Golfkriegs ab. Angeblich gab es anonyme Bombendrohungen, kaum
       dass auf den Irak wirkliche Bomben fielen. Die Narren spielen zwar mit
       Begeisterung Zivilsoldat in ihren paramilitärischen Marschiervereinen, aber
       wenn es woanders ernst wird, darf man nisch lustisch sein.
       
       Närrisches Motto seit jeher: Sich aufmüpfig und kritisch geben – aber bloß
       keine Kritik üben. Es könnte Kritik zurückgeben. Womöglich sogar Streit.
       Das könnte das große Geschäft tangieren. Im Jahr 1991 kam eine
       McKinsey-Studie auf einen Gesamtumsatz der Fröhlichkeitsindustrie
       (Gastronomie, Hotels, Medienrechte, Konfetti- und Kostümproduzenten,
       Bonbons) in Köln von 500 Millionen Mark. Heute sind es bundesweit mehr als
       drei Milliarden Euro.
       
       ## Heil Kamelle
       
       Während der Nazizeit wurden die Süßigkeiten von Anfang an begeistert mit
       ausgerecktem Arm geworfen. Heil Kamelle. Brav wanzte sich das Festkomitee
       Kölner Karneval an die neuen Machthaber an, die auch bald mitmischen
       durften in Organisation und Selbstdarstellung. Gleich 1934 fuhr in Köln ein
       Wagen mit, der die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung thematisierte.
       Aufschrift: „Die letzten ziehen ab“, und: „Mer mache nur e kleines
       Ausflügelche …“ Bald wurden die Umzüge Parteiveranstaltungen mit
       Hakenkreuzfahnen und Parteipropaganda.
       
       Wie perfide die antisemitische Hetze war, belegt ein Fund vor einem Jahr.
       Da war in einem Archiv ein unbekannter Film von dem Kölner Umzug 1936
       aufgetaucht, darin der berühmte Hasswagen, von dem es bis dahin nur Fotos
       gab – und die auch erst seit 1988. Ein hakennasiger Jude war auf Wagen 13
       pappmodelliert, dem in Anlehnung an die Nürnberger Rassegesetze von 1935
       ein Paragrafenzeichen den gestreckten Schlips hielt. „Däm han se op d’r
       Schlips getrodde“ stand geschrieben – dem haben sie auf den Schlips
       getreten.
       
       Daneben war hoch zu Ross Thomas Liessem zu sehen, der Kölner
       Festausschussvorsitzende seit 1935. Liessem war schon 1931 NSDAP-Mitglied
       geworden, zudem aktiver SA-Mann und gab für Büttenredner die Weisung aus,
       dass „die Führer der heutigen amtlichen und kommunalen Stellen unangetastet
       bleiben“ müssten. Nach dem Krieg ließ sich der braune Jeck Liessem
       erfolgreich entnazifizieren („im Wesentlichen bin ich aus geschäftlichen
       Gründen der Partei beigetreten“) und blieb erster Mann im Festkomitee bis
       1963 und dazu Chef des Bundes Deutscher Karnevalisten.
       
       ## Helaaf Alau!
       
       Ein Gutes hat der kreuzbiedere Kölner Prunksitzungs- und Umzugskarneval. Er
       ist so überangepasst, dass er nach Karikatur brüllte. Erfolgreich: Seit
       1984 gibt es die bös-politische Stunksitzung, längst ein prosperierendes
       Markenprodukt. Nach der Absage des Rosenmontagszugs im Jahr 1991 formierten
       sich in Köln die nächtlichen Geisterzüge. Der Offizialkarneval also als
       ungewollter Geburtshelfer für anderes Jeckendasein, für Ausgelassenheit und
       erfrischende Boshaftigkeiten.
       
       „Unkölsche Feigheit“ hieß es nun in einem Netzkommentar [1][zum Verzicht
       auf den Charlie-Hebdo-Wagen]. In Düsseldorf spottete deren oberster
       Karnevalswagendesigner Jacques Tilly über den „Kölner Konsenskarneval“.
       Unser Tipp: den Kölner Wagen aus deren Depot kapern und ihm damit in
       Düsseldorf politisches Asyl geben. Dazu wird er mit einem zitternden
       kölschen Dreigestirn angereichert, das sich von Polizei und närrischen
       Dschihadisten begafft vor Angst in die Hosen macht. Bei der
       Rosenmontagsfahrt durch Düsseldorf würde auch der Prophet gütig lächeln.
       Helaaf und Alau!
       
       29 Jan 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Karnevals-Wagen-in-Koeln-verboten/!153744/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Müllender
       
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