# taz.de -- Die Wahrheit: Quellende Phobien
       
       > Aus dem Tagebuch einer Angstforscherin: Ganz alltägliche Phobien, die
       > sich unter Erwachsenen beobachten lassen, können es ganz schön in sich
       > haben.
       
       Als ich zehn oder elf Jahre alt war, sah ich nachts heimlich einen Film, in
       dem sich vier Männer in einem südamerikanischen Kaff von einer
       Ölgesellschaft anheuern ließen, Nitroglyzerin 500 Kilometer weit durch
       unwegsames Gelände zu einem brennenden Bohrloch zu transportieren, um den
       Brand durch Sprengung zu löschen. In schwankenden Trucks arbeiteten sie
       sich nervenaufreibend langsam über Schlammpisten und klapprige Brücken,
       denn bei geringster Erschütterung dräute Explosion. Als „Lohn der Angst“,
       so der Filmtitel, winkte ein Haufen Geld.
       
       Das Ganze ging schlecht aus, ich kroch zitternd ins Bett und träumte wirres
       Zeug. Am nächsten Morgen stieg ich aufs Fahrrad und fuhr zur Schule, ohne
       vorher meine Satteltasche auf Sprengstoff zu untersuchen. Mich plagte die
       Angst vor Haut auf heißer Milch und vor der Sinnlosigkeit des Daseins,
       weniger die Sorge, mein Rad könne unter mir explodieren.
       
       Daran musste ich denken, als sich zu vorgerückter Stunde während eines
       lebhaften Gesprächs bei einem Geburtstagsessen plötzlich ein Abgrund
       öffnete und den Blick auf moderne Ängste freigab. Ein Gast litt unter der
       Vorstellung, beim Pilzesuchen eine Leiche zu finden. Ein anderer fürchtete
       sich davor, einen Wald überhaupt erst zu betreten, aus Angst, von Jägern
       erschossen zu werden.
       
       Außerdem auf der Liste des täglichen Grauens: die Angst, auf der Straße
       angekotzt zu werden. Die Angst, sich fahrradfahrend beim Durchqueren von
       Unterführungen den Kopf anzuhauen. Die Angst – trotz eingehender
       Unterweisung am Vorabend – den nach einer Übernachtung bei Freunden als
       Dank geplanten Frühstücksfilterkaffee falsch zu brühen, nämlich zu
       vergessen, das Pulver durch kurzes Heißwasser-Anschütten vorzuquellen. Der
       Phobiker sprach von „Quellangst“, mein persönlicher Favorit. Verglichen mit
       dem Alltagsangstlevel heutiger Geburtstagsgäste war meine Befürchtung, ins
       schwarze Loch der Hoffnungslosigkeit gesaugt zu werden, tatsächlich der
       reinste Kinderkram.
       
       Im Vertrauen, doch noch auf Mainstream-Phobien zu treffen, befragte ich am
       folgenden Tag wahllos meine Mitmenschen. Mein Weinlieferant bekannte sich
       zur Angst, den ersten Morgenkaffee auf dem Weg zur Arbeit in der U-Bahn aus
       der Hand geschlagen zu bekommen, weshalb er schwor, niemals einen Kaffee zu
       kaufen, bevor er nicht zu Hause schon einen getrunken hätte. Im Universum
       seiner Ängste ist offenbar der Zweitkaffee gegen Schläger gefeit.
       
       Was aber, gab ich zu bedenken, wenn mehrere Ängste sich zu einer
       Gesamtangst vereinigten? Dass einer einem den Kaffee aus der Hand schlägt,
       während er einen gleichzeitig ankotzt und erschießt? Gemeinsam dachten wir
       nach, dann kam er zu dem Schluss: „Das ist dann, glaub ich, eher was
       Persönliches.“
       
       Kurz darauf hörte ich im Radio von einem Mann aus dem Landkreis Oberhavel,
       der in einem Waldgebiet angeschossen worden war und nur knapp überlebt
       hatte. Man sollte die Wahrscheinlichkeit, beim Pilzesuchen auf Leichen zu
       treffen, wohl doch nicht unterbewerten.
       
       5 Feb 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Frankenberg
       
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