# taz.de -- Die Wahrheit: Die doppelte Dröhnung
       
       > Tagebuch eines Schnarchopfers: Auf der Buchmesse Leipzig finden immer
       > auch die Schnorchelweltmeisterschaften statt – im Doppelbett.
       
       Alljährlich dasselbe Ritual: Während der professionelle Besucher der
       Leipziger Buchmesse Jahre im Voraus sein Einzelzimmer bucht, müssen
       desorganisierte Autoren sich in eilig eingegangenen
       Doppelzimmergemeinschaften zusammenrotten. „Ich schnarche nicht, ich bin
       wach!“, empören sich aus dem Tiefschlaf geschüttelte Mitschläfer über
       Störversuche aus der benachbarten Betthälfte.
       
       Noch beim Frühstück verbitten sie sich beleidigt üble Nachrede: Sie hätten
       einem gar nicht sieben Stunden ins Ohr grunzen können, derweil man neben
       ihnen um Erlösung flehte, denn aus reiner Rücksichtnahme hätten sie sich
       gezwungen, wach zu bleiben! Dabei mampfen sie so ausgeschlafen, dass man
       hofft, das Brötchen möge ihnen den Schnarchhals verstopfen.
       
       Wir Schnarchopfer dürfen uns mit dem zehnminütigen Zeitfenster zwischen dem
       morgendlichen Badbesuch des Bettgenossen und dem Klingeln des eigenen
       Weckers begnügen, danach wanken wir mit irrem Blick durch den Tag. Während
       unserer Lesungen zittern unsere Stimmen, nicht weil wir die Nacht
       durchgesoffen haben, sondern wegen der fünf Espressi, die wir kippen
       mussten, um nach 48 Stunden Schlaflosigkeit halluzinierend zwischen
       kostümierten Mangawesen in den Messehallen unseren Stand zu finden.
       
       „Soll ich mir morgen ein Zimmer suchen?“, fragte ihn, berichtet ein
       Leidensgenosse hohläugig, seine Mitschläferin um drei Uhr morgens. „Nein,
       jetzt!“, habe er die Gunst des Schuldbewusstseins nutzen wollen, bevor ihm
       noch rechtzeitig klar wurde, dass er danach nie wieder aufgrund seines
       literarischen Werkes, sondern wegen seelischer Grausamkeit in jeder
       Suchmaschine zu finden sein würde – und das bis zum Eintreten der
       Apokalypse.
       
       „Du atmest ja gar nicht, ich bin die ganze Nacht wach gewesen!“, beschwert
       sich die schnarchende Komaschläferin neben mir über meine angeblich an
       ihren Nerven zerrende Lautlosigkeit. Mein erschöpftes „Würde ich nicht
       atmen, wäre ich jetzt tot“, verhallt in ihrem Geröchel. Vor meinen
       geschlossenen Augen erscheint die verlockende Lösung in Gestalt einer
       „Greser & Lenz“-Karikatur – Mann und Frau liegen im Bett. Sie: „Ich kann
       nicht schlafen.“ Er: „Soll ich dich bewusstlos schlagen?“
       
       Aber aus Angst vor der Staatsgewalt greife ich doch lieber zu der
       Geheimwaffe unter den Kopfhörern, meinem „Noise Canceller“. Als Bollwerk
       gegen Lärm cancelt er alles, was laut ist, vom Ballermann-Sitznachbarn auf
       dem Mallorcaflug bis zum Warnschrei der Tüpfelhyäne, aber just als das
       Schnarchmonster sich mir zutraulich zuwendet und aus zwei Zentimeter
       Entfernung mein verbarrikadiertes Ohr beschallt, ist die Batterie leer. Der
       anschließende Versuch, mit fußballgroßen Halbkugeln auf den Ohren in
       Seitenlage zu schlafen, wird Legionen von Physiotherapeuten auf absehbare
       Zeit in Lohn und Brot versetzen.
       
       Auf der Rückfahrt nach Berlin wirkt dann endlich die doppelte Dröhnung
       Schlaftabletten. Irgendwo vor Hamburg-Altona wache ich auf. Mein
       Sitznachbar behauptet, dass ich geschnarcht hätte, aber ich weiß, dass er
       lügt, ich war die ganze Zeit wach.
       
       19 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Frankenberg
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schnarchen
 (DIR) Engländer
 (DIR) Mallorca
 (DIR) Polizei
 (DIR) Konsum
 (DIR) Humor
 (DIR) Ängste
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Ein Hauch von Elefantenatem
       
       Tagebuch einer Heimwerkerin: Auf der Suche nach einer Wandfarbe geriet ich
       an ein Produkt, dessen Name meine Fantasie auf Abwege brachte.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Folge der Spur der Losung!
       
       Tagebuch einer Alleinreisenden: In der Einsamkeit eines mallorquinischen
       Naturparks kann schon mal einiges schief und verloren gehen.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Das Verbrechen ist überalt
       
       Tagebuch einer Nachbarin: Neue, gewichtige Erkenntnisse stellen sich ein,
       werden Hausmitbewohner von einer Straftat heimgesucht.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Weltfrieden im Kaufhaus
       
       Tagebuch einer Vorfrühlingsucherin: Im neuesten Berliner Shoppingcenter
       wird der Konsument mit billigen Weisheiten auf den Einkauf eingeschworen.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Hallihallo, Quelsa
       
       Tagebuch einer U-Bahn-Fahrerin: Wer im Berliner Untergrund unterwegs ist,
       sollte besser humorfrei sein. Oder nicht hinhören.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Quellende Phobien
       
       Aus dem Tagebuch einer Angstforscherin: Ganz alltägliche Phobien, die sich
       unter Erwachsenen beobachten lassen, können es ganz schön in sich haben.